Einst zogen sie für den Freiheitskampf ihres Volkes in Militärcamps. Doch seit über dreissig Jahren nimmt das malische Kollektiv Tinariwen elektrische Gitarren zur Hand, um vom Leidensweg seines Volkes, der Tuareg, und von seiner Heimat, der Wüste zu singen. Am 17. November treten sie in der Kaserne Basel auf.
Tinariwen, «leerer Ort» – diesen Namen haben sie sich gegeben in den frühen 1980ern, als sie die Gewehre weglegten und die Gitarren ergriffen. Die Geschichte dieser Band aus der Sahara gäbe genug Stoff her für eine Netflix-Serie, sie handelt von Krieg und Diktatur und vom unerfüllten Traum der staatlichen Unabhängigkeit eines Volkes, der Tuareg.
Ihr erster Aufstand begann 1963, nach dem Ende der französischen Kolonialherrschaft in Nordafrika, als neue Staaten entstanden und das alte Nomadenvolk plötzlich durch neue Grenzen geteilt war: Niger, Libyen, Algerien und Mali. Der Aufstand wurde von der malischen Armee niedergeworfen, die Tuareg zu Flüchtlingen. Einer von ihnen war Ibrahim ag Alhabib, damals noch ein Kind, das mit seiner Familie in einem Flüchtlingslager in Algerien landete. Dort sah er erstmals einen Mann auf einer Gitarre spielen, einen Song von Elvis Presley. Er ging hin und bat ihn, ihn das Instrument zu lehren.
Als zu Beginn der 1980er-Jahre der libysche Machthaber Ghaddafi Tuareg in militärischen Trainingscamps auszubilden begann – vorgeblich, um ihren Befreiungskampf in Mali und im Niger zu fördern, tatsächlich jedoch, um sie als Söldner für den libanesischen Bürgerkrieg und gegen Israel auszubilden –, ging Ibrahim ag Alhabib wie viele andere junge Tuareg ins Camp. Fand Gleichgesinnte. Und beschloss mit ihnen mit Gitarren und Liedern das Ziel der Selbstbestimmung zu ehren, solange sich die politischen Ambitionen ihres Volkes nicht erfüllen liessen.
Robert Plant gehörte früh schon zu ihren Fans
«Musik gehört seit Generationen zur Kultur unseres Volkes», sagt Eyadou Ag Leche, seit 2001 Bassist von Tinariwen, im per E-Mail geführten Interview mit der TagesWoche. Dass die Musik jedoch aus der Wüste hinausfand, war dem Boom der Weltmusik zu verdanken: In der malischen Hauptstadt Bamako, fernab der Wüste, traten Tinariwen 1999 erstmals vor einem grösseren Publikum auf, in dem auch Westler anwesend waren. Die Zuschauer waren begeistert von den Männern mit Turban, langen Gewändern und elektrischen Gitarren. Vier Jahre später stieg Robert Plant, Sänger von Led Zeppelin, bei einem Festival in der Wüste von Mali zu ihnen auf die Bühne.
Danach sagte Plant über ihre Musik: «Als ob man einem Tropfen lauscht, der in einen tiefen Brunnen fällt.» Kein Wunder, fühlen sich vor allem Musiker der Americana vom Sound von Tinariwen angezogen. Die knisternden, trockenen Gitarren, die über einem unaufgeregten Groove aus Bass und Perkussion wippen, wecken Assoziationen an die Melodramen des Blues. «Die Nacht der Wüste ist der perfekte Ort für unsere Musik», schreibt Ag Leche, wo Weite, Leere und Langsamkeit die Atmosphäre für den Klang ihrer Lieder stiften würden. Aber nicht immer stand ihnen die Wüste offen.
«Emmaar», ihr Album aus dem Jahr 2014, nahmen sie erstmals nicht in der Heimat auf: Nach einem Putsch der Miliz Ansar Dine wurde im Norden Malis 2012 eine islamistische Herrschaft eingeführt, Blues und andere Sorten nichtsakraler Musik verbannt, und die Band zog für die Aufnahmen in die USA, in die Mojave-Wüste. «Eine grosse Inspiration, aber kein Vergleich mit der vertrauten Wüste der Heimat», so Ag Leche.
Fragile Situation in ihrer Heimatregion
Unter der Führung der französischen Armee wurde in der Operation Serval das Regime von Ansar Dine vor zwei Jahren zwar beendet, «aber die Situation bleibt fragil», sagt Ag Leche, «auch wenn in der Region Azawad, im Norden von Mali, nun mehr Ruhe eingekehrt ist. Im Moment erlaubt es die Lage nicht, den Norden zu bereisen oder gar internationale Musikfestivals durchzuführen. Aber unser Volk der Tamashek [Selbstbezeichnung der Tuareg, Anm.] ist nun wieder freier, unsere traditionelle wie zeitgenössische Musik öffentlich zu spielen.»
Poesie als Freiheitskampf
Immerhin für das neue Album «Elwan», das Anfang 2017 erscheinen wird, war der Weg in die heimatliche Wüste wieder offen. Die Erfahrungen des US-Blues, der «neue Sound», an dem man laut Ag Leche dort gearbeitet habe, werde im neuen Album seine Spuren hinterlassen. «Wir reisen für unsere Musik durch die Welt, und wo immer wir Menschen finden, die bereit sind, mitzumachen, laden wir sie ein. Zur Musik, aber auch zum Gespräch über unser Volk, das einen langen Leidensweg hinter sich hat», schreibt Ag Leche.
Der Freiheitskampf bleibe das Fundament der Band, «aber die Botschaft verbreitet sich durch die Poesie, versteckt sich in den Worten und Zeilen.» Wie der Blues, der aus der Marter der Afroamerikaner geboren sei, tragen auch die Lieder von Tinariwen einen Kern der Hoffnung, des Friedens und der Menschlichkeit in sich. «Das Leiden gebiert den starken Wunsch nach einem besseren Leben, und daraus entsteht oft die beste Musik.»
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Tinariwen live: Kaserne Basel. Do, 17. November, 21 Uhr.