Thierry Furger holt die Kunst von der Strasse in den Ausstellungsraum

Thierry Furger lässt sich für seine Gemälde von der Graffiti-Bewegung und deren Technik inspirieren. Seine neusten Werke stellt er nun im Artstübli aus.

Schüttelmaschine aus alten Spraydosen: Thierry Furger stellt im Artstübli aus.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Thierry Furger lässt sich für seine Gemälde von der Graffiti-Bewegung und deren Technik inspirieren. Seine neusten Werke stellt er nun im Artstübli aus.

Lange Zeit gab es entweder renommierte Kunst in Museen oder meist von der Kunstwelt unbeachtete Sprayereien auf der Strasse. Die gegenwärtige Urban-Art-Bewegung verwischt diese Grenze und zeigt, dass die Street-Art-Ästhetik institutionstauglich ist. Einer der gegenwärtigen Schweizer Akteure dieser Kunstrichtung ist der 1975 geborene Thierry Furger, seine grossformatigen Spraybilder nennt er «Buffed Paintings».

Thierry Furger ist als Kind in Basel aufgewachsen und wurde im frühen Alter von der damals blühenden Graffiti-Bewegung der Neunzigerjahre in den Bann gezogen. Mit dicken Markern und Spraydosen schrieben unzählige Sprayer und Crews ihre Pseudonyme auf Fassaden und nutzten Züge als mobile Leinwände, um ihre Namen über die Stadtgrenze hinaus bekannt zu machen. 

Die Ästhetik der «Unorte»

Nun sind mehr als zwanzig Jahre vergangen, in denen der Maler die subkulturelle Entwicklung der Sprayer aus der Aussenperspektive des Fotografen dokumentiert hat. Dabei sind es nicht nur die klassischen Graffiti-Schriftbilder an sich, die ihn zu seinem malerischen Schaffen inspirieren, vielmehr ist es die raue ungebändigte Ästhetik der sogenannten «Unorte», die als Grundlage für die Entstehung seiner Werke dienen.




Inspiriert von der Strasse: Furgers neueste Werke. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Furger beschäftigen nicht die am Sonntagnachmittag auf legalen Wänden entstandenen Hochglanzgraffiti, viel mehr interessiert ihn der Trash-Faktor dieser illegal ausgeübten Kunstrichtung. «Du musst dir ein Gässlein vorstellen, das von oben bis unten zugetaggt ist. Jeder malt über den anderen auf der 50-jährigen Wand, die selber eine Geschichte hat», schildert der Kunstschaffende seine Faszination.

Der Prozess der dauernden Veränderung durch Übermalen, Farbe, die in der Sonne verblasst und von der Wand bröckelt – Furger will das Gesamtwerk dieser Ästhetik in seinen neusten Werken wiedergeben. Für die Ausstellung «Going Over» holte er seine alten Gemälde hervor und beschloss, diese in mehreren Anläufen zu übermalen. Fünf bis zehn Farbschichten können übereinander liegen, bis ein Bild für fertig erklärt wird.

Schicht für Schicht

Bereits in seiner ersten Ausstellung im Jahre 2007 griff er dieses künstlerische Mittel des mehrfachen Übermalens auf und hat die Technik stetig weiter entwickelt. Wie beim «Buffen», wie diese Technik im Graffiti genannt wird, entfernt auch er mit einem Graffitikiller die angebrachte Farbe immer wieder. So nimmt Thierry Furger nicht nur die Funktion des Bilderschaffers, sondern auch die des Zerstörers ein, wie sie sonst die offizielle Reinigungsbehörde der Stadt ausübt.

Die Fragilität und Vergänglichkeit der Strassenkunst ist nicht nur das Kernthema seines Schaffens, sondern auch ein bewusst eingesetztes Stilmittel. «Im ersten Moment denkt man, wenn Graffiti entfernt werden, bleibe nichts. Aber es entstehen typische Spuren des Wischens, die aussehen wie Wolken», betont der Künstler, indem er auf die schwungvollen Bewegungen in seinen Werken weist.




Auch das Löschen von Graffiti hinterlässt Spuren. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Der inzwischen in Zürich lebende und als Grafiker arbeitende Furger stützt sich im Gegenzug zu den Tags auf der Strasse nicht nur auf Kalligrafie und Botschaft, vielmehr möchte er das Malerische weiterentwickeln. Die Schrift ist die Grundlage für den Ausdruck, der Akt der mehrfachen Übermalung und der Einsatz der Reinigungsmittel im Malprozess löst die Klarheit der Schrift in Muster und in undefinierte Farbflächen jedoch wieder auf. Deshalb spricht er bei seinen Arbeiten von abstrakter Kunst und nicht von klassischem Graffiti. «Graffiti ist für mich draussen, und es muss draussen sein. Sobald man versucht, Graffiti eins zu eins in den Kunstraum zu adaptieren, geht die ganze Kraft verloren, es wirkt hilflos», erklärt der Maler.

Neben der Maltechnik sind es Relikte wie die aus verbrauchten Spraydosen entstandene Schüttelmaschine, die uns an den Aussenraum erinnern. Als Malunterlage wählt Furger Objekte mit Geschichte und keine fragilen Leinwände. Viele seiner Bilder entstehen auf ehemaligen Plakattafeln aus Metall, die zwanzig, dreissig Jahre draussen hingen und nun den urbanen Charme ins Artstübli bringen: «Going Over» ist eine pure Hommage an die Strasse.
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«Thierry Furger – Going Over», Artstübli, Basel. 27. Mai bis 2. Juli 2016.

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