Tobey Maguire als paranoides Schachgenie – eine Filmbesprechung in acht Zügen

In «Pawn Sacrifice» treten ein Amerikaner und ein Russe zum historischen Schachspiel während des Kalten Krieges an. Wir besprechen den Film per Duell am Schachbrett.

Tobey Maguire spielt das Schach-Genie Bobby Fischer.

(Bild: © Ascot Elite Entertainment Group)

In «Pawn Sacrifice» treten ein Amerikaner und ein Russe zum historischen Schachspiel während des Kalten Krieges an. Wir besprechen den Film per Duell am Schachbrett.

1972. Kalter Krieg. Statt mit Bomben kämpfen die USA und die Sowjetunion mit ihrer Ideologie – und mit intellektueller Kraft. Das amerikanische Schach-Genie Bobby Fischer fordert den russischen Weltmeister Boris Spasski heraus. Es kommt zum historischen Duell der beiden auf Island. Der Regisseur Edward Zwick hat die Geschichte nun in ein zweistündiges Drama gepackt.

Der Trailer verspricht tiefgründige Einblicke in die Psyche eines Genies während den politischen Wirrungen des Kalten Kriegs. Hält der Film, was er verspricht? Wir spielen die Stärken und Schwächen gegeneinander aus, ganz im Sinne des Films: am Schachbrett.

1. Weiss, gespielt von Felix Michel: Bauer c2 auf c4

Für einen historischen Film bietet die Geschichte das perfekte Setting, doch leider versucht Edward Zwick – bekannt durch Historienfilme wie «The Last Samurai» oder «Glory» – einen Spagat zwischen historischer Dokumentation und biografischer Erzählung. Am Ende bleibt beides auf der Strecke.

Schwarz, gespielt von Jeremias Schulthess: Bauer e7 auf e6

Das sehe ich anders. Bobby Fischer wird als Schachspieler und Person fassbar. Der Film erzählt den Aufstieg von Fischer zu einer der herausragendsten Figuren des Schachsports. Für mich ist das eine gelungene Biografie.

2. Weiss: Springer g1 auf f3

Da stimme ich dir zu. Der Film zeigt den Aufstieg von Fischer zum Schachweltmeister, aber leider auch nicht mehr. Obwohl der Film bei den Kinderjahren beginnt, endet die filmische Biografie Fischers im Schwebezustand zwischen Genie und Wahnsinn. Irgendwie abrupt.

Schwarz: Springer f8 auf e7

Die Zeit bis zum grossen Duell ist wohl die aufregendste Phase in Fischers Leben. Danach zieht er sich vom professionellen Schach zurück. Der Abschnitt zeigt Fischer im Spannungsfeld zwischen Genie und Wahnsinn, Verfolgung und Intellektualität. Für mich reicht diese Momentaufnahme. Nach dem Höhepunkt seiner Karriere nehmen bei Fischer ohnehin die psychischen Störungen Überhand.



Levy Schreiber als Boris Spasski und Tobey Maguire als Bobby Fischer.

Levy Schreiber als Boris Spasski (links) und Tobey Maguire als Bobby Fischer. (Bild: © Ascot Elite Entertainment Group. All Rights Reserved)

 3. Weiss: Bauer d2 auf d4

Aber diesen Teil klammert der Film aus. Davon wollte ich mehr sehen, das meine ich mit dem spannenden Teil der Biografie. Nach seinem grossen Sieg bricht Fischer zusammen, der Weltmeister-Titel wird ihm entzogen, Fischer muss die USA verlassen und findet in Island Asyl. All das bleibt aussen vor. Das gehört für mich zu einer Biografie unbedingt dazu und nicht erst in den Abspann.

Schwarz: Springer g8 auf f6

Ein Bio-Pic muss für mich nicht das vollständige Leben einer Person wiedergeben. Gerade in einzelnen Episoden zeigt sich doch das Leben eines Menschen. Wie Fischer sein Hotelzimmer in Island demoliert – was wirklich passierte – oder wie er die entscheidende Schachpartie in den Pingpong-Keller verlegen lässt, darin zeigt sich dieser Zwiespalt der Person beispielhaft.

4. Weiss: Springer b1 auf c3

Hier steckt ein grosses Stück Brillanz im Film: die detailgetreue Wiedergabe der Fakten und der Kleinigkeiten. Die Fliege in Spasskis Stuhl, die ihn ablenkt, ist ein weiteres Schmankerl der Faktentreue. Aber hat sich der Regisseur vielleicht in den Details verloren und die wesentlichen Züge der Biografie vernachlässigt?

