Tinguelys Geist in der Gegenwart

Zehn Künstler haben sich für «Métamatic Reloaded» mit Jean Tinguelys Idee der Zeichenmaschine auseinandergesetzt. Die Resultate sind im Museum Tinguely erstmals zu sehen.

(Bild: Daniel Spehr / © )

Zehn Künstler haben sich für «Métamatic Reloaded» mit Jean Tinguelys Idee der Zeichenmaschine auseinandergesetzt. Die Resultate sind im Museum Tinguely erstmals zu sehen.

Man werfe zwei Franken in die Maschine ein, und der Stift beginnt aufs Papier zu malen. Klopft eher, wenn mans genau nimmt. Am Schluss nimmt man das Papier aus der Maschine – voilà! Fertig ist das Kunstwerk!

Jean Tinguely, dem Erfinder dieser Zeichenmaschine, dieser «Métamatic», ging es natürlich nicht nur um den spielerischen Effekt, die unseren Kindern daran so Spass macht. Der Künstler thematisierte damit den künstlerischen Prozess an sich, die Frage nach Produktion und Rezeption. Der Betrachter fungiert nicht nur als passiver Part, sondern wird als Teil des Kunstwerkes mit eingebunden. Die Maschine wiederum wird zum Produzenten von Kunst, wenn sie auch erst durch einen Künstler hergestellt werden musste.

Die Fragen, die Tinguely vor mehr als 50 Jahren umtrieben, haben heute nichts an Aktualität verloren. Nur die Materialien haben sich gewandelt: die Maschinen von damals sind heute die Computer. Für die Ausstellung «Métamatic Reloaded» haben verschiedene Künstler sich nun mit Tinguelys Zeichenmaschinen beschäftigt – sie hinterfragt und in die Gegenwart übersetzt. Wer aber nun glaubt, zu sehen seien lauter Computer, die auf Mausklick eigene Kunstwerke generieren, der irrt. Die Herangehensweisen der zehn Kunstschaffenden waren äusserst vielfältig, und dementsprechend sind es auch die Resultate.

Projekt aus Leidenschaft

Der Ursprung des Projektes liegt in der Leidenschaft einer Person: Der Holländer Allard Jakobs war schon als Kind von Tinguelys Zeichenmaschinen fasziniert. Im Erwachsenenalter wollte er zusammen mit seiner Frau Natascha eine solche Maschine ersteigern – was misslang. Also kam er auf die Idee, das Geld, das er dafür hätte ausgeben wollen, in ein ambitioniertes Projekt zu stecken: Das Ehepaar gründete 2009 die «Métamatic Research Inititaive» und lud Künstlerinnen und Künstler in einem offenen Wettbewerb dazu ein, neue Projekte im Sinn und Geist von Tinguelys Maschinen zu entwerfen.

Aus rund 300 Eingaben wurden schliesslich acht Projekte ausgewählt, die man nun im Museum Tinguely erstmals sehen kann. Eine Künstlerin und ein Künstler wurden speziell eingeladen: Marina Abramovic und Thomas Hirschhorn. Abramovic lässt im Park vor dem Museum in ihrem «MAI»-Protoype die Besucher sich selbst erkunden, unter Anleitung der Künstlerin. Der Betrachter wird hier selbst zum Performer. Hirschhorns Installation hingegen, die uns unübersehbar im Erdgeschoss des Museum empfängt, nutzt die Kunst als Werkzeug.

Der Schweizer Künstler hat einen «Informationspool» geschaffen, in den man physisch klettern muss: Treppe rauf, Treppe runter. Hat man oben auf der Brüstung noch das Gefühl des Überblicks, so verliert man ihn im Pool komplett. Man steht hier, umgeben von Computerschrott und einer Nachrichtenflut, gedruckt auf Papier.

Wo Tinguely?

