Am Samstag findet zum dritten Mal der Tag der Poesie statt. «Nun ist er Tradition», sagt Organisatorin Alisha Stöcklin. Wir sprachen mit der 24-Jährigen über das Imageproblem der Lyrik, Slam Poeten auf der Überholspur und den Mut zur Innerlichkeit.
Wenn Alisha Stöcklin am Samstag, den 27. September, die Eröffnungsrede zum Tag der Poesie halten wird, verknüpft sie diesen Tag endgültig mit der grossen Vergangenheit, die der Tag der Poesie in Basel besitzt. «Ab der dritten Ausführung gehören Anlässe in Basel zur Tradition», sagt die 24-Jährige und fügt lachend an: «Voilà, wir haben es geschafft.»
Dass sich der Tag der Poesie mit der Traditionsklausel schmücken kann, ist vor allem auf seine Vergangenheit in den 80er-Jahren zurückzuführen: Matthyas Jenny lancierte damals einen Tag, der ganz im Zeichen der Lyrik stand und sich bald fest in Basels Kulturagenda verankert hat. Stöcklin holte die 24 Stunden Poesie vor drei Jahren aus der Versenkung zurück auf die Bühne.
Alisha Stöcklin, wie sind Sie dazu gekommen den Tag der Poesie nach über 20 Jahren wieder aufleben zu lassen?
Neben meinem Studium habe ich Teilzeit in der Bachletten Buchhandlung von Matthyas Jenny gearbeitet. Als er 2011 den Basler Kulturpreis verliehen bekam, erinnerte er in seiner Dankesrede an den Tag der Poesie. Dieser Tag appellierte daran, die Lyrik nicht zu vergessen, indem er den Menschen auf der Strasse die Poesie vor die Nase hielt. Mir gefiel der kritische Geist, der dem Anlass mitunter innewohnt und so gründete ich den Verein Poesietag.
Lyrik ist eher als stilles Genre bekannt, wie bringen Sie die Poesie auf die Strasse?
Auf dem Münsterplatz steht eine Bühne, auf der Lesungen und Performances von Dichtern, Musikern und Slam-Poeten stattfinden. Aber auch rund um den Münsterplatz wie zum Beispiel im Kreuzgang oder auf dem Georgsturm wird gelesen. Die Ueli Fähre setzt am Samstag gratis über den Rhein, auch dort werden Gedichte vorgetragen. Kinder schicken ihre selbstgeschriebenen Texte an Ballons über die Stadt und in der Innenstadt präsentieren wir Gedichte auf Plakaten. Die Menschen kommen mit verschiedenen Sinnen mit der Poesie in Berührung.
«Unsere Gedichtplakate wirken wie Erholung.»
Lyrik gilt vielen als nicht mehr zeitgemäss, ihre Präsenz in den Bibliotheken und Buchhandlungen schwindet. Warum?
Es ist vielleicht ein Zeitgeistphänomen, die Leute wollen unterhalten werden. Poesie kann anstrengend sein, man kauft sich nicht einen Gedichtband und liest den dann durch. Man muss sich der Poesie aussetzen, das braucht Zeit. Vielen fehlt dazu die Geduld. Ausserdem gibt es wenig Möglichkeiten, die Vorurteile über Lyrik abzubauen. Dieses Genre rückt selten in den Vordergrund, darum fehlt auch der Zugang. Mit dem Tag der Poesie wollen wir das ändern.
Wie der Tag der Poesie geht auch das Poesietelefon auf eine Initiative Matthyas Jennys zurück. Zwischen 1977 und 1982 konnte man sich am Telefon täglich mehrere Gedichte vorlesen lassen. Das Projekt war ein grosser Erfolg: Bis zu 200 Anrufe gingen auf der Nummer täglich ein. Die Idee wurde damals weltweit kopiert, heute gibt es zum Beispiel noch ein Poesietelefon (Kulturtelefon) in Mainz.
Und ab dem 26. September 2014 gibt es das Poesietelefon auch wieder in Basel. Anrufen kann man unter der Nummer 061 721 02 05 zum normalen Festnetztarif.
Was bringt die Menschen dazu, auf der Strasse Gedichte zu lesen oder zu hören?
Es ist die Ausdruckskraft der Sprache, die den Menschen auffällt. Wir drucken die Gedichte in schwarz auf weisse Plakate im Weltformat, dadurch entfaltet sich eine zusätzliche ästhetische Wirkung. Vor allem in urbanen Räumen leben wir heute in einer dermassen übersättigten Bild- und Wortflut, dass unsere Gedichtplakate wie Erholung wirken. Und genau das sollen sie sein: Ruhebänke für das Auge.
Gibt es eine thematische Gliederung bei der Auswahl der Gedichte?
Nein, sie sollen anstossen, anregen, etwas auslösen. Das ist alles. Dieses Jahr allerdings zieht sich eine eher düstere Stimmung durch die Auswahl der Gedichte. Das war nicht Absicht, hat sich aber so ergeben.
Unter einer Dichterlesung verstehen heute viele einen Poetry Slam, steht die ernste Lyrik im Schatten dieser Veranstaltungen?
Nein, Lyrik hat einen vollkommen anderen Anspruch als eine Poetry-Slam-Show. Viele Slammer schreiben ihre Texte von der ersten Zeile an für den Applaus des Publikums, das liegt in der Natur dieses Formats. Lyrik ist ein stilles Genre. Das heisst aber nicht, dass Gedichte nur auf Papier wirken. Gedichte sind ebenfalls Klangkörper, bloss entfaltet sich ihr Klang auch beim Lesen.
Trotzdem werden am Tag der Poesie die Gedichte auch vorgelesen…
Weil das den Leuten den Zugang vereinfacht. Sie bleiben stehen, hören zu und werden dann vielleicht von Gedichten auf Papier angezogen. Für die Autorinnen und Autoren ist es eine Chance, ihren Gedichten ihre persönliche Note mitzugeben.
Was motiviert Sie persönlich, für die Poesie einzustehen?
Mich fasziniert die ambivalente Bedeutung, die einzelne Worte in der Poesie haben können. Überall muss sonst immer alles klar benannt werden, jedes Wort ruft eine bestimmte Vorstellung hervor. In der Poesie hat es Platz für Doppeldeutigkeit und die ganze Welt. Darin kann ich mich vollkommen verlieren.
«Mich persönlich fasziniert die ambivalente Bedeutung, die einzelne Worte in der Poesie haben können.»
Die TagesWoche beschrieb den Tag der Poesie vor drei Jahren als Pionierprojekt in der lyrischen Ruine Basel. Konnten seither einige Steine wieder aufgebaut werden?
Von Seiten der Autorinnen und Autoren haben wir absolut positive Rückmeldungen, sie sind dankbar für unser Engagement. Wir haben es in den vergangenen Jahren geschafft, unseren Radius stetig zu erweitern. So viele Standorte wie in diesem Jahr, wurden noch nie von der Poesie «besetzt». Unser Lyrikkalender mit ausgewählten Gedichten hängt hoffentlich bald in vielen Basler Haushalten und in diesem Jahr kommt noch eine Überraschung dazu: das Poesietelefon. Ab dem 26. September ist die Leitung freigeschaltet und wir hoffen natürlich, dass die poetische Linie glühen wird.
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Das Programm des Tags der Poesie finden Sie auf der Rückseite des Artikels.