Die Jazz-Szene verneigt sich. Ein paar Worte von Urs Blindenbacher zum Tod von George Gruntz.
Am 30. April 2012 kündigte George Gruntz im Basler Schauspielhaus als Tribute to Dani Tobler, seinem langjährigen Freund, der im Frühling 12 verstorben war, die Mingus-Komposition «Good Bye Pork Pie Hat» an. Die NRD Bigband gab an jenem Abend, dem ersten Unesco Jazz Day weltweit, nota bene, eine Version zum Besten, die unter die Haut ging. Es steckte wohl viel Wehmut und Vorahnung in diesen Momenten für diejenigen, die George Gruntz gut kannten. Am Schluss des denkwürdigen Bigband-Abends, der gleichzeitig eine Vorwegnahme des 80. Geburtstags war, verabschiedete sich George Gruntz mit grosser Liebe und Zuneigung minutenlang vom Basler Publikum, als wäre es das letzte Mal gewesen … Es war – so wird es jetzt klar – sein letzter ganz grosser Auftritt in Basel, als der, was ihn berühmt und legendär machte: als Bigband-Leader, als Arrangeur, als Vermittler und als international anerkannter Schweizer Künstler.
Als Offbeat-Leiter und Jazzfestival-Veranstalter haben wir in den letzten 20 Jahren einige denkwürdige Konzerte mit dem grossen Maestro GG durchführen dürfen. In bester Erinnerung sind mir seine Atlantis-Konzerte – es war eine wirklich «heisse» Clubatmosphäre im ehemaligen Music-Club Nr 1 in Basel –, seine mehrtägigen Proben und Master-Classworkshops in der Jazzschule Basel, bei denen man das Gefühl hatte, man sitze in einem New Yorker Studio, seine Basler Premiere der Jazzoper «the Magic Flute» im Theater Basel/Grosse Bühne, seine Concert-Jazz-Band-Auftritte im Foyer des Theaters Basel, allen voran das Konzert zum 75. Geburtstag, bei dem ich unter anderem auch Emil und Altbundesrat Kaspar Villiger als Gäste begrüssen durfte, die Filmpremiere des Dokumentarfilms über GG, die wir mit einem Solorecital von Gruntz im Theater Basel durchführen konnten und das Eröffnungskonzert des Jazzfestivals Basel vor zwei Jahren im Stadtcasino Basel.
Ein Energiebündel
Immer wieder war für mich bei all diesen Begegnungen etwas erstaunlich und faszinierend: das Energiebündel GG, die Dynamik, Begeisterungsfähigkeit, die Akribie, die Liebe zum Detail und die Übersicht beim Dirigieren, Arrangieren und Proben. Gruntz war immer in gewisser Weise der Dompteur, der die 18 Solisten aus den USA in kürzester Zeit unter Kontrolle bringen konnte und sie zu einem homogenen Klangkörper verwandeln musste. Immer wieder war (schon in den 80er-Jahren) für mich absolut erstaunlich, wie ein Basler Jazz es schaffte, die Crème de la Crème des US-Jazz für seine Konzertourneen zu gewinnen.
Wie auch Gil Evans und Charles Mingus schaffte es Gruntz jahrzehntelang, Leader-Figuren des Jazz und Individualisten in seiner Concert Band zu integrieren. George Gruntz war ein gewitzter Komponist und Arrangeur, erkannte sehr früh auch die Wirkung des Crossover-Konzepts, indem er Jazz mit Musik aus Nordafrika, mit der Tradition Indiens oder der europäischen Klassik verband, auch die Basler Fasnacht mit dem Klangkörper einer Bigband «fusionierte». Labels wie Atlantik (Siggi Loch!) und MPS (J.E. Berendt) erkannten diese Vorreiterrolle Gruntz’ und produzierten wegweisende LPs in der 60er- und 70er-Jahren. Daneben schuf er sich einen sehr guten Namen als Musical-Director im Schauspielbereich (Schauspielhaus Zürich) und als Film-Musik-Composer (allen voran die «Steppenwolf»-Verfilmung!).
Eine unerreichbare Grösse
Für mich war George Gruntz vor 30 Jahren auch immer eine unerreichbare Grösse in Sachen Management und Finanzierung, hinsichtlich Lobbying für den Jazz und die Welttourneen seiner Concert Band. Ich fragte mich damals immer, wie der es schafft, all die grossen Budgets, die Gelder für Festivals, Welttourneen und Plattenproduktionen zu bekommen. Ich habe GG mit der Concert Band vor mehr als 20 Jahren in New York beobachten können und war perplex, wie halb New York ihm zu Füssen lag. Ein Basler Star in der Jazzszene New Yorks! Gruntz war wohl einer der ganz wenigen business-mässig professionell denkenden und agierenden Gestalten im Jazz, hatte auch immer mit Gérard Lüll und anderen Managern & Helfern einen toughen Background. Dafür erntete er auch häufig Neid und Missgunst.
Auch marketingmässig war George immer top und innovativ. Ich erinnere mich gut an das legendäre Concert-Jazz-Band-Konzert auf dem Jungfraujoch, bei dem einigen Musikern und Zuschauern wegen der beachtlichen Höhe beinahe die Luft ausging. Eine schlicht genialer Event als Schweizer Musiker!
Eine Vorreiterrolle
Als ich George später näher auch freundschaftlich kennengelernt hatte, als wir nächtelang über Festivals im Jazz, über Musik und das Musikbusiness diskutierten, wurden häufig meine damals offenen Fragen beantwortet und ich staunte meist noch mehr, wie man das alles schaffen konnte und kann. Sicher ist: Gruntz war in Berlin Festival-Leiter, als in Sachen Finanzierung und Sponsoring einiges noch einfacher war als heute, als es noch wesentlich weniger Musikfestivals in Europa gab. Seine Generation konnte damals wohl eher als Innovatoren des neuen Festivalgeistes aus dem vollem Schöpfen und hatte – dies war ja auch bei Claude Nobs in Montreux der Fall – mit dieser Vorreiterrolle auch viele Trümpfe in der Hand.
Vielleicht wenige wissen, was George Gruntz in den Anfängen der Jazzschule Basel als Mitglied des Vorstands, als «Spiritus Rector», als Motivator und als Berater geleistet hat. George war eben nicht nur im Ausland ein Botschafter des Schweizer Jazz, er war war es auch in Basel selbst.
Immenser Einfluss
Ich denke, der Einfluss von Geoge Gruntz auf die Schweizer Jazzszene ist immens und derzeit vielleicht allen gar nicht so klar vor Augen. Die Jazz-Szene Basels und der Schweiz verneigt sich vor einem «Gründervater» der hiesigen Musikszene und sagt: thanks George!