Nach einem Jahr Zigaretten und Stille ist Thees Uhlmann zurück – mit einem ersten Roman. Der ehemalige Frontmann der Hamburger Band Tomte im Gespräch über Religiösität, «Herr der Ringe» und weshalb Deutsche für Schweizer manchmal wie Maschinengewehre klingen.
Menschenfischer, Rampensau, deutscher Bruce Springsteen, Weissweinschwamm, Fussballfanatiker, Feierbiest: Der 41-jährige Thees Uhlmann hat sich im Laufe seiner Karriere schon einige Spitznamen und Zuschreibungen abgeholt. Die meisten lassen dabei auf eine extrovertierte Persönlichkeit schliessen – nicht zu Unrecht. Doch das letzte Jahr sah Uhlmann sich von Geduld, Zigaretten und Stille eingekesselt. Der Songwriter und ehemalige Frontmann der Band Tomte hatte sich in Klausur begeben. Zurück kehrt er nun mit seinem ersten Roman, «Sophia, der Tod und ich».
Für den Singer/Songwriter mit Punkvergangenheit stellt «Sophia, der Tod und ich» streng genommen nicht das Buch- sondern lediglich das Roman-Debüt dar. Denn bereits 1999 erschien das Tourtagebuch «Wir könnten Freunde werden», das er über seine Zeit als Roadie bei der Band Tocotronic verfasste. Danach trat das Thema Buch in den Hintergrund, seine Band Tomte schaffte den Durchbruch, nach deren Auflösung wurde Uhlmann mit zwei Soloplatten sogar noch erfolgreicher. Nicht zu vergessen das Hamburger Plattenlabel Grand Hotel van Cleef, das er gemeinsam mit Musikern der Gruppe Kettcar gründete. Auch hier hat der Mann mit der entschlossenen Aura und der Zahnlücke viel bewegt hinsichtlich Musik mit deutschen Texten.
Doch statt die verdienten Lorbeeren aufzuzehren folgt also nun … der eigene Roman.
Keine Berlin-Prosa
Was in dem 300 Seiten starken Werk neben den Illustrationen sofort ins Auge fällt, ist, dass Uhlmann smart genug war, nicht in die Musikerroman-Falle zu tappen. Im Gegensatz zu beispielsweise Jochen Distelmeyer von der Band Blumfeld verzichtet er darauf, das eigene Milieu zu bespiegeln. Keine Berlin-Prosa, kein Schaulaufen für Eingeweihte, nein, bei Uhlmann sind die Protagonisten nicht Künstler sondern echte Menschen. Altenpfleger und Fussballfans – vom Tode bedroht.
Die Hauptfigur erhält Besuch von ebenjenem, doch als in die ausgegebenen letzten fünf Minuten Lebenszeit Ex-Freundin Sophia reinplatzt, bekommt das Exodus-Szenario einen Riss. Der Tod betritt als Person die Welt und zieht als von diesem Umstand hoch begeisterter Typ mit dem ehemaligen Pärchen umher. Der Weg führt schnell in die Kneipe, wo sich der Sensenmann seinen ersten Kater abholt. Später klappert man die wirklich wichtigen Orte ab, die es aufzusuchen gilt, wenn das Ende unvermeidlich wird. Noch einmal heim zu Mutter und dann zum 7-jährigen Sohn, den der Protagonist vorher noch nie gesehen – ihm aber jeden Tag seines Lebens eine Postkarte geschrieben hatte.
«Sophia, der Tod und ich» ist ein gleichermassen rührendes, romantisches wie markiges Debüt. Thees Uhlmann hat etwas zu erzählen und mit Unterhaltung kennt er sich ohnehin aus. Nach seinem Auftritt bei Jan Böhmermanns «Neo Magazin Royale» ist der charmante Neu-Literat in einem noblen Hotel in Köln anzutreffen. «Das hier», er deutet entschuldigend in die riesige Suite – Whirlpool neben dem Bett inklusive, «das hier hat das öffentlich rechtliche Fernsehen gebucht. So lebe ich normalerweise wirklich nicht!»
Herr Uhlmann, Ihr Roman beschäftigt sich mit den existenziellen Dingen des Lebens und vor allem des Sterbens – an was glauben Sie selbst?
