Verworrenes Forschungstheater in der Kaserne

Das aktuelle Stück der Basler Theatergruppe KLARA bringt die Komplexität senkrecht gestellter terrestrischer Spiegel in der Stratosphäre auf die Bühne. Nichts verstanden? Wir auch nicht.

All action and no theory: Das neuste Stück der Theatergruppe KLARA enthält viel Bla und wenig Heureka.

(Bild: Rainer Muranyi)

Das aktuelle Stück der Basler Theatergruppe KLARA bringt die Komplexität senkrecht gestellter terrestrischer Spiegel in der Stratosphäre auf die Bühne. Nichts verstanden? Wir auch nicht.

Am Thema liegt es nicht: Treibstoffproduzierende Algen, Menschen aus dem 3D-Drucker, weltrettende Mikroorganismen –  einen Haufen Schmankerl futuristischer Wissenschaft hat sich die Theatergruppe KLARA für ihre aktuelle Produktion «Naturzwei» da zusammengesucht. «Synthetische Biologie» lautet der Oberbegriff, unter dem die Basler Gruppe um Regisseur Christoph Frick ihr neustes Stück angesetzt hat. Die Biologie nicht als Wissenschaft des Lebendigen also, sondern des Künstlichen, als Austrickserin der Natur.

Wie gesagt: Am Thema liegt es nicht. Höchstspannend. Aber wie bringt man diese Masse an Komplexität (haben Sie «synthetische Biologie» auf Wikipedia nachgeschaut? Haben Sie, nicht wahr?) auf eine Bühne? Es bedarf einer grossen Menge erzählerisches Fingerspitzengefühl und Relevanzbewusstsein, ein Publikum zwei Stunden lang für ein Thema zu begeistern, das bereits in der Medienmitteilung an die Grenzen des Vermittelbaren stösst:

Gleiten wir in 20 Jahren in Autos, in deren Aussenhaut fotosynthetische Mikroben für die Energieversorgung eingelassen sind, lautlos auf selbstleuchtenden Strassen durch die Abenddämmerung, während sich die terrestrischen Spiegel in der Stratosphäre nach und nach senkrecht stellen, um ein nächtliches Abstrahlen der Erdwärme in den Weltraum zu ermöglichen?

Spätestens bei den terrestrischen Spiegeln hörts auf mit der Aufmerksamkeit. «Fotosynthetische Mikroben», «selbstleuchtend», «Stratosphäre», «Abstrahlen» und «Erdwärme» in einer Frage zusammenzuschustern, ist schlicht prätentiöser Overkill (haben Sie «fotosynthetische Mikroben», «selbstleuchtend», «Stratosphäre», «Abstrahlen» und «Erdwärme» auf Wikipedia nachgeschaut? Haben Sie nicht, nicht wahr?). Poesie und Wissenschaft vertragen sich nicht auf Anhieb, da ist ein Aneinanderreihen von Buzzwords leider keine lohnenswerte Strategie.

Womit wir mitten im Stück wären

«Regenwald! Spidergletscher! Kongobecken! Badische Quellschnecke!» schreien die vier Protagonisten in silbernen Leggins und pinkglänzenden Bodys wie frisch aus einem überambitioniert kostümierten «Starlight Express» mit Hausfrauenbezug (wir dachten so, Kosmos meets Gegenwart meets Lady Gaga meets Einfamilienhaus). Sie stehen in einem Pipilotti Rist-Traum von einem Bühnenbild, einem fleischfarbenen weichen Klops umgeben von Plastik-glänzenden Stoffbahnen, der wohl die Erde sein soll, ein weiches, jungfräuliches Ding, das von den vier Akteuren eifrig berührt und bestiegen wird. 

«Wildbiene! Venedig! Laubfrosch! Luchs!» geht es weiter und die ersten paar Minuten ist das noch lustig, nach einer Viertelstunde fragt man sich jedoch, wie viele vom Aussterben bedrohte Flora und Fauna und Stadtlandschaften es eigentlich noch geben kann, und wann denn endlich das mit den terrestrischen Spiegeln erklärt wird. 

Es wird nicht erklärt. Stattdessen folgen weitere Kaskaden von Schlagwörtern und Allgemeinplätzen zu unserer Zukunft und ihren hurra facettenreichen Möglichkeiten (mit künstlicher DNA hantieren, Marsgestein mithilfe von Mikroorganismen in Beton umwandeln, die eigenen Kinder drucken, you name it), munter vorgeschrien von einem stimmgewaltigen Ensemble. Hier wird Lust an Anstössen ausgelebt, keine Frage, nur bleibt der Inhalt dabei so ziemlich auf der Strecke. Selbst die ironischen Untertöne werden sofort in Beschlag genommen und betont engagiert heruntergeleiert, so dass weder Poesie noch Wissenschaft so wirklich zum Zug kommen. 



Glitter, Glanz und Sneakers: «Naturzwei» bleibt an der Oberfläche.

Glitter, Glanz und Sneakers: «Naturzwei» bleibt an der Oberfläche. (Bild: Rainer Muranyi)

«Ein Urgestein der Basler Theaterszene!» rief der Kollege im Vorfeld der Aufführung, und auch von Seite anderer Basler Kulturbegeisterter, die in den Neunzigern zu den mutigen Theatergängern gehörten, die genug hatten von den ewig gewälzten Evergreens, kamen enthusiastische Töne: KLARA sei jene Theatergruppe gewesen, die die Basler Theaterlandschaft aus der drögen Klassikerkiste ins aufregende Experiment schubste. Das mag sein, leider untermauert diese Tatsache die fies mitschwingende Ahnung nur umso mehr: Hier kommen Midlife-Menschen nicht übers ehrfürchtige Staunen («was man heute so alles machen kann! Verrückt!») hinaus, die Materie bleibt dabei weit entfernt.

Begeisternd experimentell ist dafür die musikalische Untermalung von Martin Schütz und Bo Wiget – zwei Virtuosen, die Verdis Requiem «Lacrimosa» so grossartig entstellen, das einem wohlige Schauer über den Rücken laufen. 

Nicht gerade wohlig, aber zumindest wohlwollend stimmt das Ende des Stücks. Hier kriegt das wirre Rumposaune glücklicherweise dann nämlich doch noch die inhaltliche Kurve: Das Plastik-glänzende Unkraut ist gewichen, in höhere Sphären gelupft worden, und zurück bleibt der Klops von Erde, nackt und weich und endlich befreit vom ganzen schweren Unsinn. Die Schauspieler verhalten sich entsprechend, verstummen erst und kriechen dann in ihre neue Erde, einer nach dem anderen verschwinden sie in der rosa Masse. Endlich befreit vom ganzen schweren Unsinn.

__

KLARA Theaterproduktionen: «Naturzwei», 12. März bis 17. März, Kaserne Basel.

Nächster Artikel