«The Idol» – ein wahres Märchen aus Palästina

Aus dem verheerten Gazastreifen erhebt sich eine Stimme, die Millionen berührt. Der palästinensische Regisseur Hany Abu Assad hat die Geschichte des Sängers Mohammed Assaf verfilmt.

Regisseur Abu Assad gelingt es, die berührende Geschichte nicht mit Politischem zu überladen.

(Bild: © Praesens Film)

Aus dem verheerten Gazastreifen erhebt sich eine Stimme, die Millionen berührt. Der palästinensische Regisseur Hany Abu Assad hat die Geschichte des Sängers Mohammed Assaf verfilmt.

Man hätte Wetten mit Gewinngarantie darauf abschliessen können, dass dieser Stoff bald ins Kino kommt. Zu märchenhaft ist er. Ein Sohn aus einer Flüchtlingsfamilie überwindet gesellschaftliche, politische und ganz konkrete Hürden aus Betonmauern und Stacheldraht, um das Gold, das in seiner Kehle liegt, in die Welt hinauszutragen. Am Ende liegen ihm Tausende, Hunderttausende, Millionen zu Füssen.

Die Geschichte von Mohammed Assaf ist eine Variation einer alten Fabel, die von Aschenputtel bis «Slumdog Millionaire» immer wieder neue Erzählungen findet. Aber in seinem Fall mit dem markanten Unterschied: Alles ist tatsächlich so geschehen, selbst die unwahrscheinlichsten Wendungen. Es brauchte nur ein Regisseur wie Hany Abu Assad vorbeizukommen, um die Geschichte aufzuklauben.

Raketenhafter Aufstieg

«The Idol» heisst sein neuer Film, der seit Donnerstag im Basler Kino Atelier läuft, und im Titel steckt schon die Geschichte: Der Palästinenser Mohammed Assaf ist im Gazastreifen aufgewachsen, wo auf einer Fläche, kleiner als der Kanton Baselland, knapp 1,9 Millionen Menschen wohnen. Seit dem palästinensischen Bürgerkrieg 2007 regiert dort die radikalislamische Partei Hamas, weshalb die Anrainerstaaten Israel und Ägypten das Küstengebiet nahezu hermetisch abgeriegelt haben. Raus kommt man nur mit einer Spezialbewilligung, eine Chance, die nur wenige erhalten.

Assaf, der begnadete Sänger, schafft es mit einem gefälschten Visum nach Ägypten, um dort an der nationalen Vorausscheidung für den Gesangswettbewerb «Arab Idol», ein regionaler Ableger der US-amerikanischen Castingshow «American Idol», teilzunehmen. Als einziger Bewerber aus Gaza angetreten, nimmt er die Hürde zur Endausscheidung in Beirut. 



«The Idol» ist eine Geschichte wie «Slumdog Millionaire». Nur, dass sie nicht erfunden ist.

«The Idol» ist eine Geschichte wie «Slumdog Millionaire». Nur, dass sie nicht erfunden ist. (Bild: © Praesens Film)

Was danach folgt, ist ein Steigflug in die TV-Öffentlichkeit der arabischen Welt, in dem sich Assafs Geschichte mit der politischen Misere der Palästinenser verbindet. «Die Rakete aus Gaza» nennt ihn ein Juror überschwänglich, nachdem Assaf wieder einmal mit einem Lied das Saalpublikum wie die TV-Zuschauer zu Tränen gerührt hat. Der Übername wird fortan zu seinem Nom de guerre.

Anstelle der Raketen, die seit Jahren in regelmässigen Abständen von der Hamas oder anderen, radikaleren Gruppen aus dem Gazastreifen nach Israel abgeschossen werden und ebenso regelmässig eine harsche militärische Reaktion Israels hervorrufen, steigt hier einer aus dem verelendeten Küstengebiet hinauf in Sphären, die für einen wie ihn normalerweise zu weit entrückt sind – und bringt eine Botschaft der Würde, des Stolzes und der Lebensbejahung mit sich.

