Es hat gedauert, bis in dieser Rubrik ein Videoclip zu Ehren kommt. Peter Gabriel hat in den 80er-Jahren massgeblich dazu beigetragen, dass der Promotion-Film zur Kunstgattung aufstieg. Am 18. November bringt der Brite «Sledgehammer» mit der Originalbesetzung auf die Bühne – im Zürcher Hallenstadion.
«Sledgehammer» ist Peter Gabriels bekanntester Song. Nicht sein bester, aber sein bekanntester. Und das ist nicht nur dem Radioairplay zu verdanken, nein, «Sledgehammer» schlug 1986 vor allem auch beim Fernsehpublikum ein. MTV war noch jung, aufregend, wurde dem M für Musik noch gerecht – und zeigte die tanzenden Poulets und wandernden Rüebli Tag und Nacht. Was der Popularität dieser weissen Soulnummer nur zuträglich war. «Sledgehammer» wurde mit neun MTV Video Music Awards ausgezeichnet – ein Wert, der bis heute unübertroffen ist. Man kann also vom erfolgreichsten Videoclip v. Y. sprechen (will heissen: vor Youtube-Geburt).
Peter Gabriel war schon als Sänger von Genesis der Visualisierung von Musik zugeneigt wie kaum ein anderer Rockmusiker. Seinen Sinn für Theatralik transportierte er von der Bühne in die neue, aufregende Kunstform Videoclip, arbeitete mit Talenten zusammen. 1986 etwa mit dem amerikanischen Filmemacher und Animator Stephen Johnson, der ein Jahr zuvor mit seinem Clip zum Talking-Heads-Lied «Road to Nowhere» Aufsehen erregt hatte – allerdings war dies Peter Gabriel nicht vertraut. Erst durch ein Demotape wurde er auf den US-Filmemacher aufmerksam gemacht. Und war fasziniert von dessen «Pixelation-Technique».
Peter Gabriel rief Johnson an. «Aus dem Nichts, ich war ein bisschen eingeschüchtert zu hören, dass er mit mir arbeiten wollte», erinnert sich Johnson. «Ich hatte höchsten Respekt vor seiner Arbeit, etwa ‹Shock the Monkey›.» Mit diesem Clip hatte Peter Gabriel schon 1982 Höchstnoten für einen Videoclip eingeheimst – und seinen Ruf als neugieriger Musiker mit kreativer Ader fürs audiovisuelle Genre bekräftigt.
Gabriel lud Johnson nach London ein, fuhr ihn zu sich nach Hause, nach Bath, drei Tage lang unterhielten sie sich, tranken Wein, sprachen über den Sinn des Lebens, wie in der Biografie von Spencer Bright nachzulesen ist.
Die Kennenlernphase dauerte mehrere Tage – damals gönnte man sich dafür noch Zeit, welche die Plattenfirmen auch zu zahlen bereit waren. Dann wünschte sich Gabriel eine Animation für seine kommende Single «Sledgehammer». Johnson versuchte ihn von einem simplen Performance-Video zu überzeugen. «Doch Gabriel schmeichelte sich richtig bei mir ein.» Am Ende hatte er den Regisseur um den Finger gewickelt.
Johnson engagierte die Firma Aardman Animations, die sich später mit «Wallace & Gromit» im Filmgenre etablierte.
100 Dreh-Stunden für knappe vier Minuten
Peter Gabriel stand in Bristol acht Tage lang vor der Kamera. Für jede Sekunde des Clips musste er 25 Mal den Gesichtsausdruck verändern. Das erklärt, warum die Dreharbeiten satte 100 Stunden dauerten.
Peter Gabriel musste leiden für die Kunst. Allein für die zehn Sekunden, in denen eine Modelleisenbahn um seinen Kopf kreist, musste er sechs Stunden lang in derselben Position ausharren. Dann war da noch das Beigemüse im Scheinwerferlicht. «Die Früchte rochen ja noch ganz okay nach einigen Stunden, der Fisch hingegen begann im Studiolicht ganz unangenehm zu stinken», sagte Gabriel.
Sein Durchhaltevermögen, sein Mut zum Experiment wurden belohnt: Das Fernsehpublikum liebte das surreale Filmchen. Heute noch gilt «Sledgehammer» als meistgespielter Clip auf MTV. «Es war grossartig damals», erinnert sich Gabriel in einem Video-Interview: «Es gab Leute, die Videos schauen wollten, es gab auch noch Budgets dafür – und es gab keine Regeln. Niemand schrieb dir vor, wie das Video auszusehen hatte.»
Peter Gabriel darf sich rühmen, audiovisuell Geschichte geschrieben zu haben: Mit seinen theatralischen Liveauftritten und mit seinen Videoclips. «Sledgehammer» (1986) gehört bis heute zu den stilprägendsten, originellsten Musikfilmen. Der Multimedia-Freak hat sein Clipschaffen auch für Youtube-Abstinenzler zugänglich gemacht: Auf «Play» findet sich das gesammelte Video-Œuvre seit Beginn seiner Solokarriere (1977), von «Solsbury Hill» über «Don’t Give Up» (himmlisches Duett mit Kate Bush) bis zur «Barry Williams Show» (2002). Der Sound rührt Audiophile zu Freudentränen. Zur Bonussektion gehören neben unveröffentlichten Videos auch kurze Einleitungen und Kommentare vom Erzengel selber.
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Peter Gabriel live «Back To Front»:
Hallenstadion, Zürich
18. November, 20 Uhr