Ungerader Stoff, der tierisch abgeht

Kaspar Ewald komponiert Musik, die genauso komplex ist wie groovig. «Lust am Gewirr» wünscht er sich beim Hören. Wir haben ihn während den Proben zu einer Kammeroper getroffen, mit der heute die Saison in der Gare du Nord beginnt.

Kaspar Ewald hält die Unterscheidung in ernste und Unterhaltungsmusik für lachhaft. «Musik muss erfrischen!» (Bild: Nils Fisch)

Kaspar Ewald komponiert Musik, die genauso komplex ist wie groovig. «Lust am Gewirr» wünscht er sich beim Hören. Wir haben ihn während den Proben zu einer Kammeroper getroffen, mit der heute die Saison in der Gare du Nord beginnt.

Kaspar Ewald, 45-jähriger Komponist aus Liestal, reisst sich für unser Treffen ein Stündchen aus der Agenda. Er probt gerade die Kammeroper «Lysistrata» und eröffnet damit am 23. Oktober die Saison in der Gare du Nord. Der Konzertsaal im Badischen Bahnhof ist in Basel die Heimstätte für Neue Musik – eine Richtung, die für viele zu verkopft ist.

Für Kaspar Ewalds Musik trifft das jedenfalls nicht zu. Ihm löscht es ab, wenn man beim Hören das Gefühl hat, man müsse erstmal mit Analysieren anfangen. «Schrecklich!», sagt er. «Egal, was ich zu mir nehme, ob ich esse, ob ich etwas anschaue, ich wünsche mir, dass meine Sinne erfrischt werden. Ich will denken können: Wow, was geht hier ab? Ich will die Lust am Gewirr.»

Ewalds Eltern sind klassische Musiker. Als Jugendlicher hat er sich in den Jazz reingehört, in den Funk und in den Soul. «Ich habe zwei musikalische Heimaten, die klassische und die afroamerikanische», sagt er. Daher auch der Name des Ensembles, das er vor 13 Jahren gegründet hat: «Kaspar Ewalds Exorbitantes Kabinett». Das «exorbitant» steht dafür, den Rahmen dauernd zu sprengen, auch wenn Ewald selber diese bedeutungsvolle Beschreibung nicht wählen würde.

Nicht zimperlich

Mit der aktuellen Produktion ist es zwar etwas anders. Hier spielt nicht das Kabinett, seine Spielwiese für Exorbitantes, sondern ein kleines Orchester, ein Chor und Solisten aus Lettland und der Schweiz. Ewald erhielt den Auftrag, Aristophanes’ Komödie Lysistrata für eine Kammeroper umzusetzen. Hier ist seine Musik weniger Experiment, als dass sie dem Text dient. Mit seinen Worten: «Ich hoffe, dass die Musik dem Aristophanestext ein gutes Pferd sei.»

Auch für den Text war er zuständig, mit der Vorgabe, dass sein Beitrag den komödiantischen Teil des Abends ausmacht, während ein lettisches Team eine tragische Variante ausarbeitet. Griechischkenntnisse brachte Ewald mit, weil er die Sprache, «wie es der Zufall will», in der Schule gelernt hat.

Von hier aus merkte er, dass er wenig zu tun hat. Der Text gefiel ihm so gut, dass er beschloss, ihn lediglich nah am Original zu übersetzen und einzudampfen.

«Aristophanes‘ Sprache hat ein Spektrum von derb bis pathetisch», sagt Ewald. Auch die Story ist kernig. Während des endlosen Krieges zwischen Athen und Sparta tun sich die Frauen der verfeindeten Mächte zusammen und verweigern ihren Ehemännern so lange den Sex, bis diese den Krieg beenden. Am Ende laufen die Männer mit erigiertem Geschlecht über die Bühne, da kennt Aristophanes gar nichts. Ewald staunte nicht schlecht, und die Letten erst recht, da sie es bislang mit gezähmten Übersetzungen zu tun gehabt hatten.

Phallus als Symbol der Ohnmacht

Freilich hat er Freude an der Unmittelbarkeit des Textes. Das lettische Vokalensemble Putni hat sich für «Lysistrata» entschieden, weil der Kampf der Frauen sie interessierte. Interessiert er Sie auch, Herr Ewald?

Eine direkte Antwort kommt da nicht. Er ist offensichtlich nicht primär ein politischer Künstler. Klar ist vor allem, dass er sich nicht um Aktualität bemüht. «Ich werde keine Femen-Aktivistin auf die Bühne stellen, damit der Bezug zur Gegenwart deutlich wird», sagt er.

Hingegen amüsiert ihn etwas anderes: «Jede Krawatte, jedes Saxophon, jeder Kirchturm wird als Phallus gedeutet, und der Phallus als Symbol für Macht. Aristophanes führt uns den Phallus als Symbol der Ohnmacht vor.»

Sieht umgekehrt so die Macht der Frau aus? Hat sie den Mann in der Hand, weil sie ihn an seiner Geilheit kirre machen kann?

Wir merken, dass wir hier ein Fass aufmachen, das wir mal in Ruhe besprechen müssen. Aber eine weitere Frage drängt sich auf: warum nämlich in seinem Exorbitanten Kabinett unter 15 Musikern nur eine Frau ist. «Ich hoffe, das ist Zufall», sagt Ewald. Es ist schön zu sehen, wie er diesen Aspekt auf dem Schirm hat, zugleich aber klar ist, dass er einfach gute Musiker gesucht hat. Und die waren in diesem Fall halt Männer.

Die Sache mit den Frauen

Klassisches Dilemma unserer Zeit. Ewald wählt den einzigen Ausweg: Er rauft sich die Haare und schmunzelt dazu. «Lieber produziere ich ein Stück, das sich über die Männer lustig macht, als eine Frauenquote einzuführen.»

Neue Pläne mit dem Kabinett sind auch am Horizont. Ewald würde gern die groovehaltige Hörmusik zu einer anspruchsvollen Tanzmusik machen. Wieder in seinen Worten: «Ich will ungeraden Stoff machen, bei dem tierisch die Post abgeht.»

Schon als Jugendlicher hatte er Freude am Tanzen, aber quer zum Rhythmus. Das Quere nimmt seine Musik nun vorweg. Drängt sich eine letzte Frage auf: Sind Sie ein guter Paartänzer?

«Nein!» (oh, Wunder) «Und ich glaube, das lerne ich nicht mehr. Mein Hirn ist gross, aber der Eingang ist klein.»

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«Lysistrata», ein Kammeropernabend nach der Komödie von Aristophanes mit Musik von Kaspar Ewald und Jēkabs Nīmanis.
Premiere am 23. Oktober, 20 Uhr
. Weitere Aufführungen: 24., 26., 27., 30. Oktober.
Gare du Nord im Badischen Bahnhof.

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