Nicht immer ist auf den ersten Blick klar, was die einzelnen gezeigten Werke mit Tinguely verbindet. Hirschhorn etwa macht es uns schon schwer. Betrachten wir einige Ausstellungswerke also unter diesem Gesichtspunkt.

João Simões‘ «NTSC» konfrontiert uns mit einem abstrakten Videobild. Die Arbeit ist das Resultat eines Prozesses: Auf einem Flug in die USA fiel dem Künstler aus Lissabon auf, dass er seinen Videofilm, den er im europäischen Videoformat PAL gedreht hatte, in den USA gar nicht würde zeigen können – dort setzt man auf das Format NTSC. So machte der Künstler aus der Not eine Tugend, liess den Film auf dem falschen Format laufen und suchte in den dadurch entstehenden abstrakten Bildern nach neuen Bildern. Die Technik selbst schuf eine neue Form und stellte neue Anforderungen an die Rezeption.

Ein paar Schritte weiter irritiert uns eine barocke Tapete. Auf weissem Grund sind pastorale Szenen in Rosa gezeichnet. Ein Motiv zeigt eine unter einem Baum sitzende Frau. Betritt der Betrachter den Raum, so erhebt sich diese und geht ihm ruhigen Schrittes entgegen. Plötzlich stoppt sie, zieht eine Pistole, zielt und schiesst auf den Zuschauer. Danach wendet sie sich ab und geht ruhig zu ihrem Platz unter dem Baum zurück. Die Künstlerin, Brigitte Zieger, setzt in dieser Arbeit auf die Interaktion zwischen dem Betrachter und dem Werk – ein dem Œuvre Tinguelys inhärentes Thema.

Beliebte Interaktion

Noch direkter tut dies John Bock. Seine Konzertperformance «Concerto Grosso», in der der Künstler das Verhältnis von Mensch und Maschine thematisiert, können wir über ein Video miterleben. Improvisationsmusiker verleihen leblosen Objekten darin eine Stimme. Davor findet sich eine Skulptur aus Versatzstücken der Performance. Wie bei Tinguely bildet sich diese aus einem freien, assoziativen Aneinanderreihen von Ereignissen und freihändigem Basteln. Und es stellt sich die Frage: Was ist hier das Kunstwerk? Die Skulptur? Der Film? Dieser jedoch ist nur ein Nachhallen des Momentes der Performance, die keiner von uns erlebt hat – weil sie in einem geschlossenen Raum stattfand. Bock stellt hier den Kunstbegriff auf den Prüfstand.

Noch unmittelbarer aufs Partizipative setzt Ranjit Bhatnagar, und seine Installation erinnert auch rein visuell an Tinguelys Werke. In einer schalldichten Kabine können die Besucher vor sich hinsingen. Egal wie falsch das dort klingen mag – Instrumente draussen setzen den Gesang mittels einer computerprogrammierten Mechanik in wohlklingende Töne um.

Interaktion und Rezeption, darauf setzen fast alle Werke von «Métamatic Reloaded». Zu entdecken gibt es natürlich noch mehr als das hier Beschriebene.

Finden wir somit Tinguely in all den Arbeiten wieder? Manchmal besser, manchmal schlechter, ja. Ein bisschen Kenntnis von Tinguelys Schaffen ist sicher von Vorteil, um den Bezügen auf die Spur zu kommen – denn teilweise sind sie doch sehr abstrakt. Dann bleibt dem Besucher aber immer noch die Möglichkeit, die Werke unabhängig vom Museumsvater zu sehen. Und auch das lohnt sich.

Métamatic Reloaded
Museum Tinguely, bis 26. Januar 2014. Mit Werken von Marina Abramovic, Ranjit Bhatnagar, John Bock, Olaf Breuning, Thomas Hirschhorn, Aleksandra Hirszfeld, Jon Kessler, Pors & Rao, João Simões, Brigitte Zieger.
Ein Vortragsprogramm rundet die Ausstellung ab. Details dazu auf www.tinguely.ch.

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