Zwei renommierte Singer-Songwriter aus den USA zeigen in Basel, wie man schlaue Musik macht und diese eindringlich auf die Bühne bringt. Tori Amos und Randy Newman lassen beide ihre Eigenwilligkeit aufblitzen. Einer der beiden aber scheint sich vom Publikum zu verabschieden.
Man sieht Randy Newman das Alter an. Hinkenden Schrittes begibt er sich zum Flügel und setzt sich auf den Klavierstuhl. Schmerzfrei sieht das nicht aus. Der Berufskalifornier, der bald seinen 72. Geburtstag feiert, klingt auch ein wenig brüchiger, wenn er singt und spielt. Aber schon nach einigen Minuten stellt das Publikum im Messe-Eventsaal erleichtert fest: Seinen Humor hat er nicht verloren.
Wie kaum ein anderer US-Künstler verbindet Randy Newman leichte Pianosongs mit Ironie und Sarkasmus. So erzählt er uns an diesem Abend, dass er er sich vor Jahrzehnten mal entschieden habe, keine Love Songs zu schreiben. Warum nicht? «Vielleicht, weil die Leute diese so mögen», sagt er kokett. Und kündigt dann «I miss you» an – «ein Lied, das ich für meine erste Frau schrieb, und zwar zum Zeitpunkt, als ich mit meiner zweiten verheiratet war.»
Herrlicher Humor und ehrliche Ernsthaftigkeit
Herrlich, dieser Humor! Was folgt, ist allerdings ein tief berührendes, bitteres Lied voller Melancholie. Newman kann beides: Sehr lustig sein. Und sehr ernst, das manifestiert sich später in einem der Höhepunkte dieses Konzerts: «Guilty», dem entwaffnenden Schuldbekenntnis eines Sünders. Zeitlos grosse Nummer.
Newmans Klasse ist, das zeigt sich an diesem Abend, wie er Ernsthaftigkeit und Humor über 80 Minuten vereint, ohne zu clownesk oder gefühlsduselig zu wirken. Er ist ein Entertainer alter Schule mit Sinn für Selbstironie.
So stellt er fest, dass alle, die in den 60er- und 70er-Jahren Erfolge feierten, noch immer auf Tour seien. «Niemand hört auf, wir sind alle geriatrische Rock’n’Roller. Und auch wenn unser Talent längst passé ist: Wer ist schon so gemein und würde uns das sagen? Also geben wir weiterhin Konzerte.» Und über dieses Phänomen habe er einen Song geschrieben: den wunderbar sarkastischen «I’m Dead (but I don’t know it)».
Dieses Stück, inklusive Publikumsinvolvierung, gehört zu den Highlights. Zuvor hat es ein bisschen gedauert, bis er dieses spezielle Basler Publikum auf seine Seite holen konnte. Auch, weil er selber erst nach einer halben Stunde so richtig in Parlierlaune kommt.
«Die meisten meiner Erfolge haben ja andere für mich gefeiert.»
Weiteres Beispiel gefällig? Er spielt «You Can Leave Your Hat On», das zuerst durch Joe Cocker und dann durch Tom Jones (via «Full Monty») zum Hit wurde, und fügt trocken hinzu: «Die meisten meiner Erfolge haben ja andere für mich gefeiert.»
Angehörs seiner eigenen Version an diesem Abend, erstaunt es allerdings nicht, dass dem so ist: Seine Live-Version dieses Stripclubklassikers wirkt eher abgelöscht denn animierend. «Ich spiele es zu tief, ich weiss. Dabei dachte ich, dass das besonders schlüpfrig klinge», sagt er, wie so oft entwaffnend ehrlich.
Verzicht auf Klassiker
In Basel verzichtet er auf einige Klassiker, etwa «I Love LA», «It’s Money That Matters» oder «Mama Told Me Not To Come», einer seiner frühesten Erfolge, den stellvertretend für ihn 1967 Eric Burdon & The Animals feierten, danach Three Dog Night und schliesslich Tom Jones. Newman schreibt Songs, die alle covern. Und die bis heute gut altern. So mag man bedauern, dass er Nummern wie diese erwähnten weglässt – und stattdessen eine eher unglückliche, weil plumpe «Putin»-Satire zum Besten gibt. Kein Song, für den man ihn in Erinnerung behält, der Vers «He can power a nuclear reactor with the left side of his brain» ist das Highlight des ganzen Songs.
Doch das macht Newman im Nu wieder gut, mit dem zynischen «Political Science» oder den grossen Klassikern wie dem oft missverstandenen «Short People» sowie dem als Titelmelodie der TV-Serie «Monk» bekannt gewordenen «It’s A Jungle Out There».
