Von der Selbsttherapie zum Meisterwerk: «Pet Sounds» der Beach Boys

«Wer wird sich diesen Scheiss anhören? Hunde?» Nicht alle Beach Boys waren von Brian Wilsons abgefahrenen Ideen angetan. Doch die Kritiker und Musiker wie die Beatles waren begeistert von «Pet Sounds». Ein Album für die Ewigkeit, auch 50 Jahre nach seinem Release.

Tierisch gut: «Pet Sounds» der Beach Boys.

«Wer wird sich diesen Scheiss anhören? Hunde?» Nicht alle Beach Boys waren von Brian Wilsons abgefahrenen Ideen angetan. Doch die Kritiker und Musiker wie die Beatles waren begeistert von «Pet Sounds». Ein Album für die Ewigkeit, auch 50 Jahre nach seinem Release.

1966 wurde gleich mehrfach Musikgeschichte geschrieben: Die ganze Welt entdeckt die «Sounds of Silence» von Simon & Garfunkel. Kurz darauf veröffentlicht Bob Dylan mit «Blonde on Blonde» ein Meisterwerk auf vier Plattenseiten. Die Beatles sind berühmter als Jesus, die Stones eindringliche Schwarzmaler («Paint it Black»).

Doch das meistdiskutierte Werk in diesem aufregenden Jahr 1966 stammt von den Beach Boys. Was sie unter dem lieblichen Titel «Pet Sounds» veröffentlichen, sind mehr als nur oberflächliche Streicheleinheiten. Die kalifornischen Sunnyboys liefern den Soundtrack zum Halbschatten, eine Blaupause für komplexe, nachdenkliche Popmusik, für hohe Arrangementkunst im Drei-Minuten-Format.  

Das ist das Verdienst ihres Masterminds Brian Wilson. 1964 von Panikattacken heimgesucht, verzichtet er darauf, als Bassist und Sänger mit seinen Bandkollegen auf Japan-Tour zu gehen. Stattdessen sucht er zu Hause in Kalifornien seinen inneren Frieden, indem er die Stimmen in seinem Kopf Musik werden lässt. Ein Jahr lang konzentriert sich der damals 23-Jährige darauf, neue Songs zu komponieren und aufzunehmen. 

Pop in neuen Sphären

Dafür verpflichtet er einige der besten Studiomusiker seiner Zeit: die «Wrecking Crew». Diese hat unter der Ägide von Phil Spector zahlreiche Nummer-1-Hits eingespielt. Die Perkussionisten, Blechbläser, Oboisten, Gitarristen zogen Spectors legendäre «Wall of Sound» hoch und verliehen damit dem Fingerschnipp-Pop orchestrale Grandezza.

Diese unerhörte Fülle strebt auch Brian Wilson an, ein erklärter Fan von Phil Spectors Produktionsweise: «Er ist meine grösste Inspiration.» Wilson will seine eigene Klangmauer errichten, eine Klangmauer, zu der man aus verschiedenen Perspektiven und Ebenen Zugang erhält. Also dirigiert er die klassisch ausgebildeten Musiker in neue Sphären, fordert sich und sie heraus, mit Arrangements und Experimenten; er zupft Klaviersaiten, baut Autohupen ein, Cola-Büchsen und ja, selbst Tiergeräusche.

«Wer wird sich diesen Scheiss anhören? Hunde?», entfährt es Sänger Mike Love, als ihm sein Cousin 1966 die neuen Songs abspielt. Diese scharfe Spitze führt schliesslich zum Albumtitel «Pet Sounds». Der Eröffnungstrack gehört zu den zugänglicheren Liedern: «Wouldn’t It Be Nice».

Nicht ganz so harmonisch, wie die Chöre vermuten lassen, steht die Band hinter den nachdenklichen Liedern. Erfolgsverwöhnt von den einfacher gestrickten Songs der Anfangsjahre, tut sich Mike Love schwer mit Brian Wilsons Alleingang, mit der Komplexität der Songs und deren Stimmungen. «Selbst die fröhlichen Lieder auf dem Album sind traurig», sagt Love. 

Tatsächlich aber sind die schönsten Songs auch die entrücktesten: «God Only Knows» etwa, die Krönung dieses Albums. Im Rausch vollendet, scheint bei Hymnen wie dieser tatsächlich Gott die Hand im Spiel zu haben – durch Brian Wilson. 

Die Kritiker loben Songs wie «God Only Knows». Noch viel wichtiger für Brian Wilson: Paul McCartney sagt später, «Pet Sounds» habe die Beatles zu ihrem Meisterwerk «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band» inspiriert. Von der grossen Masse in den USA allerdings, und das ist eine neue Erfahrung für Wilson und seine singenden Verwandten, wird «Pet Sounds» verschmäht. Zu verspielt, zu verschachtelt, zu ambitioniert. Zu wenig Beach im Sound dieser Boys.

Ein Genie versinkt im Sand

Dass Brian Wilson in einem Anflug von Exzentrik haufenweise Sand in sein Wohnzimmer transportieren lässt (weil er meint, damit noch besser komponieren zu können), kann symbolisch gedeutet werden: Hier versinkt einer allmählich in seiner eigenen Welt. Tatsächlich plagen ihn zunehmend Ängste, nabelt er sich weiter ab, von der Aussenwelt, von der Band. Zwar gelingt ihm mit «Good Vibrations» noch ein Wurf, mit dem er abermals die ganze Welt in Schwingung versetzt und innovativ wirkt – man denke nur an die abgefahrenen Theremin-Klänge. Doch 50 Jahre später kann man sich sicher sein: «Pet Sounds» bleibt sein grösstes Meisterwerk.

Zum grossen Jubiläum geht der angeschlagene Mann, dessen Leben im vergangenen Jahr ins Kino kam («Love & Mercy») noch einmal auf Tour. So bringt er die «Pet Sounds» auf zahlreiche Bühnen Europas und der USA. Er hat den Applaus verdient.

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Brian Wilson plays «Pet Sounds»: 15. Mai bis 15. Oktober, u.a. in England, Spanien, Dänemark.


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