Totentanz-Reigen in der Totentanz-Stadt Basel

Jean Tinguelys düsteres Spätwerk «Mengele Totentanz» hat eine neue feste Ausstellungs-Kapelle gefunden. Zur Eröffnung hat das Museum Tinguely den jungen französischen Künstler Jérôme Zonder eingeladen, einen ebenso finsteren Vorraum zu schaffen.

Der Künstler und sein Zombie-beherrschtes Tor zu Tinguelys Hölle.

Jean Tinguelys düsteres Spätwerk «Mengele Totentanz» hat eine neue feste Ausstellungs-Kapelle gefunden. Zur Eröffnung hat das Museum Tinguely den jungen französischen Künstler Jérôme Zonder eingeladen, einen ebenso finsteren Vorraum zu schaffen. Weitaus heiterer war die Totentanz-Installation von Gerda Steiner und Jörg Lenzinger während der letzten Herbstmesse, zu der jetzt eine Buchdokumentation entstanden ist.

In der Kunstgeschichte setzt die Stadt Basel einen Glanzpunkt mit einem Werk, das nicht mehr existiert: mit dem im 15. Jahrhundert entstandenen berühmten Totentanz, der einst die Friedhofsmauer des Dominikanerklosters bei der heutigen Predigerkirche zierte. Hans Holbein d. J. nahm die Motive später auf, der junge Peter Paul Rubens kopierte Holbeins Holzschnitte, Basels Verkehrsplaner zerstörten im 19. Jahrhundert das Urwerk.

Dennoch blieb der Totentanz in Basel stets präsent. Nun auch (wieder) im Museum Tinguely, das für das eindrückliche Spätwerk «Mengele Totentanz» des Maschinenkünstlers einen neuen Raum und damit eine feste Bleibe geschaffen hat. Dieser Totentanz ist in Basel gut aufgehoben. Doch wie so oft bei Tinguely hat dieses Werk eine ganz eigene Geschichte, die sich so eindrücklich liest, wie sich die vielteilige Installation präsentiert.

Am Anfang war die Zerstörung

Alles begann ganz und gar unkünstlerisch mit einer schweren Operation an Tinguelys Herzen, die den Künstler knapp am Tod vorbeischrammen liess – ein Erlebnis, das er ein Jahr später künstlerisch verarbeiten sollte.

Wiederum war es ein äusseres Ereignis, das schliesslich den Ausschlag gab. Nämlich ein Blitz, der am 24. August 1986 ein Bauernhaus in unmittelbarer Nachbarschaft zu Tinguelys Atelier in Neyruz bei Fribourg zerstörte. Tinguely ging zusammen mit seinem Assistenten Seppi Imhof in den noch vor sich hinschwelenden Brandruinen auf Sammeltour, nahm verkohlte Holzbalken und zerstörte Landwirtschaftsmaschinenteile mit. Unter anderem eine Mais-Erntemaschine der Marke Mengele.

Mengele? Wer hier, wie einst Tinguely an den berüchtigten KZ-Arzt denkt, hat recht. Die Firma Mengele gehörte der Familie des KZ-Arztes, der mit der familiären Unterstützung im südamerikanischen Exil ungesühnt weiterleben konnte.

Schwarze Maschinenmesse

Tinguely hat aus den Fundstücken und mit weiteren Objekten – etwa einem Nilpferdschädel – einen düsteren Kunstmaschinenpark für eine unendliche schwarze Messe mit Namen «Mengele Totentanz» geschaffen. Ursprünglich in Fribourg ausgestellt, gelangte das Werk in den Besitz der Roche. Es bestanden Pläne, den Totentanz auf Paul Sachers Anwesen in Pratteln in einer unterirdischen Kapelle unterzubringen.



Detail aus «Mengele Totentanz» von Jean Tinguely.

Detail aus «Mengele Totentanz» von Jean Tinguely. (Bild: Serge Hasenböhler)

1996 schliesslich ging der «Mengele Totentanz» in die Sammlung des Museums Tinguely über, das aber keinen adäquaten Raum für die Gesamtinstallation hatte. Dass das Museum das Werk nun in einem neu eingebauten (oder vielmehr: im grossen Saal aufgehängten) Raum präsentieren kann, ist ein grosser Gewinn. Ein schmaler Steg führt zwischen den verschiedenen unheimlich beleuchteten Maschinen wie durch ein Kirchenschiff auf den Altar zu, der zur Hauptsache aus Teilen der Mengele-Erntemaschine besteht.

Einziger Störfaktor ist der Boden des Raums. Es ist schwer nachvollziehbar, warum sich die Museumsleute für einen schwarzen Kunststoff-Noppenboden entschieden haben, wie man ihn auch auf den Flughäfen dieser Welt findet.

Junger Künstler im Dialog

Vorbildlich indes ist die Idee, junge internationale Künstler in den Dialog mit Tinguelys Installation treten zu lassen. Den Anfang macht der französische Zeichner Jérôme Zonder. Er hat im Vorraum zum «Mengele Totentanz» einen zeichnerischen «Dancing Room» zusammengestellt, der Schreckensszenen aus der Kunstgeschichte und der Zeitgeschichte mit wüsten Szenen aus Horrofilmen und grauslichen Szenerien mit spielenden Kindermostern vereinigt.

Als Erstes fällt ein ins Riesenhafte vergrössertes Szenenbild aus der TV-Kultserie «Walking Dead» auf, das den Eingang zu Tinguelys Installation wie eine Höllenpforte umrahmt. Es ist eine dieser typischen apokalyptischen Angriffszenen, die zum Markenzeichen von Zombie-Filmen gehören.

Kabinett der Schreckensszenen

Zentrum von Zonders Schau ist aber die Sammlung von grossformatigen Schwarzweiss-Zeichnungen an der Seitenwand. Es ist ein Kabinett der Schreckensszenen, das die ganze Wand ausfüllt: zeichnerische Reproduktionen von fotografierten Kriegsgreueltaten des 20. Jahrhunderts, verfremdete Totentanzszenen von Künstlern des 15. Jahrhunderts und besonders schrecklich: Kinder mit Extremitäten alter Menschen, die Folterszenen nachstellen.

Jérôme Zonder: «Jeu d’enfant #1» (2011).

Jérôme Zonder: «Jeu d’enfant #1» (2011). (Bild: Courtesy Galerie Eva Hober, Paris/© Jérôme Zonder)

Zonder ist ein düsterer Künstler. Und ein hinterlistiger dazu. Wer vor diesen Werken zurückweicht, sieht sich vor der gegenüberliegenden Wand mit einem mächtigen Grenzzaun aus Holz konfrontiert, aus dem riesige zugespitzte Holzpfähle ragen.

Der heitere Tod

Ganz anders ist das Bild, das die 192-seitige Dokumentation zur Totentanz-Installation vermittelt, die das Künstlerduo Gerda Steiner & Jörg Lenzinger während der Herbstmesse 2016 im gleichnamigen Park zusammengestellt und inszeniert hatte. An rund 20 Marktständen konnten Passanten damals dem Tod in vielfältigster Form begegnen. Und dies ohne die Schwere, die ihm hierzulande so oft anlastet, sondern bunt, heiter, laut und eben tanzend.

Das reich bebilderte Werk aus dem Christoph Merian Verlag kann das lebendige Treiben um den Tod natürlich nicht 1:1 wiedergeben. Aber es vermittelt einen illustrativen Eindruck und lässt darauf hoffen, dass sich Basel noch lange so intensiv und vielfältig mit der grossen Totentanz-Tradition auseinandersetzen möge.
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