Techno-Urgestein Hans Nieswandt legt am Freitag im Hinterhof auf. Im Interview spricht der heute 50-Jährige über Techno als Sound zur Wiedervereinigung, Tanzen in Ramallah und über die Frage, ob man die Kunst des Pop an der Uni lernen kann.
Seit Deutschland den Techno entdeckte und förderte, ist Hans Nieswandt dabei. Er legte zur Wende in leeren ostdeutschen Bunkern auf und hat den «Sound Of Cologne» persönlich miterlebt, er landete in Italien mit «From Disco To Disco» einen Nummer-Eins-Hit und schrieb drei Bücher über die jahrelange Globetrotterei als DJ. Seit einem Jahr amtet Nieswandt, heute 50 Jahre alt, als Leiter des Instituts für Populäre Musik an der Folkwang-Universität der Künste in Bochum, aber als DJ ist er noch immer gerne unterwegs.
Wurde 1997 in Italien zum Sommerhit: Whirlpool Productions, «From Disco to Disco»
Herr Nieswandt, vor wenigen Wochen feierte Deutschland 25 Jahre Mauerfall. Sie waren zur Wendezeit als DJ sofort in den neuen Bundesländern, wo Techno und Minimal House sehr gefragt waren. War das der Sound zum Mauerfall?
David Hasselhoff würde das anders sehen (lacht). Natürlich war das in erster Linie ein historischer Zufall, Techno wurde ja nicht in Deutschland erfunden. In Europa hatten in den 80er-Jahren vor allem belgische DJs den Sound ästhetisch stark geprägt. Ihr Pech war, dass sich durch die Wiedervereinigung die Aufmerksamkeit sofort nach Berlin verschoben hat.
Weil da einer neuer Markt entstand?
So kommerziell dachte man damals noch nicht. Aber als die Mauer fiel, fand man in Berlin und in den neuen Grenzregionen im Osten massenhaft zurückgelassene militärische Objekte vor und somit Kulissen ohne Ende für Techno-Parties. Diese Musik ist ja kaum wie eine andere dazu geeignet, grosse Menschenmengen in denselben Groove zu versetzen. Hinzu kam das Gefühl der Euphorie, der Utopie, der scheinbar schrankenlosen Zukunft. Die Love-Parade hat das ja anfangs schön eingefangen. Man wusste damals schon, dass sich das nicht halten wird, und heute finden sich ja kaum noch Spuren davon.
Das ist das zeitgeschichtliche Moment. Was hat den deutschen Minimal Techno ästhetisch derart gefördert?
In Köln haben die Betreiber des Labels Kompakt, wo der «Sound of Cologne» entstand, eine soundästhetische Traditionslinie von Stockhausen via Can bis zu Minimal House weitergeführt. Das war schon anschlussfähig. Und die Leute von Kompakt verstanden sich auf ein gutes Marketing und setzten ihren Sound in Analogie mit Bauhaus oder den Elektronikgeräten der Firma Braun: ein nüchternes, klares, funktionales Design. Das liess sich im Ausland gut als «deutsch» verkaufen – der Deutsche als begabter Ingenieur eben, auch in der Musik.
Ein nachhaltiges Branding also.
Heute hat sich das nivelliert. Diese Kölner Minimal-Schule wird nun überall auf der Welt hergestellt. Deutscher Techno, das sind heute wuchtige Riesenräume mit ganz viel Kickdrum, düster und massiv. So klingen viele Tracks heutzutage, gerade aus dem Osten und Nordosten Deutschlands. Mir gefällt das.
Sie haben das utopische, weltumspannende Element von Techno erwähnt. Als DJ haben Sie ja auch Regionen wie Zentralamerika, Sibirien oder den Nahen Osten bereist. Hält dieser Anspruch von Techno, Grenzen niederzureissen, auch in Krisenregionen wie Libanon oder Palästina stand?
Ich hatte den Eindruck, dass mit Techno etwas Globales, Postnationales entstanden ist. Ob in Malaysia oder Ramallah – in den Clubs trifft man auf Menschen, die nur darauf warten, dass sich der Pulverdampf verzieht und sie mitmachen können. Die Überwindung von überkommenen Zuständen, dieses Motiv steckt im Techno drin, zumindest war das mal so. Deshalb ist Techno für viele Menschen auf der Welt noch immer der Klang des Strebens auf einen utopischen Zustand hin.
Ein hoher Anspruch.
Das ist das Glück des Künstlers: Er darf politische Maximalpositionen vertreten.