Die Bürde des Erfolgs

«Ich will nur, dass meine Stimme und diejenige meines Volkes in der Welt gehört werden», lässt Regisseur Abu Assad seinen Hauptdarsteller Tawfeek Barhom (ein israelisch-palästinensischer Schauspieler, der mit dem Melodram «Dancing Arabs» bekannt wurde) einmal auf die Frage einer TV-Reporterin nach der politischen Bedeutung seines Erfolgs für den ungelösten Nahostkonflikt antworten. Das ist das Offensichtliche an Mohammed Assafs Geschichte: Wiewohl es sich um einen Triumph in einem Unterhaltungsformat im Fernsehen handelt, ist die politische Dimension unausgesprochen immer präsent.



Der Traum eines Jungen wird zu etwas Grösserem, als er es sich je hätte vorstellen können. 

Der Traum eines Jungen wird zu etwas Grösserem, als er es sich je hätte vorstellen können.  (Bild: © Praesens Film)

Zu den stärksten Szenen des Films gehört, wie Assaf vor der Schlussrunde von «Arab Idol» in seinem grossen, leeren Hotelzimmer in Beirut sitzt und im Internet all die Aufregung mitverfolgt, die sein Triumph verursacht. Fernsehteams aus dem arabischen Raum wie dem Westen haben bereits vor seinem endgültigen Sieg die Geschichte längst aufgeschnappt und ziehen in den palästinensischen Gebieten umher, um Assafs elektrisierte Mitbürger zu befragen. «Er erfüllt die palästinensische Nation mit Stolz, unser Volk klingt besser durch Mohammeds Stimme», heisst es da, oder: «Unsere Geschichte ist voller Desaster, nun verspüren wir zum ersten Mal Freude und Hoffnung auf einen Sieg.»

Und der lokale Korrespondent des US-Senders CNN berichtet: «Die Palästinenser sind wieder in Massen auf den Strassen von Gaza und dem Westjordanland – diesmal jedoch nicht für Proteste, sondern um einen jungen Sänger zu feiern.» Zu viel für die jungen, schmalen Schultern von Mohammed Assaf – er erleidet vor dem Finale einen Nervenzusammenbruch, von dem er sich nur knapp rechtzeitig erholt.

Berührender Einblick

Regisseur Abu Assad hat gut daran getan, seinen Film nicht mit zusätzlicher politischer Deutung zu beschweren: Die israelische Sperranlage, die Kriege, die Herrschaft der Hamas, die Tunnel – sie sind als Hintergrundkulisse zwar vorhanden, aber stehen der Story nicht im Weg.

«Ich wollte bewusst eine Dokumentation über den Alltag in Gaza vermeiden», sagt Hany Abu Assad im Gespräch mit der TagesWoche, «sondern eine Geschichte erzählen über junge Menschen, die ihre Träume verwirklichen. Ich glaube, die Emotionalität der Geschichte erzählt dem Zuschauer mehr über Leben und Menschen in Gaza als jede Dokumentation.»



Regisseur Abu Assad gelingt es, die berührenden Geschichte nicht mit Politischem zu überladen.

Regisseur Abu Assad gelingt es, die berührende Geschichte nicht mit Politischem zu überladen. (Bild: © Praesens Film)

Dem Kippmoment ins Dokumentarische entgeht Abu Assad jedoch nicht vollständig, als er gegen Ende von «The Idol» mehr und mehr Fernsehmaterial verwendet, um die Dramatik dieser Geschichte zu illustrieren: Originalaufnahmen aus dem Finale von «Arab Idol», aber auch die genannten Fernsehkommentare und TV-Bilder aus den Strassen von Ramallah, Gaza, Nazareth und anderen Städten, wo die Menschen zu Tausenden gebannt auf öffentliche Leinwände starren – um schliesslich, als der Siegername verkündet wird, in ungehemmten Jubel auszubrechen.

«Davon konnte ich unmöglich meine Finger lassen», sagt Hany Abu Assad. «Das Bild der Palästinenser am Fernsehen ist normalerweise geprägt von zornigen Gesichtern, die protestieren, Steine werfen und in Kameras schreien. Mohammed Assafs Geschichte hat eine andere Seite gezeigt. Dass selbst ein armer, vielerorts zerstörter Ort wie Gaza eine solche Stimme voller Glück, Hoffnung und Schönheit hervorbringen kann, die Menschen berührt, ist ein Manifest der Menschlichkeit.»

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«The Idol» läuft seit dem 11. August im Kult.Kino Atelier.

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