Verzweifelte Sinnsuche im Schaulager

Was haben ein Ofen in Form einer Handgranate, Strohpuppen, durchgepauste Adler, ein grellblauer Sarg und ein Kriegsdenkmal gemeinsam? Es handelt sich um Kunst.

Theatralik sieht anders aus: Katharina Fritsch und Alexej Koschkarows jüngste Zusammenarbeit im Schaulager.

(Bild: Ivo Faber)

In ihrer jüngsten Zusammenarbeit zeigen Katharina Fritsch und Alexej Koschkarow einen Ofen in Form einer Handgranate, Strohpuppen, durchgepauste Adler und einen grellblauen Sarg – und nennen das Ganze «Kammerstück». Nix begriffen? Wir auch nicht.

Es gibt Ausstellungen, die öffnen sich einfach nicht. Stur und schwer sitzen sie in den Museumsräumen und verweigern sich vehement gut gemeinten Annäherungsversuchen: Was ich soll? Grab zur Abwechslung mal ein bisschen selbst in deinem Oberstübchen!

Reaktion: Der durchschnittliche Schweizer Museumsbesucher versucht krampfhaft, das Oberstübchen nach nützlichen Erklärungen zu jenem unsexy schwarzen Quadrat zu durchforsten, das da ohne Erklärung rumhängt. Der undurchschnittliche Schweizer Museumsbesucher mit ein paar Jahren Kunstgeschichtsstudium stellt das Oberstübchen auf den Kopf und findet ein paar halbgare Weisheiten. Suprematismus? Da war doch was. Und der ganz und gar nicht durchschnittliche Museumsbesucher plappert munter über Entropien, Heterotopien, Atopien, ohne das Oberstübchen auch nur betreten zu haben.

Wo gehts hier zum Kammerstück?

Bei der neuen Ausstellung «Zita-Щapa» im Schaulager verhält es sich ähnlich. Statt unsexy schwarzem Quadrat stehen hier aber durchaus aussagekräftige Skulpturen, die wunderbar anzuschauen sind und für sich auch grosse Geschichten erzählen: Ein kleiner grellblauer Sarg, zwei grossformatig durchgepauste Adler, ein Ofen in Form einer Handgranate. Jede Skulptur beklemmend und als Einzelstück überzeugend. Wenn da nur nicht diese Ausstellung wäre.

«Kammerstück» nennt sie sich verheissungsvoll und man freut sich: Kammerstück, das bedeutet Reduktion, Stringenz, Theater. Einheiten, die kreativ miteinander in Verbindung stehen, miteinander kommunizieren, ohne viel Schnickschnack. 



Was wird hier kommuniziert?

Was wird hier kommuniziert? (Bild: Ivo Faber)

Schnickschnack gibts bei «Zita-Щapa» tatsächlich keinen. Sieben Werke – zwei von der Düsseldorfer Bildhauerin Katharina Fritsch (deren «Rattenkönig» ein Stockwerk tiefer weiterhin für grandioses Unbehagen sorgt) und fünf vom weissrussischen Künstler Alexej Koschkarow stehen in drei White Cubes, die wiederum eigens für die Ausstellung in den oberen Ausstellungsraum des Schaulagers gebaut wurden. Wieso man die Figuren nicht einfach in die ordinären Ausstellungsräume gestellt habe? Alles Teil des Konzepts der beiden Künstler, so Kuratorin Heidi Naef. Sowieso wären die Künstler bei der Konzeption massgeblich beteiligt gewesen. 

Äh, ok. Und wieso dieser draufgepappte Kammerstück-Begriff, wenn doch die Werke selbst schon so aussagekräftig sind? «Weils klein ist», meint Fritsch bei der Pressekonferenz. Nächste Frage bitte. Der neben ihr sitzende Koschkarow lächelt geheimnisvoll. Eifrige Journalisten versuchen sich in politischen Mutmassungen: Der Titel verweise doch auf die letzte Kaiserin von Österreich (Zita) und einen weissrussischen Fluss, der während der beiden Weltkriege als militärische Verteidigungslinie diente (Щapa)? Koschkarow: «Ich bin 1972 geboren, das ist alles fern.»

Bock und Legitimationen

Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man fast meinen, hier hätten zwei Künstler das gemacht, worauf sie Bock hatten, ein paar Legitimationen dazugeschmissen und den fleissigen Kunsthistorikern die Deutung überlassen. Oberstübchen, weisch.



Wissen mehr, als sie preisgeben: Fritsch und Koschkarow.

Wissen mehr, als sie preisgeben: Fritsch und Koschkarow. (Bild: Ivo Faber)

Vielleicht denkt man das auch ein bisschen mehr als nur im Konjunktiv, und dann wiederum findet man diese beiden Künstler ziemlich coole Socken. Da haben zwei gute Freunde (Koschkarow jobbte in den Neunzigern in Fritschs Atelier, nach seinem Studium lud sie ihn zu einer gemeinsamen Ausstellung in Düsseldorf ein, seither arbeiten sie immer wieder zusammen) monatelang geschuftet, diskutiert und sich ausgetauscht, weit intensiver als dass es jemals in eine Ausstellung übersetzt werden könnte.

Darüber schwebte aber stets das Damoklesschwert dieser «Ausstellung», man musste auf einen Punkt kommen, einen Nenner finden, was kreieren, das diese Zusammenarbeit in ihrem Kern zusammenhielt. Und um die Deutungsebenen so weitläufig wie möglich zu halten, um alle Oberstübchen ein bisschen zu befriedigen, einigte man sich auf «Kammerstück». 

Weniger Oberfläche, mehr Vermittlung

Soweit, so gut, nur ist es ab da Aufgabe der ausstellenden Institution, sich über die Vermittlung dieser hochkomplexen Zusammenarbeit Gedanken zu machen. Eine Vermittlung, die über das blosse Konstatieren von Tatsachen hinaus geht. Stichwort Kindersarg:




(Bild: Ivo Faber)

Dazu der Pressetext:

«(…) ein Dingsymbol, das in seiner kräftigen, komplementären Farbigkeit dem Betrachter gegenübersteht und diesen in den engen Räumlichkeiten nicht nur aufgrund seiner physischen Präsenz bedrängt, sondern auch in seiner formalen Umsetzung eine irritierende Wirkung entfaltet.»

Na, alles klar?

Es scheint, dass selbst das Schaulager nicht genau weiss, was in den Köpfen dieser beiden zweifellos brillianten Künstler abging. Oberstübchen halt. Und so schafft es die Institution weder in der Ausstellungskonzeption noch in den Begleittexten (zu «Zita-Щapa» ist eine Publikation erschienen, die mit langen Essays versucht, sich den vielen Themengebieten anzunähern), eine adäquate Übersetzung zu finden.

Fritsch sagte einmal in einem Interview: «Das ist ja das Schöne an der Kunst: Wenn dieser Moment da ist, der nicht kontrollierbar ist, der sich immer wieder entzieht.» Schöne Worte. Nur sollte man aufpassen, dass einem die Kontrolle über die Kunst nicht völlig abhanden kommt. 

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«Zita-Щapa», ein Kammerstück von Katharina Fritsch und Alexej Koschkarow, 12. Juni bis 2. Oktober 2016, Schaulager, Ruchfeldstrasse 19, 4142 Münchenstein.

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