Unvorstellbar, wie viele Smalltalks zu diesem Lied geführt wurden: Seit 50 Jahren gehört der Bossa-Klassiker «The Girl from Ipanema» zu Hochzeitsapéros wie das Klirren von Cocktailgläsern.
Heute ist der Ort entzaubert. Unfreundliche Kellner servieren überteuerte Speisen, es ist chronisch überfüllt – die klassische Touristenfalle. Doch hier, in der Veloso Bar in Rios schickem Stadtteil Ipanema, sahen sich 1962 der Bossa Nova-Komponist Antônio Carlos Jobim und sein Leib-und-Magen-Poet Vinícius de Moraes nach der 18-jährigen Generalstochter Heloisa Eneida Menezes Paes Pinto um. Wie das schlanke, braun gebrannte Girl anmutig die Strasse hinunterging, das formten die beiden zur Musik und zu den Worten von «Garota de Ipanema».
Der grosse Welthit nahm zunächst bescheidene Anfänge: Recht holprig trugen ihn die Schöpfer in einem Copacabana-Etablissement namens «Au Bon Gourmet» im August 1962 erstmals vor, durch Gitarre und Gesang von João Gilberto unterstützt, der der Bossa Nova vier Jahre zuvor ihren Rhythmus gegeben hatte. Die Begeisterung für das neue Genre hatte unterdessen auch die USA erfasst. Jazzer von Herbie Mann bis Quincy Jones, vor allem aber der Gitarrist Charlie Byrd und Saxofonist Stan Getz spielten die Hits aus Rio nach.
Delikater Nuschelgesang
Die Neugier der Amerikaner war so gross, dass im November 1962 eine All-Star-Truppe, unter ihnen Jobim und Gilberto, nach New York flog und die Carnegie-Hall mit den tropischen Songs füllte. Etliche Musiker blieben gleich in den USA, Jobim wurde stehenden Fusses von Verve unter Vertrag genommen und spielte zwei Alben unter dem Tonmagier Creed Taylor ein. Für die dritte Session am 18. und 19. März 1963 lud Taylor neben João Gilberto auch Stan Getz mit seinem Sax ein.
Rasch stellte sich heraus, dass er sich damit keinen Gefallen getan hatte: Gilbertos delikater Nuschelgesang kollidierte mit den polternden Improvisationen des Amerikaners. Und die Brasilianer machten sich lustig darüber, dass er die Rhythmen nicht verstand, besorgten ihm erstmal eine Flasche Whisky, um locker zu werden.
Doch Taylor einte die ungleichen Parteien für acht wunderbare, dezente Bossa-Jazz-Stücke, aus denen schliesslich das Album «Getz/Gilberto» wurde, mit einer neuen, panamerikanischen Lesart von Klassikern wie «Corcovado» und «Desafinado». Und natürlich mit der «Garota de Ipanema», die hier zum «Girl» wurde: Gilbertos Frau Astrud, als Vokalistin eher unbedarft, quengelte während der Aufnahmen so lange herum, bis Taylor sie auf dem Song die zweite Strophe in Englisch singen liess.
Erst im Januar 1964 entschloss er sich zur Veröffentlichung. Um im Radioformat zu bleiben, kürzte Taylor dem Fünf-Minuten-Song die portugiesischen Verse weg. Aus dem klangvollen, rhythmisch feinsinnigen «Olha, que coisa mais linda, cheia de graça» (Schau, welch wunderschönes Ding, so voller Anmut) wurde sprachlich eher flach: «Tall and tan and young and lovely». Die misslungene Übersetzung ist für Brasilien-Aficionados bis heute ein Sakrileg, durch sie jedoch wurden Bossa-Fans auf der ganzen Welt gewonnen.
Das Album gewann etliche Grammys, zwei Millionen Mal ging das Lied in kürzester Zeit über den Tisch, wurde bis heute hundertfach gecovert. In der Popgeschichte – so sind sich Kritiker einig – hat vielleicht noch McCartneys «Yesterday» eine vergleichbare Bedeutung.
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Sie ist die Stimme des Ipanema-Girls: Astrud Evangelina Weinert, 1940 als Tochter eines deutschen Einwanderers in Rio geboren, heiratete 1959 den Gitarristen und Sänger João Gilberto und wanderte mit ihm zu Beginn der 1960er-Jahre in die USA aus. In den Getz / Gilberto-Sessions kam sie ungeplant ans Mikro und startete durch die englische Interpretation von «Garota De Ipanema» ihre Karriere. Ihr geringer Tonumfang und ihre naive Gesangsweise kamen der Coolness des Bossa Nova entgegen. Folgedessen arbeitete sie mit Grössen wie Gil Evans und Quincy Jones, später gar mit James Last.