Am Ende schüttelt er am Bühnenrand Hände, gefühlte Minuten lang. Rührend, aber auch traurig. Wirkt es doch so, als reiche hier einer die Hände zum Abschied. Ob Randy Newman je wieder in Europa zu erleben sein wird? Oder ist das seine Abschiedstour – ohne dass er dies an die grosse Glocke hängen würde, natürlich.
Tori Amos: die Kate Bush der Staaten
Mit Randy Newman hat Tori Amos vordergründig wenig gemeinsam, auch wenn sie beide Piano spielende Singer-Songwriter sind. Doch entstammt sie einer jüngeren Generation, ist 52-jährig, lebt nicht mehr in den USA, sondern in England. Ihre Texte sind zudem kryptischer, poetischer, verklärter.
Und doch sind da Gemeinsamkeiten: Denn wie Newman steht auch sie für eine herausragende eigene Stimme im Pop-Zirkus, für Unverwechselbarkeit. Und für eine Karriere, die abseits der Mainstreamradios funktioniert.
Oft wird Amos mit Kate Bush verglichen, weil sie die Stimme als Spielwiese zu benutzen scheint, mit einer Leichtigkeit über die Tonleitern springt und dabei eher feenhaften Progrock denn eingängige Popmusik in den Raum zaubert.
Wie eindrücklich sie das kann, zeigt Tori Amos gleich zu Beginn ihres Konzerts – ihre gesangliche Präsenz ist eindringlich und aufwühlend. «Bliss» (1999) heisst das erste von 15 Liedern, das sie an diesem Abend darbietet – nicht auf dem selben Flügel wie Randy Newman, notabene. Er spielte auf einem Basler Steinway, sie liess ihren eigenen Bösendorfer nach Basel transportieren – «my girlfriend since 1994», sagt sie und streichelt ihr Instrument. Charmant!
Ein exklusiver Coup
Zeit genug für den Transport blieb ihr, ist das Basler Datum doch das einzige in diesem gesamten Herbst. Da ist den hiesigen Veranstaltern also ein Exklusiv-Coup gelungen. Aus der Euphorie in den vorderen Reihen zu schliessen, sind auch tatsächlich einige Hardcorefans angereist, die jeden ihrer Texte mitsingen können.
Gerne hätte man natürlich Amos und Newman auch kurz zusammen gehört, ein Magic Moment à la Montreux wäre aber dann doch zu viel verlangt gewesen. Und auch nicht nötig, um den Abend zu retten. Denn dieser unterhält auch im zweiten Konzert bestens.
Amos fasziniert noch immer mit ihrer spektakulären Ausstrahlung und ihrem Können: eine Frau, ein Flügel, ein Synthesizer, zwei Stilettos und eine Spreizperformance. Sie betört mit ihren raffinierten Phrasierungen, ihrer virtuosen Kombination aus Gesang und Klavierspiel, das sie mit Synthesizer- und Orgelklängen um mystischere Dimensionen überführt. Überhaupt sind in ihrer Musik immer wieder esoterische Klänge, die von kräftigen Eruptionen kontrastiert werden. Sensibilität und Power: Tori Amos vereint beides in Songs und Stimme. Dabei vergisst man auch, dass man sie hätte vergessen können. Denn aus kommerzieller Sicht sind ihre grössten Tage vorbei, die messbaren Erfolge feierte sie zu Beginn der 90er-Jahre.
Daran erinnert sie sich auch in einer ihrer wenigen Ansprachen. Respektive an ihre ersten Schritte in den 80er-Jahren, als ihr erstes Album floppte. «Y Kant Tori Read» hiess dieses und entstand in Zusammenarbeit mit Schlagzeuger Matt Sorum (der später bei Guns N’Roses einstieg). Amos hat nach dieser Erfahrung den Soloweg am Piano gewählt – der wider Erwarten ihrer Plattenfirma auch tatsächlich zum weltweiten Durchbruch führte.
In Basel zeigt sie, dass einer dieser gefloppten Songs durchaus ins Repertoire passt: «Floating City» präsentiert sie ätherisch-perlend, ohne Achtziger-Sounds – und spannt drei Songs später den Bogen zu ihrem zweiten, zugleich erfolgreichsten Album «Little Earthquakes»: Mit «Crucify», dem bekanntesten und noch immer ergreifenden Stück aus dem Jahr 1992.
Am Ende überwiegt die Bewunderung für ihre Virtuosität und ihre Energie. Und ganz weit hinten bleibt ein Erstaunen darüber, dass sie auf eine Zugabe und auch auf einen ihrer bekanntesten Songs verzichtet: «Cornflake Girl».
Andererseits demonstriert sie gerade durch diesen Erwartungsbruch Eigenwilligkeit und Stärke. Nicht alle Hits zu servieren, das ist eine weitere Gemeinsamkeit mit Randy Newman. Chapeau an beide für einen erfüllenden Abend.