Eher unbekannte Basler Bands begeistern das Publikum in neuen Spielstätten. In der Kaserne hingegen enttäuscht Dillon als Headliner. So war der Eröffnungsabend des Basler Szenefestivals.
Atempause oder Anlauf – der Grund der kurzen Stille vor dem Applaus ist im Jazzcampus unklar. Sicher ist es Respekt vor East Sister. Gebannt lauscht das Publikum den glockenklaren Stimmen von Gitarristin Lorraine Dinkel und Keyboarderin Laura Schenk. Von den Tasten kommt nur selten Bass, Boden hat diese Musik dennoch. Denn bevor die spartanisch arrangierten Songs in sphärische Höhen diffundieren, bricht Drummer Amadeus Fries den Drift mit sperrigen Rhythmuseinwürfen.
So klingt spannender Pop am Puls der Zeit: East Sister im Jazzcampus. (Bild: Eleni Kougionis)
Er ist kein knüppelnder Konterpart, sondern die perfekte Ergänzung, der mit variierenden Grooves den Song-Flow steuert und mit inspirierten Stockwechseln und Percussionseinsatz das Sound-Flair seiner Frontdamen unterstützt. East Sister holen ein Maximum an Stimmungen aus einem Hauch an Instrumentierung – einmal reichen schon Handclaps und Gesang für den grossen Applaus.
Solche Überraschungen wünscht man sich bei der Basler Szeneschau. Denn selbst wer regelmässig Konzerte lokaler Bands besucht, kennt heute nur noch einen Bruchteil im Programm. In den 21 Festivaljahren hat die Szene massiv an Quantität und vor allem Qualität zugelegt.
Wie viel frische Musik die BScene erreichte, rechnete der neue musikalische Leiter Tobias Metzger bei der Festivaleröffnung vor, auf die Sekunde genau. Er verliert sich im Aufzählen weiterer Ziffern, Kommastellen und Periodizitäten – doch interessiert eigentlich weniger die Anzahl an Bands, Plattentaufen und Specials, die Freitag und Samstag über die Bühnen gehen. Es ist geht um die Musik.
Pappschilder gegen Plappermäuler
Metzger erklärte das Nummernspiel mit seinem Beruf: «Nein, nicht Klugscheisser – Lehrer». Vom diesjährigen Festivalmotto Erneuerung bleibt denn auch kein musikalischer Input hängen sondern didaktische «Loose nit schnuure»-Pappschilder, die in den Clubs aufgelegt werden. So will man das Publikum sensibilisieren und auffordern, bei Plappermäulern Respekt für die Bands einzufordern. Den Musikern dankt der neue Programmleiter am Ende dann auch noch, da ohne sie und die Helfer so ein Festival nicht möglich wäre.
Ein Pappzettel gegen die Plappermäuler bei Konzerten. (Bild: Eleni Kougionis)
Selbst will man nun schnell auf Konzerttour und dabei auch prüfen: Funktioniert Pop-Pädagogik in der Praxis? Ist das überhaupt nötig?
Schilder bringen beim anschliessenden Festivalstart in der Reithalle nichts. Das Projekt mit Anna Gosteli von The bianca Story, Anna Aaron und Greis, die jeweils zwei, drei eigene Songs mit einer Bigband intonieren, scheitert an der Akustik. Schade, bärgen vor allem die Songs von Anna Aaron Potential für ein pompöses Arrangement.
Um so schöner die Überraschung danach bei East Sister im Jazzcampus. Von dort geht es zu den Frèrelumière im Huckebein. Das Duo ist ein neues Projekt von Sänger Frank Wenzel und Gitarrist Sandro Corbat. Beide spielen auch in anderen Bands. Corbat etwa heute bei Scratches. Als Frèrelumière widmen sie ihre Musik ganz der Liebe und schrauben sich aus tiefem Leiden in hohe Lagen. Klingt kitschig, ist aber schlicht schön.
