Der Berner Zeichner Christian Scheurer hat in Hollywood viel erreicht. Er entwirft Landschaften, Städte, Figuren und hat damit Filme wie «Matrix» und «Das Fünfte Element» ausgestattet. Seinen Welten kommen aus der Fantasie – trotzdem spiegeln sie die Realität.
In Los Angeles ist es sieben Uhr morgens, als bei Christian Scheurer das Telefon klingelt. Der gebürtige Berner lebt in einem Vorort der kalifornischen Megastadt, nicht weit von Hollywood entfernt. Scheurer selbst hat den Termin für dieses Gespräch vorgeschlagen. Er ist sowieso ein Frühaufsteher, ausserdem muss er gleich seine Tochter zur Schule bringen. Und der Morgen ist seine beste Zeit zum Arbeiten: Wenn er noch gar nicht richtig wach ist, dann läuft sein Kopf wie von selbst.
Christian Scheurer designt Filmwelten. Er zeichnet Räume, Häuser, Städte und die Menschen, die darin leben. Aus seiner Hand kommen Krieger mit Afrolook und abgefahrenen Waffen, futuristische Freaks von unbekannter Herkunft und Passanten aus Städten einer anderen Zeit. Zwischen Wolkenkratzern treiben hölzerne Segelboote, Roboter tragen Pfeil und Bogen. Seine Fantasie lebt von Gegensätzen und unwahrscheinlichen Kombinationen.
Zwischen Trance und Diszplin
Die beste Stimmung, um seine Welten zu gestalten, ist für Scheurer eine Mischung aus Trance und Disziplin. Noch halb im Traum, setzt er sich vom frühen Morgen bis zum Mittag an den Zeichentisch. Der Nachmittag ist relaxter. «Aber Disziplin als Künstler muss sein! Wenn man denkt, es passiert nicht, dann kommen die Ideen …» Und dann geht es ums Graben. «Ich bin ein Anthropologe des Imaginären», sagt Scheurer. Er gräbt aus, was sich schichtenweise in seinem Kopf abgelagert hat. Wenn er mit dem Zeichnen anfängt, weiss er nie, was passieren wird. Er arbeitet sich in ein Vakuum hinein, wo sich frühere Eindrücke, Erinnerungen, Erlebnisse langsam entblättern.
Und erlebt hat Scheurer einiges. Der Schweizer zog zunächst nach Brüssel und studierte dort Comiczeichnen. Das hat zwar auch mit dem Entwurf von Traumwelten zu tun, war für ihn aber nicht das Wahre: «Ich wollte Filme machen.»
Christian Scheurer
Der Berner Zeichner hat in einigen grossen Filmen Hollywoods mitgearbeitet: In «Das fünfte Element» gestaltete er die trashig-modernen Gebäude. Auch das Dojo aus Matrix, das Morpheus und Neo mit Kung-Fu-Kombos wieder zerlegen, ist von ihm. Im Augenblick arbeitet er an einer Produktion von Paramount, in der es «um lauter Kreaturen geht» – mehr darf Scheurer noch nicht herausrücken. Ausserdem gestaltet er Bücher, wo kein Produzent und kein Regisseur ihm reinreden können.
Eines Tages traf ihn in seiner Brüsseler Wohnung ein Blitz (im Ernst), fuhr durch seinen Körper hindurch – und liess ihn am Leben. Für ihn ein Zeichen. «Ich merkte, dass das Leben zu kurz ist, um Träumen nicht nachzugehen», sagt Scheurer. Und versuchte sein Glück in Hollywood. Hier lebt er seitdem, lässt aber das Reisen nicht sein. «Schon Chicago ist faszinierender, als ich es mir jemals ausdenken könnte.» In den Ländern dieser Welt sammelt er das Vokabular seiner Fantasie. Echt-Anthropologie nennt er das.
Auch Fantasie braucht Regeln
Entscheidend beim Entwurf eines Universums ist für Scheurer der Moment, Regeln einzuführen. Eine gute Fantasywelt lebt von ihren Definitionen. In den alten «Star Wars»-Filmen gab es ein Gesetz, wonach nichts auf Rädern fahren darf. Alles, was sich bewegt, muss schweben und gleiten. Aus solchen Beschränkungen bekommt eine Welt ihren Charakter. Ein Designer muss festlegen, welche Temperatur in seinem Universum herrschen soll, welche Vegetation dort wächst, aber auch wie die politische Situation ist. Zeichnen ist an wesentlicher Stelle nicht visuell sondern intellektuell – «auch wenn das calvinistisch klingt…», sagt er in Anspielung auf den Schweizer Reformator, dem das Image des kühlen Rationalisten anhängt.
In den neueren «Star Wars»-Episoden wurde das «Rädergesetz» gebrochen. Dadurch verlor dieser Kosmos an Kraft, findet Scheurer. Und Peter Jackson, der Regisseur von «Der Herr der Ringe», sagte zu seinen Leuten: «Ihr sollt nicht designen, sondern die Welten Stück für Stück ausgraben, wie Anthropologen…» Diese Regeln freizulegen, aus den Schichten der Imagination, das ist Scheurers kreative Arbeit.
Raum zum Wachsen
Wenn man Scheurers Bilder anschaut, wird man von einem Sog in sie hineingezogen. Meistens sind sie futuristisch und zugleich verkommen. Sie zeigen utopische, ausgeuferte Metropolen, aber doch willl man da hin. Das Kleinteilige ist erhalten, unfertige Nischen, wuchernde Wälder mitten im Grossstadtdschungel. Irgendwie ein Wunschort? «Ja und nein», sagt Scheurer, «ich finde die reale Welt super». Mit dem Älterwerden merke er, dass eine Fantasiewelt die Probleme auch nicht löst.
Und doch haben seine Entwürfe etwas, was moderner Stadtplanung häufig abgeht. Der Bauhausstil zum Beispiel spricht für Scheurer die unbeholfene Hoffnung aus, dass die Menschen die kühlen Räume schon ausfüllen werden, wenn sie erstmal dort wohnen. Das funktioniere so nicht, weil der menschliche Faktor ausgelassen werde.
Wenn er könnte, würde er die Betonwüste Los Angeles in einen Dschungel verwandeln. Grosser Fan ist er hingegen von Hong Kong und Jakarta: da wuchert zwischen futuristischen «Riesenbuildings» das Leben, sich selbst überlasen. Obwohl modern, herrscht dort eine Architektur des Unfertigen. «Mittendrin muss es Raum für Favelas geben», sagt Scheurer, auch wenn das die soziale Schere zum Ausdruck bringt. Genau das wollen auch seine Fantasieuniversen zeigen. «Ich zeichne keine bessere Welt. Ich spiegle die reale.»
- Christian Scheurer hält am 21. März einen Vortrag in Basel.
Im Rahmen einer Vortragsreihe der Stiftung Gartenbau spricht er über
«Anthropologie des imaginären: Das Erschaffen filmischer Landschaften»
Donnerstag, 21. März, 18:30, Schule für Gestaltung, Spalenvorstadt 2.