Turbulentes Drama einer schrecklich netten Familie

«Retten, was zu retten ist»: Auf der Kleinen Bühne wurde Philippe Heules Groteske über eine Musterfamilie in der Konsumhölle uraufgeführt. Der Abend ist äusserst unterhaltsam, auch wenn er ruhig etwas bösartiger sein könnte.

Die Musterfamilie wird heftig durchgeschüttelt.

(Bild: Simon Hallström)

«Retten, was zu retten ist»: Auf der Kleinen Bühne wurde Philippe Heules Groteske über eine Musterfamilie in der Konsumhölle uraufgeführt. Der Abend ist äusserst unterhaltsam, auch wenn er ruhig etwas bösartiger sein könnte.

Diese Familie ist perfekt. Wie eine zeitgenössische Version eines US-Werbeplakatmotivs aus den Wirtschaftswunderjahren der 1950er mit Papa, Mama, Tochter und Sohn. Sie ist also zu perfekt, um wirklich zu sein, was das Ganze letztlich auf den Punkt bringt: Diese Familie ist das grauenerregende Abbild der Mittelstands-Konsumwelt.

Es ist eine Musterfamilie der Werbewelt irgend eines Einrichtungs- und Do-it-Yorself-Konzerns. Zu Hause ist sie in einem Container – wie Flüchtlingsunterkünfte, nur luxuriöser natürlich. Eher wie beim TV-Gefäss Big Brother sieht es aus. Beherrscht wird das Geschehen von einem nur als Stimme vernehmbaren «Schöpfer», der die Handlungsfäden in der Hand hält. Ein Gott, der einst verkündete: «Gehet hin und kaufet ein.»

Eine Lebens-Werbe-Soap

Erfunden wurde diese Musterfamilie von Philippe Heule, der dieses Stück mit dem Titel «Retten, was zu retten ist» im Rahmen des Autorenförderungs-Programms Stück-Labor Basel geschrieben hat. Heule schuf eine Dauer-Werbe-Soap, welche die Familie – je nachdem, ob man es an den Eltern oder den Kindern misst – bereits das halbe oder fast das ganze Leben begleitet. In der Welt der US-TV-Soaps gibt es so etwas tatsächlich, in der Welt der Werbung dürfte es eine neue Idee sein – eine die in der realen Welt vielleicht Nachahmer finden könnte.

Uns Zuschauern wird rasch klargemacht, dass wir uns nicht einem grotesken Zerrbild einer Familie im Strudel der neoliberalen Welt gegenüber sehen, sondern einem Abbild einer grotesken Inszenierung aus der Welt der Werbung. Die erste Szene endet damit, dass sie vom «Schöpfer» (Stimme Florian von Manteuffel) unterbrochen wird, weil der Zusammenbruch (der dann zum Do-it-Yorself-Aufbruch führen soll) nicht richtig klappt: «Cut. Den Zusammenbruch müssen wir nochmal machen. Das war nicht starr genug», sagt er.

Echte Menschen – künstliche Menschen

Und aus den künstlichen Menschen werden für Momente die echten Menschen. Zumindest das, was von ihnen übriggeblieben ist:

Der Softie-Papa, der im richtigen Leben in einer zerrütteten Ehe lebt und deshalb seiner Kunst-Frau nachstellt (Nicola Fritzen). Die perfekte Mutter und Hausfrau, die konstatieren muss, dass das Altern im richtigen Leben an der Perfektion nagt (Nicola Kirsch). Die spätpupertäre Tochter Moni, die stets aussteigen möchte, aber sich von den vertraglichen Fesseln nicht lösen kann (Leonie Merlin Young). Und der verschlossene Sohn Maxi, der die Kunstwelt nur noch mit Hilfe von Drogen auszuhalten scheint (Mario Fuchs).

Aus dieser Zerrissenheit der Figuren schöpft der mit lakonischen Wortpointen durchwirkte Text seine Spannung. Die Familiendarsteller auf der Bühne, zu denen gegen Schluss ein aalglatter und etwas ungeheuerlicher Neuling (Florian Jahr) hinzustösst, bewältigen die nicht immer ungebrochenen Sprünge von der Kunstwelt in die dramatisierte Realität und wieder zurück sehr gut. Die Pointen sitzen, das Spiel ist ausgesprochen unterhaltend.

Präzise inszeniert

Das liegt auch an der Inszenierung von Felicitas Bruckner und der Ausstattung von Viva Schudt (Bühne) und Benjamin Burgunder (Kostüme). Der anderthalbstündige Abend spielt sich so leichtfüssig ab, wie der mit vielen hintersinnigen Anspielungen gefüllte Text.

So leichtfüssig aber, dass sich die Einblicke in diese groteske und eigentlich schreckliche Welt sich letztlich zu einem Plätschern besänftigen. Schwer zu sagen, ob es am Text oder an der Inszenierung liegt: Das Stück «Retten, was zu retten ist» klagt an, aber will irgendwie nicht so richtig wehtun. Die Geschichte ist böse, aber nicht wirklich bösartig. Die Inszenierung lässt turbulente Momente zu, aber keine überschäumenden. Es scheint, als ob die Beteiligten die Handbremsen nicht ganz gelöst haben.

Philippe Heule: «Retten, was zu retten ist». Uraufführung im Theater Basel, Kleine Bühne. Weitere Vorstellungen: 10. und 18. November sowie 29. Dezember 2016.

 

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