Museen müssen nicht allen Erwartungen gerecht werden – sie dürfen ihre Besucher auch gerne herausfordern.
Steine haben im Museum der Kulturen das Fliegen gelernt. Sie liegen nicht schwer auf dem Boden, sondern schweben darüber, befestigt an dünnen, weissen Fäden. Sie hängen absolut still, ein Luftzug reicht nicht, sie in Bewegung zu versetzen. Erst wenn der Mensch eingreift, heben und senken sie sich oder schwingen hin und her.
Die Installationen des südafrikanischen Künstlers Justin Fiske kommen für manch einen Besucher des Museums wohl überraschend. Kunst im kulturanthropologischen Museum? Das ist nicht das, was man erwartet. Das ist nicht das, was man kennt. In ein Museum der Kulturen gehören Kulturen, veranschaulicht an Objekten. Kunst hingegen gehört ins Kunstmuseum, so wie ein Naturkundemuseum ausgestopfte Tiere im Repertoire haben muss und ein Antikenmuseum griechische Büsten und römische Vasen.
Doch wer zieht denn diese Grenzen? Sind es die Museumsverantwortlichen, die in ihrem Haus nichts anderes zulassen, als der Name vorgibt? Nicht nur. Jahrzehntelang wurde die Trennung zwischen den einzelnen Disziplinen strikt gelebt und jedes eigene Gärtlein gehegt und gepflegt.
So lange, bis der Besucher sich so sehr daran gewöhnt hat, dass sein Bild von einem bestimmten Museum derart stark geprägt ist, dass es ihn schockiert, wenn ein Haus bisherige Grenzen aufweicht.
Im Basler Museum der Kulturen kann man ein Lied davon singen. Im September 2011 öffnete man nach monatelanger Sanierung die Türen zu einem neuen Haus am alten Ort. Alles war anders, nichts wie man es kannte: Sonderausstellungen überall, keine Dauerausstellungen mehr, die wertvolle Tibetsammlung unsichtbar im Depot verräumt. Den Beteuerungen der Direktorin Anna Schmid, dass Dauerausstellungen geplant seien, schenkte kaum jemand Gehör, die Leserbriefspalten der «Basler Zeitung» wurden mit empörten Zwischenrufen gefüllt. Eine Debatte über den Sinn und Unsinn von Museen entbrannte. Interessant daran war, dass kaum neue Ideen für das Museum der Kulturen vorgebracht wurden. Die Emotionen wurden geschürt durch Erinnerungen an das Alte, um das sich manch einer betrogen sah.
Jeder, der ein Museum betritt, tut das mit einem Rucksack an Erfahrung und Wissen. Während einige diese im Museum bestätigt sehen wollen, gehen andere hin, um Neues zu lernen, um ihre Erfahrungen anzureichern. Vorgeprägte Sichtweisen wecken Erwartungen in eine bestimmte Richtung. Diesen kann ein Museum gerecht werden, indem es immer wieder das Gewohnte bietet, oder aber es kann sie durchrütteln – und mit ihnen vielleicht auch die Besucher.
Inhaltliche Bewegung
Die Sehgewohnheiten der Menschen haben sich in den letzten Jahren, geprägt etwa durch den Umgang mit Neuen Medien, stark verändert. Ein Museum, das sich und seine Besucher ernst nimmt, muss diese veränderten Sehgewohnheiten ebenso zur Kenntnis nehmen, wie es seinen museumsfachlichen Auftrag im Auge behalten muss, Ort der Bewahrung, Erforschung und Vermittlung von Kunst und Kultur zu sein. Während Forschung gut hinter den Kulissen funktioniert, bieten Sonderausstellungen für die Vermittlung den grösseren Spielraum als auf Jahre hin angelegte Dauerausstellungen, die kaum inhaltliche Bewegung zulassen.
Auch das Basler Kulturleitbild sieht diese Veränderung als notwendig an. «Popularisierung und Eventisierung der Kultur haben zu einer Verschiebung von kulturellen Prioritäten geführt. In einer erlebnisorientierten Gesellschaft verlangen Dauerausstellungen nach einer fortlaufenden Aktualisierung, während gleichzeitig die Bedeutung von Sonderausstellungen steigt», kann man da nachlesen. Und weiter: «Die aktive Bewirtschaftung der Sammlungsbestände in Form von Ausstellungen und Formaten, die neue Zugänge und Sichtweisen auf die Bestände eröffnen, gewinnt an Bedeutung.»
Finanzielle Zwänge
Den Verfassern des Kulturleitbildes geht es dabei jedoch weniger darum, veränderten Sehgewohnheiten gerecht zu werden, als um finanzielle Überlegungen: Museen müssen rentabler werden. Es gibt kaum ein Museum, das heute nicht mit finanziellen Schwierigkeiten kämpft und sich vielleicht gar überlegen muss, ob Sammlungsteile geschlossen werden müssen. Beim Historischen Museum Basel ist man schon einen Schritt weiter und hat bereits angekündigt, dass das Kutschenmuseum definitiv geschlossen wird.
Bei der Regierung erhofft man sich von der Neuausrichtung einiger staatlicher Häuser höhere Besucherzahlen. Die Sammlungstätigkeit soll zwar zentral bleiben, doch die Vermittlung lebendiger geschehen. Darf ein Museum somit nicht mehr museal sein? Schliesst man durch die Akzentverschiebung hin zur Eventisierung alles Kontemplative aus? Nein, denn der Umgang mit dem Präsentierten bleibt noch immer den Betrachtern überlassen. Sie sind es, die aus einer Ausstellung das für sich herausziehen, was ihnen eine Erkenntnis bringt. Ein Museumsbesuch ist immer eine subjektiv geprägte Erfahrung, und eine Ausstellung kann und muss deshalb nicht für alle funktionieren.
Im Museum der Kulturen werden seit einem halben Jahr neue Ideen erprobt – revolutionär sind sie höchstens hier in Basel noch, andernorts haben sich thematische Ausstellungen gegenüber regional ausgerichteten längst durchgesetzt. Ein Kulturmuseum hat zudem mehr konzeptionellen Freiraum als ein reines Kunst- oder ein historisches Museum. Deshalb kann hier auch die Kunst ihren Raum finden.
Justin Fiskes schwebende Steine kann man so als Parabel auf das gesamte Museum der Kulturen lesen, als Reaktion gar auf den letzten Herbst – obwohl die Ausstellung natürlich schon vorher geplant war. Doch Fiskes Kunst bringt die Menschen dazu, festgefahrene Sichtweisen durch ihr eigenes Eingreifen über den Haufen zu werfen. Das kann man gut finden oder schlecht.
Aber hey! Steine können schweben. Wer hätte das gedacht.
Die Ausstellung «Schwebend – Von der Leichtigkeit des Steins» im Museum der Kulturen läuft noch bis zum 15. Juli. Die erste Dauerausstellung zum Thema «Expeditionen» wird ab 29. Juni zu sehen sein.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 04.05.12