«The Revenant»: Ein Film wie ein rohes Stück Fleisch

Alejandro González Iñárritu und die Rachelust treiben Leonardo DiCaprio in «The Revenant» zu Höchstleistungen an: So blutig und gewaltig hat man den mexikanischen Regisseur noch nie erlebt.

Unter welchen Umständen lohnt es sich weiterzuleben? Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) steht vor einer schwierigen Frage.

(Bild: ©Warner Bros.)

Alejandro González Iñárritu und die Rachelust treiben Leonardo DiCaprio in «The Revenant» zu Höchstleistungen an: So blutig und gewaltig hat man den mexikanischen Regisseur noch nie erlebt.

Eins vornweg: «The Revenant» ist nichts für schwache Mägen. Da durchbohren Pfeile in Grossaufnahme Halsschlagadern, werden Pferde ausgeweidet, Finger in Wunden gebohrt und Leonardo DiCaprio fast von einem Bären erdrückt. Wobei Letzteres eigentlich am Anfang des Geschehens steht.

«The Revenant» ist der neueste Film von Alejandro González Iñárritu, und wie schon in «Babel» oder «21 Grams» geht es auch in diesem Werk des mexikanischen Regisseurs um grundlegende existenzielle Fragen wie jene, was die Menschen am Leben hält. Neu ist, dass er diese Frage anhand eines zumindest teilweise historisch verbürgten Plots erörtert.

Leonardo DiCaprio spielt Hugh Glass, einen Scout im Wilden Westen Anfang des 19. Jahrhunderts, der eine Gruppe von Pelzjägern entlang des Missouri zum Fort Iowa führen soll. 300 Meilen vom Ziel entfernt wird Glass von einer Grizzlybärin angegriffen und schwer verletzt. Halbtot wird er mit John Fitzgerald und Jim Bridger, zwei Trappern, zurückgelassen, die ihn schliesslich in ein Grab werfen und zum Sterben zurücklassen. Doch Glass stirbt nicht, sondern kämpft sich schwer verletzt zwei Monate lang durch die Wildnis bis zum Fort, wo er beschliesst, an Fitzgerald und Bridger Rache zu nehmen.




Verletzt und verlassen: Eigentlich bleibt Hugh Glass nur der Tod. (Bild: ©Warner Bros.)

Filmreif genug wären diese historisch verbürgten Fakten bereits gewesen, doch es scheint, als wäre Iñárritu darin das Rachemotiv als zu schwach erschienen. Ein stärkerer Auslöser musste her, und dafür erfand der Regisseur für Glass einen indianischen Sohn, der von John Fitzgerald getötet wird. Mord am einzigen verbliebenen Familienmitglied, ein heftiger Anlass. Und nichts als der Gedanke, jenen zu töten, der ihm alles genommen hat, hält Glass in Iñárritus Version der Geschichte noch am Leben.

Leid und Rache

Iñárritu schmückt den Plot mit weiteren Indianergeschichten aus. Da ist der Tod der geliebten Frau von Hugh Glass. Da ist der alte Häuptling, der seine Tochter sucht, die ihm geraubt wurde. Und da ist der letzte Überlebende eines Pawnee-Stammes, der sich auf die Suche nach einem neuen Volk macht, nachdem die Franzosen seinen alten Stamm ausgelöscht haben.

Diese Indianer haben alle Leid erfahren und ihre eigenen Vorstellungen von Rache, die teilweise ganz anders aussehen als jene ihrer weissen Besatzer. Diese kulturellen Eigenheiten sind es, die Iñárritu faszinieren. Es ist ein Teil der amerikanischen Geschichte und Kulturgeschichte, die der Filmemacher geschickt mit einem Einzelschicksal verwebt.




Allein auf weiter Flur: Hugh Glass. (Bild: ©Warner Bros.)

«The Revenant» ist kein Film, der Hoffnung versprüht. Das sind wir uns von Iñárritu auch nicht gewohnt. Doch das Setting dieses Filmes macht die Beklemmung, die auch seine anderen Filme durchdringt, noch heftiger spürbar. Schneestürme und eisige Kälte bilden den szenografischen Hintergrund, vor dem sich das Drama abspielt. Gedreht wurde ausschliesslich mit natürlichem Licht, was dem Film zusätzlich realen Charakter verleiht.

Iñárritu setzt uns seinen Film vor, als wäre er ein Stück rohes Fleisch. So wie die Bisonleber, welche DiCaprio verspeist, die echt und noch körperwarm war und den Schauspieler nicht nur zum Schein würgen liess. Iñárritu will den Schauspielern und dem Zuschauer unter die Haut, und es gelingt ihm.

Erde, Blut und Schweiss

Das rohe Epos lebt von der Diskrepanz zwischen der von einer Heftigkeit geprägten Geschichte, die gleichzeitig in wunderbaren Bildern schwelgt. Landschaften und Träume, Natur- und Menschengewalt. Wortkarge Einsamkeit. Rotes Blut auf weissem Schnee. Erde, Spucke und Schweiss, den man zu riechen glaubt. Näher, so hat man an manchen Stellen das Gefühl, kann ein Film nicht an die Materie des Lebens kommen.

Und über allem schwebt die Rache. Und die Frage: Was geschieht mit dem Lebenswillen, wenn man kein Ziel im Leben mehr hat? Iñárritu lässt die Antwort offen.

_
«The Revenant» läuft ab dem 7. Januar in den Basler Kinos.

Nächster Artikel