2,5 Stunden lang lud Steve Hackett in Pratteln zur Zeitreise, zurück in seine Genesis-Vergangenheit. Mittlerweile doch schon 64 Jahre alt, bringt der Brite die alten Klassiker des Progrock noch immer in grandioser Studioqualität auf die Bühne. Respekt!
«Steve Hackett needs no introduction. He is definitely one of the major guitarists of this century.» Wie vielsagend dieser Satz doch ist, den wir auf der Webseite www.progarchives.com entdeckt haben! Vielsagend, weil der Internet-Eintrag ganz offensichtlich seit 1999 nicht mehr aktualisiert worden ist und somit ein Klischee zementiert, das man Progrock-Fans gerne zuschreibt: Dass sie in der Vergangenheit leben würden.
Vielsagend aber auch, weil Steve Hackett selber den Übergang ins neue Jahrhundert nicht wirklich geschafft hat. Künstlerisch zumindest hängt er den alten Zeiten nach, wie seine aktuelle Tour bestätigt, in der er sich ganz auf seine Jahre bei Genesis beschränkt.
Die grossartigen Jahre von Genesis
Auf diese alten Zeiten darf er aber auch wirklich sehr stolz sein: Wirkte er doch in der schöpferisch spannendsten Phase von Genesis’ Geschichte mit, trug massgeblich zu den musikalischen Offenbarungen bei, mit denen die Briten Pionierarbeit im Bereich des progressiven Rock leisteten, diesem auf die Sprünge und zum Höhenflug verhalfen. Einer wie Hackett darf sein Vermächtnis mit Stolz verwalten.
Und wir sind ihm dankbar dafür. Denn warum sollte er das Feld ganz den Coverbands überlassen? Zumal seine alten Kollegen nie wieder gemeinsam auf die Bühne zurückfinden dürften. Phil Collins geniesst die Frührente, Peter Gabriel seine Solokarriere.
Also zieht Hackett allein durch die Lande, begleitet von einer fünfköpfigen Band, die mehr Musiker umfasst als dies einst bei Genesis der Fall war: Wo Peter Gabriel sowohl für Flöte als auch Gesang verantwortlich zeichnete, hat Hackett einen Musiker für die Holzinstrumente eingespannt (Rob Townsend) – und einen Sänger (Nad Sylvan), der nebenbei mit dem Schellenkranz rasselt.
Die Konzertfabrik Z7 ist locker gefüllt, als das Sextett sein Konzert mit «Dance on a Volcano» eröffnet, einem Song, der auf dem vernachlässigbaren Album «A Trick Of The Tail» (1976) zu finden ist. Peter Gabriel war da schon ausgestiegen, um seine Solokarriere zu lancieren – und auch Hacketts Bindung zu Genesis begann sich zu lockern.
Nicht alle Songs altern gleich gut
Zufall oder nicht, wir erleben jedenfalls keinen Auftakt nach Mass: Zum einen geht der Gesang streckenweise unter, zum anderen ist der Opener selber kein Highlight. Das ändert sich mit «Dancing With The Moonlit Knight» – prononciert der Gesang, ausdrucksstark das Spiel, präziser auch. Bald schon stellen wir fest, dass sich auch live bestätigt, was wir auf Platte immer schon fanden: Dass die frühe Schaffensphase von Genesis auch ihre stärkste war. Dass die Alben «Foxtrot» und «Selling England By The Pound» überragend gelungen sind – und unbedingt in jedes gut sortierte Plattengestell gehören. Heute noch.
Denn nichts gegen ein Stück wie «The Return Of The Giant Hogweed» vom Frühwerk «Nursery Crime». Ganz bestimmt diente es vielen jüngeren Bands (zum Beispiel Muse!) als Lehrbeispiel, aber als Song ist es schlechter gealtert als andere Nummern.
Am mitreissendsten sind jene Stücke, in denen Körper und Kopf gleichermassen beansprucht werden, jene Songs, die einfahren, hymnisch sind, clever auch, voller Gefühl und Schalk. So wie «I Know What I Like (In Your Wardrobe), mit dem Hacketts Band erstmals an diesem Abend richtig abhebt und den Saal in eine kollektive Euphorie versetzt.
Völlig überraschend stellen wir fest, dass bei diesem Stück auf einmal Augenwasser unseren Blick trübt. Ist das die Freude darüber, nach all den Jahrzehnten ein Lied live mitsingen zu können? Es fühlt sich vergleichbar an, wie wenn man einem alten Freund nach langer Zeit wieder begegnet. Auf jeden Fall herrlich, diese Hymne mal live hören zu können.
Bei anderen Besuchern – sie sind zu beneiden – scheint es nicht das erste Mal zu sein, dass sie diese Genesis-Songs live erleben. Viele Besucher – progrocktypisch mehrheitlich Männer – haben die 70er schon als Fans miterlebt, womöglich Genesis mit Hackett und Gabriel im Line-Up erlebt. Respekt!
Erinnerungen werden wach
So oder so geben sich ältere und jüngere Besucher dem Backflash hin: Da werden Erinnerungen wach an die Erweckungsgefühle, die diese komplexen und genial vielschichtigen Songs initiiert haben. Songs, die heute noch unter die Haut gehen: «Firth Of Fifth» etwa – eine Wahnsinnsnummer, die Hackett, dieser Teufelskerl, mit 64 Jahren noch immer 1:1 auf die Bühne bringt. Und das mit den Bendings, mit der singenden Gitarre, mit der er 1973 schon andere Meister wie Brian May tief beeindruckt hatte. Tatsächlich war Hackett damals seiner Zeit voraus, allein mit dem Tapping ein Ausnahmegitarrist, der ein bisschen zu Unrecht vergessen gegangen ist.
Eindrücklich demonstriert er an diesem Abend, wie flink er 40 Jahre nach seinem künstlerischen Höhepunkt noch immer ist, wie virtuos und zugleich stimmig er sein Instrument spielt. Besonders berührt hat uns dabei das zarte Solostück «Horizons».
Ist das Ganze also eine Revue, wie man sie von Coverbands her kennt? Nein, eher ein Rentendu. Denn fürs Auge wird wenig geboten. Sänger Nad Sylvan verzichtet – mal abgesehen von seinem weissen Rüschenhemd, Lidschatten und einem Fernrohr (in «Watcher Of The Skies») – auf theatralische Elemente. Ganz im Unterschied zu Peter Gabriel, der seinerzeit als Fuchs, Blume und mehr über die Bühne huschte.
Hackett stellt – und das macht Sinn – die Songs ins Zentrum sowie die authentische Wiedergabe. Er führt eine Genesis-Coverband an, verkörpert dabei das Original. Und entführt uns in eine andere Zeit, als ein Song auch mal 20 Minuten lang sein durfte. «Supper’s Ready» – welch grossartiges Monster von einem Song! «Es ist 103 Jahre her», sagt Hackett in einer seiner Ansagen kokett, «aber es fühlt sich an, als sei es gestern gewesen.» Ganz genau.