Tanzkunst am Stretchband

In der Kaserne fliesst neben dem Alkohol zurzeit auch der Schweiss: In «The Stages of Staging» wird die Bühne zum Gymnastikstudio und das Zuschauen zum Workout – für den Kopf.

Die Bühne als Fitnessstudio: In «The Stages of Staging» wird der Sport zur Performance und umgekehrt.

In der Kaserne fliesst neben dem Alkohol zurzeit auch der Schweiss: In «The Stages of Staging» wird die Bühne zum Gymnastikstudio und das Zuschauen zum Workout – für den Kopf.

In der Reithalle der Kaserne fliesst der Schweiss: Etwas weniger als ein Dutzend Menschen haben sich Gymnastikbälle und blaue Turnmatten geschnappt und springen, dehnen, rollen und trainieren, was die Stretchbänder halten.

Ist die Reithalle kurzerhand zur Sporthalle umfunktioniert worden? Keineswegs: Was aussieht wie die Vorbereitung auf einen Turnabend, ist aufwendig durchgestaltete Performance, die Verwirrung der Zuschauer beabsichtigt. Man soll ohne Einführung hineingeworfen und herausgefordert werden: «Ich möchte, dass man nach der Performance das Gefühl hat, soeben an einem stundenlangen Workout teilgenommen zu haben». Die Zürcher Choreografin Alexandra Bachzetsis sinkt erschöpft auf einen Stuhl. Die erste Hauptprobe ist geschafft und Bachzetsis Worte treffen momentan am ehesten auf sie selbst zu. 

Grosse Sätze, grosse Inszenierung

Bachzetsis ist das künstlerische Hirn hinter «The Stages of Staging», einer Tanzvorstellung, die am Samstag in der Kaserne zur Saison-Eröffnung Premiere feiern wird. Es ist ein anspruchsvolles Stück, die künstlerischen Verweise sind zahlreich, im Veranstaltungstext fallen Sätze wie «die zeitgenössische Medienkultur dient mit ihren narrativen Lücken als Modell dafür, wie wir leben, arbeiten und wie wir Sehnsüchte verbildlichen» und illustre Namen werden aufgezählt: Filmemacher Rainer Werner Fassbinder, Musikvideo-Produzent Michel Gondry, Künstler Jeff Wall. Es geht um Selbstinzenierung, Identität, das Individuum versus das Kollektive, um Weiblichkeit, Sexualisierung und Bildproduktion. Ganz schön viel Inhalt für anderthalb Stunden Tanz, denkt man sich.

Und dann ist das Eindehnen plötzlich vorbei, die Beziehungen verschieben sich, es wird geboxt, gecheerleadert, tot umgefallen und Stagediving geübt. Die zehn jungen Menschen auf der Bühne werden von einer Armee zu einem Team, einer religiösen Gemeinschaft, dann wieder zu Kämpfern, die sich in Tekken-Manier spektakuläre Battles liefern. Es geht hin und her, fast überfordernd vielseitig bewegen sich die Performer über die Bühne, die vom Fitnessraum bis zum Dancefloor zu verschiedenen Stationen umfunktioniert wird. Zwischen den Tanzszenen wandelt sich die Bühne zur Talentschmiede und Plattform für Selbstinszenierung: Einzelne Charaktere stellen sich vor eine laufende Kamera und reden von Selbstverwirklichung oder Elvis Presleys «Heartbreak Hotel». Ihr Gesicht wird simultan auf eine blaue Turnmatte projiziert, die von zwei Tänzern hochgehalten wird.

Auslösen, nicht aufklären

Das alles ist viel, aber nicht zu viel. Ganz im Gegenteil: «The Stages of Staging» ist überraschend zugänglich, vor allem auf emotionaler Ebene. Egal ob eine weissgekleidete Tänzerin zu Donna Summer’s «I feel love» über die Bühne fliesst, oder zehn Menschen unterschiedlich zu harten Technobeats tanzen: Man wippt und denkt mit. Es ist der Tanz, der die Performance entschwert und die Verbindung zum Betrachter ermöglicht.