Sie haben als DJ nie Pause gemacht, obwohl Sie dazwischen auch als Autor tätig waren, als Journalist beim Magazin «Spex», als Berater für das Goethe-Institut für elektronische Musik. Was empfinden Sie, wenn Sie an das Berlin der Wendezeit zurückdenken? Wehmut? Nostalgie?
Ich habe mit dem Auflegen nie ausgesetzt, deshalb konnte ich mir die ganze Nostalgie auch vom Leib halten und bleibe mit meinem Repertoire am Puls der Zeit. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass sich die Musik in den letzten 25 Jahren nicht mehr wahnsinnig weiter entwickelt hat. Die Platten, die ich heute von DJs erhalte, die halb so alt sind wie ich, sind total kompatibel mit dem House aus der Gründerzeit. Im Hinterhof Basel bin ich von 23 bis 3 Uhr gebucht, was ungewöhnlich früh, aber auch ganz schön lange ist. Das freut mich natürlich, weil es zeigt, dass der rohe Charme alter Produktionen sehr geschätzt wird – heute, wo alles perfekt produziert ist. Clubs buchen mich offenbar nicht als Retro-Fossil, sondern weil sie gute Musik von mir wollen (lacht).
Sie legen auch noch immer ausschliesslich Vinyl auf?
Ja. Aber mit dem Laptop aufzulegen ist nicht der falsche Ansatz, wenn einem DJ der Live-Mix nicht so wichtig ist. Techno kommt von Technologie, Neuerungen soll man ruhig anerkennen. Aber ein DJ, der einen guten Vinyl-Mix hinkriegt, das ist schon eine atemberaubende Leistung. Das muss man üben. Und bereit sein, pro Monat Hunderte Euros für Platten auszugeben. Mir gefällt jedoch, dass durch die technologische Entwicklung viel mehr Menschen nicht nur passive Musikkonsumenten, sondern auch aktive Musikschaffende geworden sind. Die müssen nicht einmal auf dem Musikmarkt mitmischen. Vielen reicht es, selbst etwas erschaffen zu haben.
«Das habe ich mir schon oft anhören müssen: Pop studieren, so ein Quatsch.»
Seit Anfang 2014 leiten Sie das Institut für Populäre Musik an der Folkwang-Universität. Warum eigentlich gerade Sie? Sie selbst kommen ja aus dem Untergrund.
Wahrscheinlich, weil ich all diese Dinge neben dem DJ-ing gemacht habe. Offenbar werde ich als recht glaubwürdiger Vertreter von Popmusik auf hohem Niveau geschätzt. Was uns am Institut interessiert, sind furchtlose Künstler, die uns hoffentlich mit all ihrem Zeug überraschen wollen. Weil Pop eben von der steten Erneuerung lebt. Die besten Zeiten von Pop waren immer jene, in denen die Aktualität angegangen wird. Wir bilden nicht Musiker für den Musikmarkt aus, die dann im härtesten Fall in einer Kreuzfahrtschiff-Band spielen. Folkwang ist eine Universität der Künste.
Der Hans Nieswandt, der vor knapp 30 Jahren Techno entdeckte, hätte der sich an so einem Institut eingeschrieben?
Das habe ich mir schon oft anhören müssen: Pop studieren, so ein Quatsch. Aber die meisten Leute, die ich aus dem Kreativbereich kenne, haben alle irgendwas studiert. Auch ich. Die Studienzeit schaffte die zeitlichen Freiräume und das soziale Umfeld, um den Pop zu entdecken. Wenn es in den Achtzigern so ein Institut gegeben hätte, mit Leuten, die ich schätze und die aus der Szene-Wirklichkeit kommen, hätte ich gerne mitgemacht. Ich ging stattdessen zur «Spex», zu einer Zeit, als Popdiskurse von Leuten wie Diedrich Diedrichsen oder Dietmar Dath gepflegt wurden. Ich habe das alles aufgesaugt. Das war meine Studienzeit.
Für die DJ-Arbeit bleibt seither aber nicht mehr viel Zeit, oder?
Im Gegenteil, das hat sich sogar verstärkt. Wenn man unter der Woche tagsüber am Institut ist, kann man am Wochenende gut eine Nacht im Club auflegen. Die Reisen sind einzig kürzer geworden. Anstatt nach Beirut fahre ich heute eher nach Bochum.
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Am Freitag, 9. Januar, legt Hans Nieswandt im Hinterhof Basel auf. Hans Nieswandt beginnt mit seinem Set um 23 Uhr und wird um 2.30 Uhr von Raise abgelöst.