«¡Viva Colombia!» in Lörrach

Kolumbien verfügt neben Brasilien über die aufregendste Musikszene Lateinamerikas und ist momentan der beherrschende Trend der Weltmusik – zwei Bands stellen sich nun am Stimmen-Festival vor.

Treten am Stimmen-Festival auf: Monsieur Périné. (Bild: zVg)

Kolumbien verfügt neben Brasilien über die aufregendste Musikszene Lateinamerikas und ist momentan der beherrschende Trend der Weltmusik – zwei Bands stellen sich nun am Stimmen-Festival vor.

Kolumbien hat mehr zu bieten als Kaffee oder Kokain: Das Land mit wechselvoller Topographie und Geschichte hat einen musikalischen Reichtum entwickelt, der auf dem südamerikanischen Kontinent nur noch von Brasilien getoppt wird. Die Klänge sind so breitgefächert wie die Landschaft, die von schneebedeckten Andenbergen bis zum tropischen Regenwald reicht, eine ebenso karibische wie pazifische Küstenlinie aufweist.



Kolumbien galt unter Salsaverrückten und Latin-DJs bei uns als das Herkunftsland der tanzbarsten Stücke, der packendsten Bands. Namen wie Fruko oder Joe Arroyo sorgen bis heute für volle Tanzflächen, überrunden die kubanischen und puertoricanischen Kollegen oft an Beliebtheit. Doch spätestens seit den Neunzigern dringen aus dem riesigen Pool an Rhythmen und Stilen auch andere kolumbianische Klänge nach Europa. Popularisiert wurden sie sogar von Popstars wie Gloria Estefan, die etwa den akkordeonschwangeren Musikstil Vallenato oder die Cumbia aufgriff. Der sehr erfolgreiche Film «El Acordeón Del Diablo» hat 2001 diese Stile in der Weltmusikszene weiter popularisiert. Und für jeden Zumba-Tänzer gehört die Cumbia ohnehin zum Grundvokabular.


«La Sonora Dinamita» – Aushängeschild einer grossen Cumbia-Industrie.



Die Cumbia ist das eigentliche Nationalgenre Kolumbiens und entwickelte sich bereits im 18. Jahrhundert, als die Traditionen der Sklaven, die an der Atlantikküste ankamen, sich mit dem indianischen Erbe und den Einflüssen der spanischen Kolonialherren mischten. Stimmen-Besucher früherer Jahre mögen sich an Totó La Momposina erinnern, die die Cumbia in einer sehr ursprünglichen Form vorstellte, mit afrikanischen Gesangslinien, Flöten und Trommeln.

Jazz plus Heimisches

Bereits in den 1930ern veränderte sich das Genre drastisch, die Bigbands der Hafenmetropolen Cartagena und Baranquilla flochten zum bislang dominierenden Jazz Heimisches ein. Dank Plattenfirmen wie Discos Fuentes und Sonolux entwickelte sich eine grosse Cumbia-Industrie mit Orchestern wie La Sonora Dinamita und Los Corraleros De Majagual. Der schlurfende Rhythmus mit den fröhlichen Klarinetten und windschiefen Blechbläsern, dazu die frechen Texte übers Leben auf dem Meer und der Strasse, Liebeleien und Alkoholgenuss erlebte ab den 1960ern einen Siegeszug, der sich schließlich bis nach Mexiko und Peru ausweitete.

Es sind diese patinabesetzten Klassiker, die gerade von Plattensammlern wiederentdeckt, für den europäischen Markt zugänglich gemacht werden. Fast ein Dutzend dieser Kollektionen sind allein in den letzten Monaten auf CD und Vinyl erschienen. Und der klassische Sound wird auch von ganz neuen Projekten hochgehalten, wie etwa von Ondatrópica und Los Míticos Del Ritmo, Bands des britischen Karibik-Aficionado Will «Quantic» Holland, in denen auch mal die Musikband Queen oder Popstar Michael Jackson auf Cumbia getrimmt werden.


Cumbia Digital

Doch nicht nur dank dieser Retro-Welle ist Kolumbien der grösste Hype der aktuellen Weltmusikszene. Auch moderne Cumbia erlebt einen Boom, erobert Festivals und Clubs. Diese «Cumbia Digital» mischt respektlos Rap, Dubstep und Techno zum traditionellen Gefüge. Dabei bezieht sich die neue Generation teils wieder direkt auf die neuere Popmusik der afro-kolumbianischen Communities – denn die hatten als Gegengift zur geglätteten Bigband-Cumbia die Champeta entwickelt, ein re-afrikanisiertes Gebräu mit Zutaten von Reggae bis Afrobeat, hinausgepowert über riesige Soundsystems.