Selbst wenn das Huckebein ausserhalb der BScene weniger als Konzertlokal denn Hipster’s Home bekannt ist, muss auch hier kein Schild in die Schranken weisen. Werden zwischen den Songs Sätze gewechselt, drehen sie sich um die Band. Den Konzertabschluss widmet Wenzel dem heutigen Frauenmarsch. Dazu stimmt er ein Cover an, «Dress» von PJ Harvey – seiner Ziehmutter, wie der Sänger sagt. Spricht nicht für eine einfache Jugend und ist auch ein schwieriger Song zum intonieren, doch hat ihn Harvey wohlerzogen. Chapeau les Frères, das war grosses Kino im kleinen Club.
Über die Strasse drängen die Leute in das Terror Samba, das am Freitag ebenfalls als Spielstätte dient, während drinnen schon e Druggede herrscht. Vom ersten Ton weg tanzen die Leute zu Muhi Tahiri & Friends beschwingter Melange aus Balkan-Gipsy, Bossa Nova Beats und Mariachi-Gitarren. Nach dem Herzen kommt nun Schwung in die Hüfte und einmal Schweiss geleckt, geht es weiter in die gute alte Tropfhöhle Basels, den Hirschi-Keller.
Cloudride ersetzen gemeinsam den abgewanderten Gitarristen und lassen auch zu viert schwelgen. (Bild: Eleni Kougionis)
Hier spielen Cloudride – mit 15 Jahren Bandgeschichte die Veteranen des Festival-Freitags. Sie spielen heute erstmals zu viert. Grund ist nicht das Erneuerungs-Motto des Festivals, ihr Gitarrist ist nach London gezogen. Das Quartett widmet ihm den Song mit dem Städtenamen. Ein Bandklassiker. Ein paar Fans finden im proppenvollen Keller noch Luft zum mitsingen, Wort für Wort. Der melancholische Alternative-Indie lädt ein zum Schwelgen.
Man erinnert sich an verflossene Bands wie Phébus oder Whysome, die mit dem Gitarren-Genre am Puls der Zeit waren. Heute dominieren gemäss Festivalprogramm feinere Pop-Klänge mit Elektronik. Dass beides gut nebeneinander geht, zeigt Cloudride Frontmann Axel Rüst, der auch bei Bleu Roi Gitarre spielt.
Wie heute Minimal Pop auf elektronischer Basis geht, soll in der Reithalle Dillon zeigen. Schon per Biografie verkörpert die in Brasilien geborene Berlinerin Zeitgeist. Die Bühne ist bis auf den zentralen Parabolspiegel schwarz. Der bleibt meist dunkel, was zu diesem Konzert passt, dass kaum Highlights aufweist.
Zusätzlich zum Seitenmann an den Tasten hat Dillon den Basler Stimmbänder-Chor im Rücken, doch erfüllt der mehr eine Statisten- denn eine Gesangsfunktion. Dillons Stimme selbst erinnert mit viel Vibrato und Mädchen-Timbre an Traumtänzerinnen wie Joanna Newsom oder Björk. Doch wo die beiden Frauen ein spannendes Spektrum von Fairytale bis Freakshow bedienen, wirken die Kompositionen von Dillon konstruiert, die Show kühl kalkuliert. Der Funke springt nur zu den Fans in den vorderen Reihen.
Dillon versucht, das erweiterte Publikum als Chor einzuspannen. Doch steigt der Gesprächspegel danach nur noch mehr an, obwohl immer weniger Leute in der Halle stehen. Bei der Zugabe finden sich vor der Bühne keine zehn Reihen mehr. Dillon beendet ihren Auftritt darum auch früher als geplant.
«Loose, nit schnuure»-Karten zeigte keiner. Die Idee mag für Nachwuchsbands ja nett sein. Eine internationale Headlinerin sollte ihr Publikum jedoch auch so gewinnen können. Selbst wenn die Kaserne nach Konzertschluss in den anderen Lokalitäten zum Sammelbecken und Dorfplatz wird – die BScene zur BeSeen mutiert.
Zu reden gibt es vieles. Erneuert wird sicher die alte Diskussion über Sinn und Unsinn internationaler Headliner. Sie wird sich ewig drehen. Besser plant man schon die Entdeckungstour für heute Samstag, wenn noch mehr Bands und Bühnen locken.
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Zum kompletten Programm vom Samstag.