Verstörende und verwirrende Interpretationen von «The Shining»

Vor über dreissig Jahren kam «The Shining» von Stanley Kubrick ins Kino. Seither rätseln Fans darüber, welche Botschaften der Meister im Film versteckt haben mag. Der Dokumentarfilm «Room 237» lässt einige zu Wort kommen – das Stadtkino Basel zeigt ihn im Januar.

Der Wahnsinn von «The Shining» geht weiter. (Bild: zVg)

Vor über dreissig Jahren kam «The Shining» von Stanley Kubrick ins Kino. Seither rätseln Fans darüber, welche Botschaften der Meister im Film versteckt haben mag. Der Dokumentarfilm «Room 237» lässt einige zu Wort kommen – das Stadtkino Basel präsentiert die versponnene Ode an die Faszinationskraft des Kinos.

Stanley Kubricks «The Shining», 1980 in den Kinos, gehört nicht zu den üblichen Gruselfestspielen, als die sich Verfilmungen der Romane von Stephen King in der Regel offenbaren. Zwar schiessen Ströme von Blut aus einem Lichtschacht, verwandelt sich eine junge nackte Frau im Spiegel in eine verwesende Greisin und sitzen von Spinnweben überzogene Skelette in einem Ballsaal. Aber sonst kommt der Horror nicht aus dem Jenseits, sondern aus den Köpfen der Beteiligten: dem Schriftsteller Jack Torrance (Jack Nicholson), der mit seiner Familie für mehrere Monate die Wartung des abgelegenen Berghotels Overlook übernimmt, und seinem Sohn Danny, in dessen Mund «der kleine Mann Tony» wohnt und ihm Visionen zuspielt.

Am Ende des schleichenden Wahns sitzt Jack, mit der Axt in der Hand auf der Jagd nach seiner Familie, erfroren im Schnee. Eine virtuos inszenierte Schreckenssinfonie, aber nur oberflächlich ein Horrorfilm: «In meinem Film gibt es keine knarrenden Türen, keine Gerippe, überlange Schatten oder andere melodramatische Horroreffekte. Der Film erzählt ganz einfach die Geschichte einer Familie, die langsam in den Wahnsinn treibt», sagte Kubrick selbst über sein beklemmendes Meisterwerk.

Die Denkwege der Kryptologen, die in unzähligen Stunden den Film seziert haben, ist wie das Heckenlabyrinth im Film.

Ganz einfach? So einfach auch wieder nicht, finden seit der Premiere von «The Shining» etliche Anhänger des Films. Kubrick selbst hat seinen Filmen nie öffentlich eine Exegese hinterhergeschoben, und so machen sich seit über dreissig Jahren Fans wie Fanatiker daran, die subkutanen, verborgenen Linien des Films zu entschlüsseln, erst recht dort, wo sie von der Romanvorlage abweichen. Sinnbild dafür: das streng geschnittene Heckenlabyrinth vor dem Hotel. Denn genauso verworren sind die Denkwege der Kryptologen, die in unzähligen Stunden den Film seziert haben.

Fünf von ihnen hat der Filmemacher Rodney Asher in seinem Dokumentarfilm «Room 237» zu Wort kommen lassen. Deren Ausführungen sind so verstörend wie verwirrend. Ein Geschichtsprofessor aus Michigan erkennt in den Tiefenströmen des Films eine Auseinandersetzung Kubricks mit dem unbegreiflichen Schrecken des Holocausts – die deutsche Schreibmaschine der Marke «Adler», die Zahl 42 als Jahreshinweis zur Wannsee-Konferenz, die Kofferberge, die die Familie Torrance anschleppen lässt, als Erinnerung an die Unzähligen in die Konzentrationslager Deportierten, und die Ströme von Blut als Parabel auf die Schrecken des 20. Jahrhunderts.

Obsessive Detektivarbeiten

Ein anderer hingegen sieht «The Shining» als Hinweisgalerie auf einen anderen Genozid: die Ausrettung der nordamerikanischen Indianer durch die europäischen Siedler. Stehen da nicht Backpulverdosen der Marke «Calumet» rum? Hängt nicht ein Indianerteppich an der Wand – und ist nicht überhaupt der ganze Hotelkomplex auf einem Indianerfriedhof erbaut?

Den grössten Sprung macht dabei ein Fan, der in dem Film Kubricks Beichte, der Nasa die Fälschung der Mondlandemission Apollo 11 filmisch umgesetzt zu haben, erkennt. Der Knabe Danny trägt einen Pullover der Apollo-Rakete, das Teppichmuster erinnert an die Bodenbeschaffenheit der Startrampe. Und die berühmte Szene, in dem Torrances Frau entdeckt, dass ihr Schriftstellergatte sich gar nicht für einen neuen Roman einschliesst, wird in das Bekenntnis Kubricks eingebettet: «Der Film handelt eigentlich davon, wie Kubrick heimlich die Apollo-Mission filmt und seine Frau es herausfindet.»

So geht das über 90 Minuten weiter, die ob der obsessiven Detektivarbeit der Exegeten nicht gänzlich ohne Längen zu haben sind. Asher aber geht es um mehr, als ein paar überdrehte Verschwörungsfanatiker blosszustellen. Hervorragend ist die 3D-Animation des Overlook-Hotels, die tatsächlich eine unmögliche Architektur enthüllt, stimmig zudem das zusätzliche Filmmaterial, das neben Kubricks weiteren Werken beispielsweise atmosphärisch dichte Szenen aus Murnaus «Faust» zu einer opulenten Collage verrührt.

Asher geht es um mehr, als ein paar überdrehte Verschwörungsfanatiker blosszustellen.

Hinter dem Filmtitel «Room 237» öffnet sich nicht nur der zentrale Tatort des Films, sondern ein Imaginationsraum, indem die Filmbilder stets neue Bedeutungszusammenhänge freigeben. Ob erfunden oder nicht, spielt dabei keine Rolle. «Ich bin für immer in diesem Hotel gefangen. Ich finde keinen Ausweg mehr. Genau wie Jack Torrance», sagt einer der Verschwörungssucher. Gefangen im Film – Kubrick hätte das gefallen.


«Room 237» läuft ab 9. Januar im Stadtkino Basel.
Mehr zu «The Shining» finden Sie ab 10. Januar in der Wochenausgabe der TagesWoche, auf Papier oder in der App der TagesWoche.

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