Antonio Latella inszeniert mit «Caligula» die sinnentleerte Banalität des Bösen: Caligula ist despotisch und grausam, einfach weil er es sein kann. Ein beunruhigender Abend im Theater Basel.
Als Gott im Alten Testament Ägypten mit den grossen Plagen eindeckte, liess er unter anderem Frösche regnen. Im Reich des despotischen römischen Kaisers «Caligula» prasseln wie in einem Hagelsturm Nüsse auf die Bühne. Unmengen davon rollen über den schiefen Boden des orangefarbenen spitzwinkligen Bühnendreiecks runter, um dann den ebenen schwarzen Steg der Vorbühne wie einen Teppich zu übersäen.
Es sind bemerkenswerte Bilder, die Regisseur Antonio Latella und seine Ausstatter Simone Mannino (Bühne) und Simona D’Amico bei ihrer Umsetzung von Albert Camus‘ «Caligula» komponieren. Berauschend und symbolkräftig, geheimnisvoll und beklemmend.
Man könnte hier viele Beispiele nennen. Etwa wenn Kaiser Caligula zu Beginn des zweiten Teils des Abends im Rokoko-Reifrock wie eine sich drehende Spieldosenfigur in die Höhe erhoben wird, wenn er sich von den fassungslosen Patriziern als grausame Venus anbeten lässt. Als lächerliche Erscheinung gibt der Despot, getrieben von seiner reinen Boshaftigkeit, seine Staatsoberen erst recht der Lächerlichkeit preis.
Grausam, um der Grausamkeit Willen
Camus hat mit Caligula eine ausserordentliche Bühnenfigur erschaffen. Hier steht nicht einer, der wie die königlichen Bösewichte in Shakespeares Dramen grausam sein muss, um die oberste Stufe der Macht zu erreichen. Caligula ist Kaiser geworden, ohne dass er Widersacher aus dem Weg räumen musste. Und er ist unangefochten in seiner Position, so dass er seine Machtstellung nicht mit Schwert und Schafott verteidigen muss.
Caligula ist despotisch und grausam, einfach weil er es sein kann. Und weil ihm sein absurdes Streben, den Mond ergreifen zu können, verwehrt bleibt. Er mordet, weil er über den Tod seiner Schwester, mit der er womöglich eine inzestuöse Beziehung hatte, nicht trauern kann und er deshalb nur noch Verachtung für sich selber, sein Reich und die Menschen übrig hat. «Die Menschen sterben und sie sind nicht glücklich», lautet seine banale Devise.
Destruktive Depression
Schauspieler Thiemo Strutzenberger verkörpert einen zutiefst depressiven und zynischen Despoten, der seinen Selbsthass auf zerstörerische Weise, aber ganz ruhig und beinahe somnambul auf den Staat und die Menschen um ihn herum prallen lässt. Es ist der nackte Wahnsinn, der sich aber nicht mit emotionellen Ausbrüchen austobt, sondern sehr beherrscht und berechnend auf sein Umfeld kanalisiert. Strutzenbergers Caligula hat etwas Abgehobenes. Sein glasig-träumerischer Blick, seine unterspannte Körperhaltung lassen die Grausamkeit nur unterschwellig durchblitzen – was sie aber umso unheimlicher und erschreckender erscheinen lässt.
«Sollen sie mich doch hassen, solange sie mich fürchten», soll das historische Vorbild Gaius Caesar Augustus Germanicus, genannt Caligula, gesagt haben. Es ist ein Satz, der in Camus‘ Stück nicht vorkommt, aber dennoch Programm ist. Die Staatsoberen um ihn herum stehen den Abgründen wie gelähmt gegenüber. Besonders gilt dies für die beiden Senatoren Lepidus und Muncius (Thomas Reisinger und Martin Hug), die sich zu Dienern degradiert unter dem Gelächter der anderen aufs Schwerste demütigen lassen müssen.
Es gibt keine Erlösung
Währenddessen schwingt sich der befreite Sklave Helicon (Steffen Höld) zur rechten Hand Caligulas empor. Mortadella-Scheiben schlürfend offenbart auch er die Abscheu gegenüber den Patriziern, auf die er nun hinabblicken kann. Caligulas Lebensgefährtin Caesonia (Katja Jung) versucht vergeblich, dem Despoten einen letzten Rest an Menschlichkeit zu entlocken, trägt seine Grausamkeiten aber letztlich mit.
Als Widersacher begehren nur noch Scipio (Vincent Glander) und Cherea (Ingo Tomi) auf. Sie lässt Caligula aber ins Leere laufen, indem er ausgerechnet sie beide am Leben lässt. Vielleicht ist das der Grund, dass sie viel zu lange zögern, dem grausamen Spiel endlich ein Ende zu bereiten.
Wenn Cherea ganz und gar erfüllt vom blanken Entsetzen schliesslich die Pistole doch noch auf Caligula richtet und mit einem Zischen aus dem Mund abdrückt, ist es zu spät. Er muss konstatieren, dass auch er nur Spielball des Kaisers ist und dass es auch mit dem Tod Caligulas keine Erlösung geben kann. Wenn er versucht, das Vergangene wegzuwischen, bleibt nur noch ein leeres Nichts übrig. Ein kahl-schwarzer Raum, aus dem das letzte Licht langsam verschwindet, während Cherea ein bisschen Befriedigung sucht, indem er auf einem drehenden Podestchen masturbiert.
Ein düsteres Bild, mit viel Farbe gemalt
Latella lässt ein düsteres Spiel ablaufen, das an der Oberfläche aber ausgesprochen bunt daherkommt. Die Figuren auf dem grell-orangefarbenen schiefen Dreieck tragen knallfarbene Anzüge: Golden ist der Anzug des Despoten, Blau oder Türkis die der Senatoren. Orange wie die Umgebung ist die Farbe des Anzugs, den der treue Diener trägt, während der Tyrannenmörder ganz in Schwarz daherkommt, das ihn am Schluss im eingedunkelten Raum verschwinden lässt.
Es ist ein sehr stilisiertes Setting, das aber die sinnlose Grausamkeit des bösen Spiels umso deutlicher zutage treten lässt. Und es ist ein Theaterabend, der einen trotz gewisser Längen eindrücklich und auf beunruhigende Art bewegt.
–
Albert Camus: «Caligula» im Schauspielhaus des Theater Basel. Die nächsten Vorstellungen: 19., 25. und 27. November sowie im Dezember.