Theater: Brutale Antithese zur Illusion der «Wonderful World»

Euripides‘ grausame Rachetragödie «Die Bacchen» wurde am Basler Schauspielhaus in der Bearbeitung von Roland Schimmelpfennig bildstark und schaudererregend in Szene gesetzt.

Dionysos (Thiemo Strutzenberger) mit dem Chor der Bacchen (Cathrin Störmer und Pia Händler).

(Bild: Simon Hallström / ICONIQ Studio)

Euripides‘ grausame Rachetragödie «Die Bacchen» wurde am Basler Schauspielhaus in der Bearbeitung von Roland Schimmelpfennig bildstark und schaudererregend in Szene gesetzt.

Wehe, wer die Rache der Götter zu spüren bekommt! In triumphierender Pose schreitet Agaue, Königsmutter von Theben, die Bühne. Überwältigt von dem, was geschehen ist, streckt sie einen blutigen Klumpen in die Höhe. Es ist der Kopf des Berglöwen, den sie zusammen mit ihren Schwestern mit blossen Händen erledigt hat. «Ich habe etwas Grosses, etwas wirklich Grosses getan, und jeder kann es sehen», sagt sie

Wir Zuschauer wissen es besser. Der Chor weiss es, ebenso Agaues Vater. Und Agaue wird es ebenfalls erfahren, wenn sie langsam von ihren Wahn befreit sein wird. Es ist nicht der Kopf des Löwen, den sie in ihren Händen trägt, sondern das Haupt ihres Sohnes. Das von Pentheus, König von Theben, der von seiner Mutter und seinen Tanten im irrsinnigen Blutrausch zerfetzt wurde. Es ist das grausam-gruselige Spiel von Dionysos, der damit die schlimmste erdenkliche Rache nimmt an den Menschen, die sich seiner Göttlichkeit nicht unterwerfen wollten.

Unter dieser Oberfläche brodelt es

50 Minuten dauert der zweite Teil von Robert Borgmanns Inszenierung von Euripides‘ «Die Bacchen» in der Bearbeitung durch Roland Schimmelpfennig. Oberflächlich ruhig und unaufgeregt ist das Geschehen auf der ausser einem Sofa und einem Erdhaufen leeren Bühne. Aber unter dieser Oberfläche brodelt es. Der Augenzeuge, der von der grauenvollen Tat berichtet, tut dies wie einer, der nicht mehr zu Emotionen fähig ist. Er weicht stetig einem Spiegel auf zwei Beinen aus, der ihn verfolgt. Er mag nicht mehr in sein eigenes Antlitz blicken.

Und dann der starke Auftritt von Katja Jung als Agaue. Der Wahn der Frau, die soeben ihren Sohn zerfetzt hat, der dann der Erkenntnis ihrer ungeheuerlichen Tat weicht, braucht keine Raserei, kein Umsichschlagen. Starr steht sie an der Bühnenrampe, den Körper bis zum Zerreissen angespannt. Und doch wird der Zusammenbruch vom Triumph in das Entsetzen aufs Innerlichste sicht- und fühlbar. Das Leid ist bis in die hinterste Zuschauerreihe greifbar.

In der Raserei

Das ist im ersten Teil des Abends noch ganz anders. Hier wird die Raserei der Figuren, die zu Marionetten des grausamen Rachespiels des Dionysos werden, voll ausgespielt. Begleitet von berauschenden Beats des Musikers Philipp Weber, der am rechten Bühnenrand aus Gitarre und Synthesizer und über ein Mikrophon ein packendes Soundspektrum herausholt, wogen, wälzen sich und tanzen Dionysos und seine weibliche Gefolgschaft, eben die Bacchen, in einem Bad aus Blut und Dreck.

Sie lassen sich Zeit damit. Etwas viel Zeit vielleicht. Aber die Spuren, die dieses Ritual hinterlässt, sind eindrücklich. Ein riesiges Body-Action-Gemälde, das später hochgezogen wird und als Bühnenhintergrund dient. Mitten unter den im Wahn Tanzenden schält sich schliesslich die Figur des Dionysos heraus. Thiemo Strutzenberger spielt den Gott des Rausches, der Ekstase und der Fruchtbarkeit als einen von seinen Rachegedanken gnadenlos Besessenen, dessen diabolisches Lächeln stets klarmacht, dass von ihm nichts Gutes zu erwarten ist.

Sein Gegenpart ist der König Pentheus (Ingo Thomi). Er ist der stolze Aufklärer, der sich dem Göttlichen nicht unterwerfen möchte, damit aber selber der Raserei verfällt, wenn er vergeblich versucht, mit dem Zweihänder gegen das Unfassbare anzukämpfen und nur noch Schneisen in die Luft schlägt.

Den Tragödienhelden gibt es nicht

Es ist das Faszinierende und Rätselhafte an Euripides‘ Tragödie, dass sich der grosse Autor der Antike nicht festlegen lässt, ob er damit den Menschen Gott fürchten oder Gott als furchtbar aufscheinen lassen möchte. Wer hat recht? Der Aufklärer oder der Rächer? Regisseur Borgmann legt sich nicht fest. Sein Dionysos ist so diabolisch, dass man ihn eigentlich nur fürchten oder verabscheuen kann. Auf der anderen Seite löst die Arroganz des Königs aber ebenfalls keinerlei Sympathien aus.

Borgmann verzichtet auch auf jeglichen Aktualitätsbezug, zu dem die Tragödie verführen könnte. Es ist nicht der religiöse Wahn der islamischen Gotteskrieger, der hier aufgezeigt wird. Nicht die ausser Rand und Band geratenden Ausschweifungen eines dekadenten Partyvolks, das sich von einem Guru in den Abgrund treiben lässt. Es ist vielmehr die brutale Antithese zur Illusion einer «Wonderful World», die am Schluss des Abends vor schimmernden Videobildern der eben nicht so wundervollen Welt musikalisch erklingt.

Herausragendes Spiel

«Die Bacchen» bleiben auch in der textlichen Bearbeitung durch den gefeierten Theaterautoren Roland Schimmelpfennig, der den antiken Versen einen ungekünstelten und damit einen um einiges einfacher verständlichen Sprachfluss verleiht, rätselhaft und nicht wirklich durchschaubar. So rätselhaft und undurchschaubar eben, wie sich uns die Welt von heute präsentiert.

Der mit Pause gute drei Stunden dauernde Abend hat seine Längen; die Inszenierung wirkt im ersten Teil da und dort etwas zerdehnt. Doch es ist einmal mehr die herausragende Leistung des Ensembles, die den Abend zu einem faszinierenden Erlebnis werden lässt.

Die drei Hauptfiguren wurden hier bereits genannt. Dazu kommen die beiden Bacchen oder Mänaden (Cathrin Störmer und Pia Händler), die als wüste Hexen das Geschehen in zynisch-durchtriebener Art kommentieren. Dann die beiden Alten, der Seher Teiresias (Steffen Höld) und Pentheus‘ Grossvater Kadmos (Michael Gempart) sowie der Hirte (Nicola Mastroberardino) als Figuren, die zwischen den zwei Welten hin- und hergerissen werden.
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«Die Bacchen» von Euripides in einer Bearbeitung von Roland Schimmelpfennig. Theater Basel, Schauspielhaus. Die nächsten Vorstellungen: 14., 17., 31. März sowie im April.

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