Die Foire aux Vins d’Alsace ist eröffnet, noch viel würziger als der Traminer war der erste Star auf der Bühne: Neil Young (68) gab ein verdammt starkes Konzert, voller Energie, Leidenschaft – und voller Sorge um den Zustand unserer Welt.
Die Foire aux Vins d’Alsace ist in vollem Gang: Swimming-Pool-Hersteller präsentieren im Colmarer Parc d’Expositions ihre neusten Modelle, Weinbauern ihre Jahrgänge. Und in einer bayrischen Bar wird gar zu deutschem Schlager gegrölt. Daneben, und das lockt jedes Jahr Besucher aus Deutschland und der Schweiz an, steht diese Messe auch für ein Musikfestival, wo allabendlich Konzerte in einer überdachten Arena stattfinden.
Wer noch nie an der Foire aux Vins war, muss sich das also so vorstellen, wie wenn das St. Galler Open Air mit der Olma fusioniert hätte. Kurios. In St. Gallen glaubs war es auch, als unsereiner Neil Young erst- und letztmals gehört hatte. Vermutlich. Denn es ist sehr lange her und mir gings nicht gut, ihm auch nicht so. Auf jeden Fall blieb es nicht in Erinnerung.
Da will einer die Welt retten
Als Bewunderer aus Distanz reist unsereiner also 2014 nach Colmar, nimmt am Eingang ein Gratis-T-Shirt entgegen, das Neil Young den Besuchern schenkt: «Earth» steht da weiss auf schwarz aufgedruckt. Man belächelt ja Hippies der Gegenwart gerne als Ewiggestrige. Man mag auch ein bisschen amüsiert sein über den Totem-Häuptling, zu dem sich Neil Young und seine Band Crazy Horse nach 21 Uhr auf die Bühne gesellen. Was dann aber geschieht, ist so eindringlich, intensiv, glaubwürdig und leidenschaftlich, dass man mehr als zwei Stunden später völlig beeindruckt ist. Begeistert. Ein Fan.
Ein Fan von diesem 68-jährigen 68er, der das Peace-Zeichen auf dem Gitarrengurt trägt, der aber keine einzige Zwischenansage macht, sondern seine Botschaften lieber in Liedern serviert. «We gotta wake up, we got a job to do», schreit Young im zweiten Song «Be The Rain». Früher mussten Hippies auch vor sich selbst gerettet werden («The Needle and the damage done»). Heute setzt Young, der sich schon sehr lange für Ureinwohner, Kleinbauern und gegen Ölpipelines starkmacht, seine Kraft ein für den Planeten, wie er am Ende des Konzerts mit der Frage «Who’s Gonna Stand Up and Save the Earth» bekräftigt.
Kantig, grimmig, glaubwürdig
Die Art und Weise, wie Young zur Rettung dieser Welt aufruft, lässt in der Arena niemanden kalt: Er legt sich mit seiner wuchtigen Physis in die Gitarren-Riffs, wirkt grimmig, rastlos, fokussiert. Blickt streng in die ersten Reihen, als wollte er prüfen, dass man ihm folge. Ihm, dem kompromisslosen Grunge-Vater, der eine fantastische Setlist erstellt hat für dieses vorläufig letzte Konzert auf europäischem Boden. Allein die rund viertelstündige (oder warens 20 Minuten?!) Version von «Down by the River» ist ein Genuss: Lässiger Rhythm und Blues, ein Schuss Funk, ausgedehnte Gitarrensoli, die nie langweilig werden. Dass es das noch gibt.
It’s better to burn out than to fade away: Diese Songzeile, die Epigonen wie Kurt Cobain so beeindruckte, lebt Young noch immer eindrücklich vor. Keine Altersmilde bei ihm, der vor Energie sprüht. Geschickt kombiniert er dabei rotzige Gitarren mit eingängigen Refrains, sein klagender Gesang, diese hohe, dünne, unverwechselbare Stimme ergänzt er durch Chöre von zwei afroamerikanischen Sängerinnen mit grandiosen Vibrati.
Rückkopplungen und rauschhafte Soli
Hinter sich eine Rhythmussektion, die sachdienlicher nicht spielen könnte. Kurios der Kontrast zwischen Neil Young, der sich voller Inbrunst in die Gitarre reinlegt und Rick Rosas, der in stoischer Ruhe den Bass zupft und dabei keine Miene verzieht. Er spielt anstelle von Billy Talbot, der im Juni einen leichten Schlaganfall erlitt und erstmals seit 1968 (!) eine Konzerttour der Band, die nach dem bekannten Häuptling Crazy Horse genannt wurde, auslassen muss.
Wenn es eine Kommunikation auf der Bühne gibt, dann spielt sich diese zwischen Young und seinem Gitarristen (und in zwei Nummern Keyboarder) Frank Sanpedro ab. Herrlich, diesem eingespielten Duo zuzuschauen, das seit 40 Jahren zusammen auf der Bühne steht und trotzdem in keinster Weise abgelöscht wirkt. Sondern voller Feuer und Inbrunst. Die beiden spielen sich in einen Rausch, erzeugen eine Sogwirkung, die sich auf das Publikum überträgt, das völlig reingezogen wird in diese Wall of Guitarsound. Nur selten, wirklich ganz selten – im einzigen vernachlässigbaren Stück «Powderfinger» – schaut man beiläufig auf die Uhr.
Und dann auch noch «Heart of Gold»
Man wäre schon begeistert genug gewesen durch die eingefügten Rock-Klassiker wie «Like A Hurricane», doch als Neil Young dann zur Konzerthälfte auch noch Dylans «Blowin in the Wind» singt und nahtlos seine eigene Folkhymne «Heart of Gold» folgen lässt, hat er uns alle restlos im Sack. Der scheinbar grumpy old man, der überzeugend kantig geblieben ist, scheut sich nicht, seine sanfte Seite auf die Bühne zu bringen. Was andernorts abgedroschen oder bemüht wirkt, ist hier einfach stimmig.
Nach den Rolling Stones und Robert Plant beschert uns also Neil Young ein weiteres Konzerthighlight in diesem Jahr. Wer hätte gedacht, dass all diese Musiker, deren Klimax man längst in der Vergangenheit wähnte, mit einer solchen Energie, Bedeutsamkeit und Zeitlosigkeit begeistern.
Töchter, nehmt eure Mütter rein: die Alten werden immer besser!