Der erste libertäre Moment in meinem Leben war der Konfirmationsunterricht. Ich hatte einen geilen Pastor. Damals waren die Themen, die mich beschäftigten Apartheid, Umweltverschmutzung, Tschernobyl … und der konnte das enorm gut auffangen – natürlich immer mit so einer Jesus-Kante, aber ich hatte erstmals das Gefühl, da ist wer, der einem was beibringen kann. Daran schloss sich noch die evangelische Jugend an, das war für mich ebenfalls sehr wichtig, weil es letztlich nur ein Vorläufer dessen war, was wir dann später im Punk gemacht haben. Also dieses Gefühl, seine Sache selbst gestalten zu wollen und zu können: «Komm, wir sammeln jetzt 20 Leute, die wir irgendwie okay finden, und wir erschaffen etwas zusammen.» Diese kirchlich angebundene Zeit war für mich tierisch wichtig – auch hinsichtlich der Gitarre. Und im Zuge dessen war ich einfach gläubig. Ich habe dabei an so einen abstrakten christlichen Gott gedacht.
Aber das hat in der Form nicht überdauert?
Es kam dann der Moment, der sich 1:1 auch in einer Szene des Buchs wiederfindet. Also: Habe ich an Gott geglaubt? Ja! Habe ich gebetet, als ein Freund an Krebs erkrankt ist? Ja! Habe ich aufgehört zu glauben, als er gestorben ist? Auch ja. Meine Tochter ist zum Beispiel nicht getauft, aber dennoch sehe ich mich zumindest noch sehr evangelisch lutherisch geprägt. Also am Ende des Tages oder des Lebens wird nicht gefragt, wie viel du gebetet hast, sondern ob du versucht hast, die Sache hier ganz okay zu machen – und zwar eben nicht nur für dich.
Sehr charakteristisch für das Buch ist, dass es nicht darum geht, die eigene Lebenswelt Uhlmann zum Schauplatz zu machen. Wenngleich man Sie natürlich in den zahlreichen Punchlines der Figuren immer wieder auch raushört.
Natürlich ist der Text eine Geschichte durch die Augen von mir als Künstler. Ich glaube auch fest, dass Künstler schwächer werden, wenn sie diesen Punkt erreichen, der nur noch vermitteln will: «Das, was ich jetzt tue, hat nichts mehr mit mir selbst zu tun.» Wovon ich bei guten Büchern eher ausgehe, dass selbst bei sowas wie «Herr der Ringe» ganz viel von Tolkien drinnen ist – und wenn er nur sich oder seine Frau als Ork gesehen hat und er aus ihrem letzten Streit was ins Buch hat einfliessen lassen. Man besitzt eben nur ein Gehirn. Und so ist auch bei mir viel von mir in den Figuren, auch wenn es ganz bewusst eine andere Welt ist. Vielleicht kann sich der ein oder andere mehr ausdenken, Jules Vernes zum Beispiel.
Die Lesereise zum Buch führt Sie auch in die Schweiz. Woran denken Sie, wenn das Wort «Schweiz» fällt?
Ich denke vor allem daran, dass ich mein Kind zusammen mit einer Schweizerin bekommen habe – mit einem Mädchen aus Basel. Ich mag, dass unsere Lebenswelten sich zu zwei Drittel auf den gleichen Kulturkreis beziehen, aber dass man trotzdem immer wieder auf frappierende Unterschiede stösst. Da erinnere ich mich, dass wir in ihrer Küche mit ihren Eltern sassen und ich habe – gefühlt ganz normal – etwas zu einer Diskussion beigesteuert. Da sagt der Vater plötzlich zu mir (imitiert schweizerdeutsch): «Thees, immer wenn Du etwas über Politik sagst, klingst Du wie ein deutsches Maschinengewehr». Da ist ja mal ein Satz, da muss man erstmal drüber nachdenken!
Spukt Ihnen zu dem Thema noch mehr im Kopf herum?
Klar, zum Beispiel wie jedes Wochenende das deutsche Konstanz total voll ist, weil die ganzen Schweizer über die Grenze fahren und da den Lidl leerkaufen und mit bis zur Oberkante gefüllten Wagen wieder zurückreisen. Ansonsten fasziniert mich, dass man sich in der Schweiz immer mit Geld und Gold auseinandersetzen muss – und wie dann unschuldig geguckt wird, wenn es mal wieder von allen Seiten heisst: «Ihr könnt euch doch nicht die Taschen vollmachen mit den Vermögen von allen Diktatoren der ganzen Welt. Und dass dann entgegnet wird: Wir sind halt die Schweiz» … so eine Haltung, die muss man erstmal bringen!
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Thees Uhlmann liest aus «Sophia, der Tod und ich», am 13. November 2015, Zürich, Bogen F.