Auf die Newcomer im Feld hätten nur wenige gewettet: Serafyn haben von der Jury den siebten Basler Pop-Preis zugesprochen bekommen. Aber auch sonst gab es mehr Gewinner denn je an der sympathischen Pop-Gala in der Kaserne: Von Frederyk Rotter über Brandhärd bis Pink Pedrazzi.
Es ist ein bemerkenswerter Zufall: Da versammeln sich vier Musikgruppen auf der Bühne des Kasernen-Rossstalls und fiebern der Preisverleihung des 7. Basler Pop-Preises entgegen. Und exakt zur selben Zeit sollte die Baselbieter Sängerin Nicole Bernegger auf der Bühne der St. Jakobshalle stehen und mit ihrer Soulstimme zigtausend Besucher für den Auftritt von Simply Red aufwärmen, so wie sie das in den letzten Tagen schon in deutschen Konzerthallen getan hat. Doch Simply Red sagen das Konzert kurzfristig ab, Sänger Mick Hucknall hat Stimmprobleme.
Hat man sich also richtig entschieden, wenn man in die Kaserne pilgerte, zur Verleihung des Basler Pop-Preises? Nicole Bernegger gehört zwar – ein bisschen erstaunlich – wieder nicht zu den Nominierten. Ist sie zu erfolgreich dafür? Oder zu stark stigmatisiert durch ihre Teilnahme an The Voice? Zu wenig vernetzt in der Basler Popszene? Die Frage lässt sich nicht beantworten, aber ein bisschen ratlos bin ich zumindest schon, dass mit dem regionalen Pop-Preis «die Spitze gefördert werden soll», aber weder Nicole Bernegger noch Anna Rossinelli in den vergangenen Jahren nominiert worden sind.
Stilistisch liegt alles drin, von Brandhärd bis Zatokrev
Das soll aber nicht heissen, dass die Auswahl zweitklassig oder uninteressant gewesen ist. Im Gegenteil: Das Feld war so breit wie nie und die Entscheidung unvorhersehbar. Erstmals wurden Nischen, die oft übersehen werden, berücksichtigt. Ein starkes, wichtiges Statement. Zatokrev etwa wüten im Doom Metal auf hohem Niveau. Zum Mitsingen sind ihre Lieder nicht, was nicht heisst, das sie mit ihrer Musik nicht durchschütteln und abräumen.
Am anderen Ende der Skala: Brandhärd, etablierte Mundartrap-Combo mit grosser Fanbasis und ausverkaufter Reithalle (wenn sie denn mal wieder in ihrer Heimatstadt spielen, so wie demnächst am 5. Dezember.)
Bärte, Rapper, Ruhm und Ehre
Beide Bands werden an diesem Abend auf die Ränge verwiesen und gehören doch zu den Gewinnern: Freddy Rotten, der bärtige Frontmann von Zatokrev, erhält den mit 12’000 Franken dotierten Business Support für seine Arbeit als Labelmanager von Czar Of Crickets. Was bereits schon seit Tagen feststeht – und ihn, schüchtern und wohl auch nervös, trotz Vorbereitung sprachlos macht. Und Brandhärd gewinnen zum zweiten Mal den Publikums-Preis. Was sie mit entwaffnender Ehrlichkeit kommentieren: «Es kotzt mich jedes Mal an, unsere Leute um Stimmen anzubetteln», sagt Rapper Fetch vor den 300 geladenen Gästen, «aber am Ende sind wir doch sehr glücklich, wenn wir es geschafft haben.» Nach einem wochenlangen Kopf-an-Kopf-Rennen beim Online-Voting bringen sie doch gut 100 Stimmen mehr nach Hause als Zatokrev. Ruhm und Ehre für die Rapcrew – immerhin!
Den mit 15’000 Franken dotierten Hauptpreis aber, den gewinnt eine Band, die bei Buchmachern eine interessante Quote gehabt hätte: Serafyn. Über den rasanten Aufstieg der Strassenmusiker via Internet haben wir bereits im Sommer ausführlicher berichtet. Kurz gesagt: Feiner Folk, made in Basel, mit Celli und verträumten Chorgesängen. Sie sind relativ neu auf der Bildfläche, gerade im Vergleich zu den anderen Nominierten, darunter auch die Folkpopper Baum (abwesend, weil gerade in New York im Aufnahmestudio) und die Glampunker Bitch Queens («Wir sind Pop mit Attitude, nicht mit Pussy»).
Angesichts all der anderen B’s, die nominiert waren, fragt sich, ob Serafyn den Zuschlag aufgrund ihres S erhalten haben: Sinnlichkeit.
Verträumt sind ihre Lieder jedenfalls, zart auch, so wie die Formation selber, die im Vergleich zu den anderen Bands noch nicht auf jahrelange Erfahrungen und mehrere Albumveröffentlichungen zurückblicken kann. Serafyn staunen noch, wenn sie am JKF oder am BScene spielen können, weil es sie selber überrascht.