Die Cumbia Digital-Bewegung hat ein panamerikanisches Gesicht: Neben jungen Kolumbianern wie dem experimentellen Psychedelia-Sound der Meridian Brothers mischen hier Musiker aus den Ghettos von Buenos Aires wie La Yegros genauso mit wie das Dub-Duo Dengue Dengue Dengue! aus Lima.



Unter den Livebands heissen die unumstrittenen Platzhirsche Systema Solar und Bomba Estéreo. Es dürfte spannend werden, wenn letztere der beiden Bands ihre kompromisslose Mischung an einem so idyllischen Ort wie dem Lörracher Rosenfelspark explodieren lässt. Sehr elektronisch kommen die Songs der Formation um Sängerin Li Saumet daher, die ein bisschen wie eine tropische Björk anmutet. «Die elektronische Musik von heute begibt sich auf die Spuren der traditionellen Musik und der Folklore aus aller Welt», analysiert der Bandgründer Simon Mejía.


Kommen ans Stimmen-Festival: «Bomba Estéreo».

Die Live-Shows des Projekts aus Bogotá sind multimediale Gesamtkunstwerke: Saumet erhebt ihren stechenden Sprechgesang über einem rasenden Geflecht von natürlichen und programmierten Trommeln, dazu gibt’s piepsende und jaulende Keyboards, die an schräge Tropenvögel und Laute aus dem alten Raumschiff Enterprise zugleich erinnern, verhallte Surfrockgitarren und dubbige Bässe. Diese Cumbia, angereichert durch Elektropop, Psychedelia und Reggaetón, ist definitiv in der Gegenwart angekommen, mit unwiderstehlichem Sog zur Tanzfläche.



Mediterranes Flair

Doch Kolumbien hat auf seiner aktuellen Landkarte auch ganz Handgemachtes zu bieten: Monsieur Périné, ebenfalls aus Bogotá, haben mit Bomba Estéreo nicht nur gemeinsam, dass es auch hier – in Gestalt von Catalina Garcia – eine charismatische Frontfrau gibt. Die allerdings hat eher die entwaffnend-sonnige Ausstrahlung eines Blumenmädchens. Der Lieblingsstil der Combo findet sich gar nicht im Heimatland. Fast durch jedes Stück weht mediterranes Flair mit flatternder Akustikgitarre im Stil von Django Reinhardt; Akkordeon, Klarinette und Posaune gesellen sich dazu.

Wer genau hinhört, entdeckt auch in diesem Swing à la Colombiana noch gelegentlich die typische Rhythmik der Cumbia, doch oft fühlt man sich wie in einer Musette-Kneipe eines Pariser Vororts. «Die Liebe zum Gypsy Swing wurde bei uns vor vielen Jahren geboren, als wir im Internet auf die Musik von Django Reinhardt stießen. Wir waren davon verzaubert und begannen das nachzuspielen», so Gitarrist Santiago Prieto im Interview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk. Die Weltmusik der digitalen Generation, sie kann also auch zu ganz akustischen Ergebnissen führen. Ein Land wie Kolumbien, scheinbar das neue Reich der unbegrenzten musikalischen Möglichkeiten, macht es vor.



live bei Stimmen:


Monsieur Périné, Rosenfelspark Lörrach 24.7., 20h, Doppelkonzert mit Leila Bounous


Bomba Estéreo, Rosenfelspark Lörrach 27.7., 20h, Doppelkonzert mit Lucas Santtana
 


aktuelle CDs:


Bomba Estéreo: «Elegancia Tropical» (Soundway)


Monsieur Périné: «Hecho A Mano» (Flowfish)



weiterführende Diskographie:



Cumbia Digital:
Cero 39: «Móntate En El Viaje» (Chusma Records)


Dengue Dengue Dengue: «La Alianza Profana» (Chusma)


El Hijo De La Cumbia: «Freestyle De Ritmos» (Ya Basta)


Meridian Brothers: «Desesperanza» (Soundway)


Systema Solar: «Systema Solar» (Chusma)


La Yegros: «Viene De Mi» (ZZK/Indigo)



klassische Cumbia- und Champeta:


Quantic: «Los Míticos Del Ritmo» (Soundway)


Quantic: «Ondatrópica» (Soundway)


Various Artists: «Cartagena! – Curro Fuentes & the Big Band Cumbia» (Soundway)


Various Artists: Cumbia Cumbia Vol.1 & 2 (World Circuit)

Various Artists: «Diablos Del Ritmo» (Analog Africa)


Various Artists: The Original Sound Of Cumbia» (Soundway)


Various Artists: «Palenque Palenque» (Soundway)

Nächster Artikel