Bachzetsis nickt. Ihr geht es um ein Tanzen, das auslöst, nicht aufklärt. «Es geht darum, das Publikum abzuholen. Man soll Gedankenanstösse kriegen, Türen sollen geöffnet werden.» Bachzetsis‘ konzentrierter Blick ist auf die Bühne gerichtet, wo sie den Tänzern Feedback gegeben hat. In ihren dunklen Augen spiegelt sich der Ehrgeiz. Sie macht keine halben Sachen. Seit sie vier Jahre alt ist, tanzt Bachzetsis, sie hat einen Abschluss der Dimitrischule in Verscio und Tanzdiplome aus Belgien und Holland in den Taschen. Vom Tanz in die Kunst war es ein logischer Schritt, der sich einfach ergeben hat und bis heute das Metier der Tänzerin ausmacht: «Ich sehe mich als Künstlerin. Ich liefere ja nicht bloss etwas ab, sondern erstelle Konzepte und Verknüpfungen.» Die Tänzer würden die ganze Arbeit machen, sie selber stehe im Hintergrund und dirigiere.

Performer aus aller Welt

Die Tänzer, das sind im Falle von «The Stages of Staging» eine breite Palette an Performern. Bachzetsis hat absichtlich Menschen aus den verschiedensten Sparten und Ländern gewählt: Künstler aus Ungarn, Island und Österreich, Boxer aus Basel, ein DJ aus Genf und Tänzer aus Belgien, Griechenland und Amerika. «Es geht mir darum, aufzuzeigen, wie verschieden Identität und der Weg dahin aussehen kann.»

Bei soviel Vielfalt so etwas wie Kohärenz zu generieren, ist eine grosse Herausforderung, die Bachzetsis hervorragend meistert. Dazu gehörte eine intensive Vorbereitung mit der Besetzung: Zu Beginn schickte die Choreografin allen Beteiligten einen Fragekatalog, den sie per Videobotschaft beantworten mussten. Anhand der Antworten wurden die verschiedenen Bewegungsmuster und Körpersprachen entwickelt. So erhält jeder Tänzer auf der Bühne seine eigene Sprache, ohne dass er aus der Reihe tanzt. 

Die Entlarvung des Lebens

Hinzu kommen strategisch platzierte, kleine Brüche: Immer wieder wird eine Grenze überschritten, eine Bewegung einen Tick zu übertrieben gemacht, die Musik nur einen Augenblick weitergespielt – es wird für einen kurzen Moment unheimlich und dann gleich wieder so, als wäre nichts passiert. Man wird angefixt, aber nicht aufgeklärt. Genau so, wie von Bachzetsis angestrebt: «Eine gute Choreografie vermittelt. Sie berührt den Betrachter.» In einer guten Choreografie werden Aspekte des eigenen Lebens gespiegelt und schrittweise entlarvt.  

Und wenns um Aspekte des eigenen Lebens geht? Wo sieht sich Bachzetsis in der Zukunft? Die Künstlerin lacht. Diese Frage stand auch in ihrem Fragekatalog für die Tanzenden. «Was ist in fünf Jahren? Ironischerweise kann ich es selbst nicht beantworten.» Sie schaut auf die leere Bühne und ein letztes Mal schärft sich ihr Blick und man hat das Gefühl, das Geratter hinter ihren Augen erkennen zu können.«Ich glaube, ich mache wieder mal was Eigenständiges. Mit mir in der Hauptrolle.» Ganz genau weiss sie das aber noch nicht. Morgen könnte bereits alles anders aussehen. Die Show hat gerade erst angefangen. 

  • «The Stages of Staging» feiert am Samstag, 14. September Weltpremiere in der Kaserne Basel. Vorstellungsdaten: 15., 16., 21. und 22. September.
«The Stages of Staging» ist Teil von Triptic – Kulturaustausch am Oberrhein, ein Programm, das mit 17 Projekten aus 3 Ländern den Kulturaustausch im Dreiländereck fördern will. Triptic arbeitet mit Institutionen aus allen künstlerischen Sparten. Mit dabei sind unter anderem das Haus für elektronische Künste Basel, der Kunstverein Offenburg, das SAS Delémont und das La Filature in Mulhouse.

 

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