Ein Quintett, das zu sechst auf der Bühne steht
So, wie der Gewinn des Preises. Die Cellistinnen Alexandra Werner und Anja Waldkircher sowie Gitarristin Anna Erhard können es kaum glauben – und das Geld aber sehr gut brauchen, wie sie sagen. «Für unsere Projekte im nächsten Jahr.» Und damit meinen sie nicht das Projekt, das in Waldkirchers Bauch heranwächst. Das Quintett ist offensichtlich zu sechst erschienen. Der Geburtstermin, verrät Waldkircher später am Abend, sei noch im November. «Einfach nicht vor Samstag», hofft die Band, die dann im Berner Bierhübeli ihr letztes Konzert vor der Babypause geben wird. Es geht erneut um einen Preis: «Swiss Live Talent 2015». In der Jury sitzt anscheinend ein Agent des Glastonbury Festival. Hört, hört!
Talentiert sind Serafyn, keine Frage. Dennoch ist der Entscheid überraschend, wenn man an das Kriterium der Spitzenförderung denkt, das den Pop-Preis begleitet. Das weiss auch die Jury. «Wir haben 90 Minuten lang diskutiert und gerungen darum, worauf wir den Fokus legen wollen. Und am Ende einen mutigen Entscheid gefällt, der ein gewisses Risiko birgt», verrät Jurorin Steffi Klär.
Eine Band in der Findungsphase
Musikalisch betrachtet mag sich der Mut vielleicht nicht erschliessen, sind die Songs von Serafyn doch leichter verdaulich als jene von Zatokrev oder der Bitch Queens. Mutig ist der Entscheid aber, weil hier keine Spitze gefördert wird, keine Krone, sondern ein Pflänzchen, das erst gerade zu blühen begonnen hat und noch fragil wirkt. In der Findungsphase, könnte man den Status von Serafyn umschreiben, nachdem man sie live gehört hat.
Der Pop-Preis fördert diesmal also die Newcomer – so wie früher das Sprungbrett nachhalf. Eine interessante Entwicklung, die tatsächlich sehr mutig ist (und natürlich auch hart für die etablierteren, professionelleren Konkurrenten) – und die einmal mehr für Diskussionen sorgt, auch, weil sich dadurch eine Unschärfe im Kriterienkatalog offenbart, der Widersprüche aufweist. Die Jury ist nicht zu beneiden. Und Serafyn soll man gratulieren.
Pink Pedrazzi wird für sein jahrzehntelanges Schaffen geehrt
Mit dem Lifetime Achievement Award, der hier der L’Unique-Anerkennungspreis heisst und mit 5’000 Franken dotiert ist, hat der RFV immerhin ein Mittel gefunden, um verdiente, längst etablierte ältere Musiker zu würdigen. Nach Roli Frei, der an diesem Abend entwaffnend offen sagt, dass er damit unter anderem seine Zähne behandeln lassen konnte, ist Pink Pedrazzi von 25 Musikjournalisten auserkoren worden. Und auch dieser Singer-Songwriter musste gerade seinen Körper renovieren und kann daher jeden Franken gut gebrauchen.
Mit diesen Aussagen gewinnen beide gestandenen Sänger die Herzen der Anwesenden – und mit ihrer Freude über einen Preis, ihren ersten überhaupt. Pink Pedrazzi musste 60 Jahre alt werden: «Zuvor habe ich nur eine Autorennbahn gewonnen, als Jugendlicher, bei einer Tombola», sagt er. «Allerdings war diese billig und lief nie richtig». Der Frust eines Buben – an diesem Abend endlich Geschichte. Schön! Wie sagte doch Pink Pedrazzi hier in der TagesWoche vor einem Jahr: «Ich bastle mir noch immer meinen Traum.»
Das lässt sich auch auf Serafyn übertragen. «Als nächstes werden wir Songs schreiben», sagt Leadsängerin Anna Erhard, danach, im Sommer, wollen sie ihr erstes Full-Length-Album aufnehmen. «Das Geld ist eine gute Basis dafür.»
Und dass ein Mutterschaftsurlaub noch kein Karrierenende bedeuten muss, das haben andere in Basel auch schon bewiesen. Nicht zuletzt die dreifache Mutter Nicole Bernegger.
_
Die Jury für den Pop-Preis 2015 setzte sich heuer wie folgt zusammen:
- Christoph Aebersold, Leiter SRF virus, Zürich, Basel (neu)
- Chiara Fanetti, Musik- und Kulturjournalistin, Rete Tre, Lugano (gab ihre Stimme ab, war aber nicht anwesend)
- Frank Fischer, Leiter Jugendinstitutionen Stadt Aarau, ex Kaserne Basel, Basel (neu)
- Steffi Klär, Die Kuppel Basel, Kultur & Gastro-Präsidentin, Basel
- Marc Ridet, Direktor Fondation CMA Nyon, Swiss Music Export, Label Suisse, Lausanne