Die erste Ballettpremiere dieser Saison ist ein Erfolg. «Tewje» hat beim Publikum im Theater Basel für Begeisterung gesorgt. Besonders der Choreograf Richard Wherlock und die Musik von Kolsimcha wurde laut beklatscht.
Wenn Tewje vor lauter Glück zu viel getrunken hat, dreht sich ihm der Kopf und er kann sich vor Lachen nicht mehr halten. Zu komisch blickt ein Pferd, überlebensgross, auf ihn herab. Tewje ist die Hauptfigur aus Scholem Alejchems Buch «Tewje, der Milchmann», das an der Schwelle zum 20. Jahrhundert in einem jüdischen Stetl spielt und die Vorlage für das besser bekannte Broadway-Musical «Fiddler on the Roof» abgab.
Richard Wherlock, der künstlerische Leiter des Ballett Basel, hat den Stoff nun auf seine Weise furios in Tanz umgesetzt, in einer dynamischen, packenden Tanzsprache. Wenn die Heiratsvermittlerin einen scheuen und etwas tolpatschigen Kandidaten in Tewjes Drei-Töchter-Haushalt schleppt, spielt Choreograf Wherlock noch auf einem anderen Register, das er bestens beherrscht und das er so schon lange nicht mehr ausgespielt hat: Da funkelt der Humor, staksen und stolpern die beiden Tänzer Debora Maiques Marin und Javier Rodriguez Cobos so clownesk, dass es eine Freude ist.
Turteln, feiern, böse Ahnung
Aber auch ruhig fliessende, verspielt zärtliche Bewegungen finden sich, insbesondere in den Duos des Liebespaars Zeitel und Mottel. Über den langgezogenen, sehnsuchtsvollen Klängen einer Klarinette breitet die älteste Tochter Tewjes geniesserisch und vertrauensvoll ihre Arme aus.
Es wird geturtelt, gefeiert und geheiratet, und mitten drin steht Tewje, stolz auf seine Kinder, aber auch mit Ahnungen von einer schlimmen Zukunft infiziert. Dann hadert er mit Gott und seine Hemdsschösse flattern unruhig. Der Tänzer Frank Fannar Pederson ist dieser Tewje mit jeder Faser seines Wesens.
Für das in der Ukraine angesiedelte Stetl hat Bühnenbildner Bruce French keine realistische Abbildung jener untergegangen, ostjüdischen Welt geschaffen, sondern eine hinten auslaufende Felslandschaft wie am Rande einer Wüste. Auf der Rückwand wird in schwarz-weissen, kaum bewegten Filmbildern die Geschichte erzählt, nicht linear, sondern in suggestiven, traumhaften Filmstills: Während vorne ein Liebespaar tanzt, sieht man in Nahaufnahme ihre Gesichter auf der Leinwand; nur die Augenlider bewegen sich ab und zu. Es sind Bilder wie in Fotorahmen gebannt, aus einer fernen, vergangenen Welt.
Das grösste Ereignis ist die Musik
Immer wieder werden Elemente auf die Bühne gerollt und damit zusätzliche Spielräume geschaffen. Nie ist es zu viel. Ebenso wenig die bunten Kostüme, die von Catherine Voeffray entworfen wurden. Es ist ein Mix, der mit Mode-Reminiszenzen an die letzte Jahrhundertwende und mit Zitaten an das orthodoxe Judentum spielt, letztlich aber wieder frei von aller Zeitgebundenheit ist.
An diesem Abend verbinden sich Tanz und Musik in besonderer Intensität. Und das ist vielleicht das grösste Ereignis.
Olivier Truan, Mitbegründer der Klezmer-Band Kolsimcha hat für «Tewje» die Musik komponiert, in enger Zusammenarbeit mit dem Ballett. Und so schallt es aus dem Orchestergraben für einmal ganz anders als gewohnt. Unter der inspirierten Leitung von Alexander Mayer gehen Klezmer-Melodien mit groovigen Tönen und Jazzsolis durcheinander, singt die Klarinette eindringlich und trompetet es gehörig laut. Die Mitglieder von Kolsimcha musizieren gemeinsam mit dem Sinfonieorchester Basel mit Drive und Soul.
«Tewje» hat kein Happy-End. Politische Willkür und Antisemitismus zwingen die Bewohner, ihr Dorf zu verlassen. Mit dieser Schikane kündigt sich an, was Jahrzehnte später im Holocaust seinen schrecklichen Höhepunkt erreichen wird. Auch wenn dieser Tanzabend in erster Linie gut unterhält, so hat er doch eine brennende Aktualität.
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«Tewje» wird noch bis Mitte Februar auf der grossen Bühne im Theater Basel gezeigt. Zum Spielplan.