Schwarz: Läufer f8 auf e7

Nein. Diese Details öffnen den Charakter von Fischer für den Zuschauer. Ebenso wie die Paranoia, die er mit sich herumträgt. In jedem Hotelzimmer, in dem Fischer logiert, nimmt er den Telefonhörer auseinander, um zu prüfen, ob er vom russischen Geheimdienst überwacht wird. Fischers Mutter wurde mit dem kommunistischen Regime in Verbindung gebracht. Das FBI hat die Familie zeitweilig überwacht. Fischers Verfolgungswahn fusst auf echten Erlebnissen, auf einer realen Verfolgung. Und hier zeigt der Film in der Person von Fischer die Absurdität, die den Kalte Krieg prägte.

5. Weiss: Läufer c1 auf g5

Der Film suggeriert, dass Fischers Paranoia durch die Abhörmechanismen im Kalten Krieg entstand – das ist mir als psychologische Erklärung zu simpel. Darüber hinaus die massiven Klischees: Die bärtigen Sowjetmänner intrigieren auf Russisch nuschelnd, während die Amerikaner sich als patriotische Saubermänner hervortun.

Schwarz: Rochade

Nun, die Klischees gehören zum Hollywood-Genre, das historische Themen meist mit einem patriotischen Unterton erzählt. Mich stört das nicht. Die Klischees stimmen auch nicht überall mit dem Gut-Böse-Raster überein: Der Gegenspieler von Fischer, Boris Spasski, hat im Film eine durchaus positive Note. Er wird nicht als russischer Unmensch dargestellt, wie man das hätte erwarten können. Spasski ist im Film beinahe so etwas wie Fischers guter Konterpart, der eine menschliche Seite zeigt. Die Charaktere im Film sind mit viel Liebe zum Detail gezeichnet. Neben Fischer als schizophrenem Schachgenie – toll gespielt von Tobey Maguire – tauchen ein sanftmütiger Priester und ein patriotischer Anwalt auf, die der Handlung Tiefe verleihen.

6. Weiss: Bauer e2 auf e3

Liebe zum Detail? Details sehe ich nur beim Hauptdarsteller und seiner Obsession mit Geräuschen. Der Priester wirkt platt, zeigt einmal kurz Emotionen, ansonsten hat sich mir seine Rolle nicht erschlossen. Der patriotische Anwalt verspricht einiges, bleibt dann aber doch belanglos, da er im Hintergrund keine Intrigen spinnt. Auch die Rollen der Frauen – Schwester, Mutter und die durchgeknallte Blondine in Kalifornien – bleiben blass. Frauen werden im Film als triebgesteuertes, lautes Übel dargestellt, eine beinahe chauvinistische Inszenierung.

Schwarz: Bauer h7 auf h6

Okay. Handlungsstarke Frauen fehlen komplett. Aber es ist eine Tatsache, dass in Fischers Leben kaum Frauen vorkamen. Sollte man eine Frauenrolle für den Film erfinden, um deinem Genderbewusstsein gerecht zu werden?

7. Weiss: Läufer g5 auf h4

Herr Schulthess, das bleibt unkommentiert. 



Michael Stuhlbarg verkörpert den amerikanischen Patrioten und Anwalt Paul Marshall, Peter Sarsgaard den sanftmütigen Priester.

Michael Stuhlbarg verkörpert den amerikanischen Patrioten und Anwalt Paul Marshall (links), Peter Sarsgaard den sanftmütigen Priester. (Bild: © Ascot Elite Entertainment Group)

Schwarz: Bauer b7 auf b6

Nun gut. Die Charaktere bleiben zeitweise etwas blass. Sie dienen dazu, dass sich der Protagonist und die Handlung entfalten können. Herrlich, die Szene, in der der Anwalt Paul Marshall in Bezug auf die Partie zwischen Fischer und Spasski sagt: «Wir haben in China verloren, wir sind dabei, in Vietnam zu verlieren – dieses Mal müssen wir gewinnen.»

8. Weiss: Bauer c4 schlägt Bauer d5

Das ist vielleicht der beste Aspekt des Films: die Symbolik. Im Schachspiel findet sich die ganze, hinterlistige Rhetorik des Kalten Krieges wieder: hier ein Bauernopfer, da ein geschickter Zug. Jede Reaktion ist ein potenzieller Fehltritt, jeder vorschnelle Zug ein mögliches Remis. Dadurch ist «Pawn Sacrifice» auch nicht ein weiterer Kalter-Krieg-Film, sondern ein eigenständiges, bildkräftiges Werk, das mit der Analogie des Schachspiels sowohl die Biografie eines Menschen als auch eine Epoche nacherzählt.

Schwarz: Springer f6 schlägt Bauer d5

Genau. Einigen wir uns auf Remis?

Weiss:

Einverstanden.

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«Pawn Sacrifice» läuft ab dem 24. Dezember in den Basler Kinos.

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