Tigran Hamasyan bearbeitet sakrale Klänge seiner Heimat Armenien und gehört zu den spannendsten Pianisten der Jazzgegenwart. Am 7. Mai kann man ihn im Rahmen des Jazzfestivals in der Dorfkirche Riehen erleben – zusammen mit einem Chor.
Ein Armenier zwischen zwei Welten: Der 27-jährige Tigran Hamasyan war Protegé von Chick Corea und Herbie Hancock, stieg schon als Teenager zu einem der spannendsten Jazzpianisten auf, verknüpft den Jazz mit Hardrock, Dubstep und armenischer Folklore. Beim Jazzfestival Basel widmet er sich mit einem achtköpfigen Chor ganz der sakralen Musik seiner Heimat.
Tigran Hamasyan, auf dem Cover Ihrer aktuellen CD steht ein Baum im Wasser, wo er wurzelt, ist nicht mehr sichtbar. Ist das ein Spiegelbild für Ihre Musik?
In gewisser Weise ist es eine Metapher, ja, denn dieses Album hat etwas sehr Persönliches, spiegelt mein derzeitiges Leben. Manchmal vergessen wir, in unser Inneres zu blicken, aber dort finden wir unsere Wurzeln. Damit meine ich nicht unsere ethnische Herkunft, sondern unser spirituelles Wesen. Wir leben lieber materialistisch und machen das, was die Gesellschaft von uns erwartet. Du kommst an einen Punkt, wo sich deine Wurzeln über dieses Leben lustig machen, daher der Name des Albums: «Mockroot». Und dann merkst du, dass du auf deine innere Stimme hören musst.
Ihre früheren Platten waren dagegen eher Bebop- und Hardrock-gesteuert…
Ja. Mit drei Jahren versuchte ich bereits, die Vinylsammlung meines Vaters auf dem Klavier nachzuspielen – Platten von Led Zeppelin und Black Sabbath. Also haben mich meine Eltern in eine Musikschule gesteckt. Mit elf habe ich dann Jazz entdeckt, ich hörte unheimlich viel Bebop, das Spontane, Improvisatorische begeisterte mich. Bei meinem Onkel entdeckte ich Keith Jarrett und Jan Garbarek, ich fragte mich, wie man solche Töne aus dem Klavier oder dem Sax herausbekommt. Eine Sache habe ich damals schon verstanden: Du kannst ein Meister der Improvisation werden, aber welches Vokabular du dafür verwendest, ist deine freie Wahl. Und so habe ich meine ersten Arrangements zu armenischer Volksmusik geschrieben.
Mit 16 zogen Sie von Jerewan nach Los Angeles, wo Sie einige Jahre lang lebten. Welche Rolle spielte dieser Ortswechsel für Ihre Laufbahn?
Zuerst war es etwas hart, ein Kulturschock. Doch bot sich mir so die Möglichkeit, eine Menge grossartiger Musiker zu treffen. Es war eine sehr fruchtbare Zeit, ich habe viel Musik geschrieben. Ich war noch kein Jahr in L.A., da habe ich schon mein Debütalbum veröffentlicht.
Besonders wichtig für Sie war Herbie Hancock, der Sie wiederum bewundert…
… ja, durch Herbie habe ich eigentlich den Jazz entdeckt, durch seine Phase mit den Headhunters. Erst danach lernte ich den anderen Herbie kennen, den der Sechziger und des Miles Davis Quintets. «Empyrean Isles» ist für mich nach wie vor eine der besten Jazzplatten, die je gemacht worden sind.
Auf «Mockroot» haben Sie in einigen Stücken sehr komplexe Metren, die an die aktuelle elektronische Musik erinnern, ist auch das für Sie eine Einflusssphäre?
Oh ja, einige Songs lehnen sich am Dubstep an. Ich verwende verschiedene Metren übereinander, Vierer- und Fünfer-Zählzeiten, dadurch bekommt die Musik einen unregelmässigen Beat, wie in der Glitch Music. Die rhythmischen Ideen dürfen aber nie als Selbstzweck dastehen, wie das nach meinem Dafürhalten oft in der elektronischen Musik der Fall ist. Wichtig ist, was du dann damit tust. Du kannst sie natürlich in den Computer einprogrammieren und dann keine Musik daraus schaffen. Die Melodien und Harmonien dazu sind wichtig.
In Riehen verlassen Sie nun den Jazz, den Hardrock, den Bebop, den Dubstep. Sie gehen mit einem achtköpfigen Chor in die Kirche.
Das ist ein ganz besonderes Projekt, das vor drei Jahren anfing, in meinem Kopf Gestalt anzunehmen. Wir spielen ausschliesslich sakrale Musik aus Armenien, die ich für den Chor arrangiert habe, einige Solo- und Duostücke sind auch dabei. Bei den Sängerinnen und Sängern handelt es sich um eine Kammerversion des Staatlichen Chors von Jerewan. Seit zehn Jahren höre ich diese Musik immer wieder, und irgendwann wusste ich, dass ich damit etwas machen muss.
Können Sie uns erklären, was das Besondere ist an dieser sehr alten Musik, was Sie daran so fasziniert?
Die sakrale Musik Armeniens und die Volksmusik haben eine gemeinsame Wurzel, sie beruhen auf den gleichen Skalen. Diese Gesänge und Hymnen sind ein grosser Reichtum, es sind sehr schöne, komplexe und bedeutungsvolle Melodien, die von heiligen Männern stammen. Es liegt mir viel daran, diese uralte Musik der heutigen Generation nahezubringen. Wir sprechen hier von modernen Arrangements mit Improvisation, auch ein bisschen präpariertem Piano. Denn das ist Musik, die nicht von menschlichen Händen geschrieben wurde.
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Live: 7. Mai, Dorfkirche Riehen, 20 Uhr. Im Rahmen des Jazzfestival Basel.