Von der singenden Stadt zum Kulturinfarkt

Im Stadtkino Basel feierte Vadim Jendreykos Dokfilm «Die Singende Stadt» lokale Premiere. Im Anschluss daran fand ein Podiumsgespräch über Kulturförderung statt, das mit dem Filmregisseur sowie Theaterdirektor Georges Delnon, Pro-Helvetia-Chef Pius Knüsel  und Autorin Dagmar Reichert besetzt war.

Szene aus dem Film «Die Singende Stadt». Filmemacher Vadim Jendreyko hat die Entstehung von Bieitos «Parsifal»-Inszenierung festgehalten. (Bild: Filmstill)

Im Stadtkino Basel feierte Vadim Jendreykos Dokfilm «Die Singende Stadt» lokale Premiere. Im Anschluss daran fand ein Podiumsgespräch über Kulturförderung statt, das mit dem Filmregisseur sowie Theaterdirektor Georges Delnon, Pro-Helvetia-Chef Pius Knüsel  und Autorin Dagmar Reichert besetzt war.

Sitzt man in einem Opernsaal und schaut sich eine Inszenierung von Calixto Bieito an, in der aktuellen Spielzeit des Theaters Basel etwa «Carmen», kann man kaum nachzählen, wie viele Menschen in die Aufführung involviert sind: Da ist ein Chor, da sind Solisten, ein Orchester und Statisten. Und dabei ist die Aufführung nur das Endresultat wochenlanger Vorarbeit, bei der noch weitaus mehr Menschen involviert waren als vordergründig sichtbar ist. Was sich hinter den Kulissen alles abspielt, kann man jetzt miterleben, dank «Die singende Stadt» von Vadim Jendreyko

Der Basler Filmemacher hat 2010 in der Staatsoper Stuttgart die Produktionsvorbereitung für «Parsifal» wochenlang begleitet und unzählige Stunden Material zu einem 90-minütigen Dokumentarfilm zusammengeschnitten, der jetzt im Stadtkino Basel zu sehen ist. Wer am Donnerstag die Premiere besuchte, erlebte auf Leinwand mit, wie hinter den Kulissen diskutiert, geplant, geübt, gesägt, geschneidert und gestritten wird. Dass Calixto Bieito mit seiner Fantasie, seinem Hang zu gewaltigen Inszenierungen durchaus aneckt (einige Chorsängerinnen etwa weigerten sich, nackt auf die Bühne zu treten) wird darin ebenso deutlich wie der Termin- und Gelddruck. So eröffnet ein Werkstattchef der spanischen Kostümbildnerin, dass es schlicht unmöglich sei, eigens für diese Produktion neue Kleider herzustellen. Man müsse sich aus dem Theater-Fundus bedienen – oder kostengünstig einkaufen gehen – etwa auf Ebay.

Der Blick hinter die Kulissen der Stuttgarter Oper vermittelt interessante Eindrücke und fördert zugleich das Verständnis dafür, dass eine solch aufwändige Produktion nicht kostendeckend realisiert werden kann – zumindest nicht in dieser Grösse und nicht gegen Entlöhnung aller Mitwirkenden. Um Vermittlung, Förderung und Subventionierung von Kultur drehte sich im Anschluss an die Filmpremiere denn auch ein Podiumsgespräch. 

Podiumsdiskussion über Kulturförderung

Dass sich für dieses auch die allerletzten Plätze im Stadtkino füllten, ja, der Saal daraufhin gar leicht überfüllt war, dürfte wohl der Ankündigung von Pius Knüsels Anwesenheit zuzuschreiben sein. Der Direktor von Pro Helvetia hat als Co-Autor des umstrittenen Buches «Der Kulturinfarkt» erreicht, dass in den Feuilletons unlängst wieder eifrig über Kulturförderung, -strukturen und -politik debattiert worden ist, fordert das Autoren-Quartett doch zum Verzicht auf: «Derzeit fördern wir Lobby und Institutionen – nicht aber die Kunst!»

«Warum brauchen wir Kultur?» fragte Moderator Peer Teuwsen («Die Zeit») zu Beginn des Podiumsgesprächs. «Zum Feiern des Reichtums», sagte Autorin, Forscherin und Dozentin Dagmar Reichert und zielte mit der folgenden Aussage, dass man sich dem Knappheitsdenken verweigern sollte, gleich direkt auf Pius Knüsel. «Zu viel Kultur könne es nicht geben», erklärte dieser, «aber womöglich gibt es zu viel öffentlich finanzierte Kultur.»

Knüsel als Agent Provocateur

Theaterdirektor Georges Delnon blieb in seinem ersten Votum ungreifbar: Wie der Film von Regisseur Jendreyko über Bieitos Stuttgarter Inszenierung gezeigt habe, gehe es auch einer Institution wie dem Theater Basel um ein Menschen- und Gottesbild, um einen Moment der Intensität. Sparzwänge würden die Kreativität ersticken, sagte Delnon, fügte  später hinzu, dass man aus einem Organismus wie jenem des Dreispartenhauses nicht einfach Dinge rausschneiden könne. Und Delnon wiederholte sich, dass «der ökonomische Druck die Fantasie tötet». Schade, dass Teuwsen solche Aussagen nicht kritisch hinterfragte und nachhakte, hätte man darüber doch prima streiten können – zumal im Publikum zahlreiche Vertreter der professionellen Basler Kulturszene auszumachen waren, manche weniger subventioniert, manche gar ohne Sicherheitsnetz tätig.

Vielmehr schlug sich der Moderator von Beginn weg allzu deutlich und freundschaftlich auf die Seite des Theaterdirektors, der ihn daran erinnerte, dass man doch per Du sei, worauf Teuwsen jegliche Distanz fallen liess. Distanz, die dem Gespräch gutgetan und die folgende Debatte unberechenbarer und spannender gestaltet hätte. So aber stellte Teuwsen die kritischen Fragen fast ausschliesslich  Knüsel, der mit seinen Ideen – statt linear Kulturbudgets zu kürzen radikaler die an Institutionen gebundenen Gelder zu hinterfragen und neu zu verteilen – in dieser Runde allein war.

Dabei konterte Knüsel Angriffe ebenso süffisant wie Delnon. Und der Pro-Helvetia-Chef warf – bei aller Polemik – durchaus interessante Gedanken in die Runde, die aber nicht wirklich diskutiert wurden. Etwa jenen, dass man mehr Geld in die Kunstausbildung investieren sollte, sprich die Kunstschaffenden stärker fördern sollte, dies zulasten der Institutionen. Oder dass man jene zwei Drittel der Gesellschaft, die die Institutionen nicht erreichen, stärker berücksichtigen und beispielsweise in die Fördergremien einbeziehen sollte.

Mehr Geld für die Kultur – aber woher?

Solche Aspekte hätten breiter diskutiert werden können, wäre das Publikum früher einbezogen worden. So aber einigte sich das restliche Podium auf den Konsens, dass Kulturgelder nicht auf Kosten einzelner Institutionen und Sparten umverteilt werden sollten. Delnon sagte, dass man die Niederschwelligkeit vollends erreichen könnte, wenn Museen und Theater keine Eintritte mehr verlangen müssten. Was mit Reicherts Forderung einer Aufstockung des Kultur-Etats einherging. Sie rechnete vor, wie durch Einsparungen bei der Armee Geld für die Kultur locker gemacht werden könnte. Dass diese Rechnung bei den Volksvertretern keine Mehrheit finden würde, ist seit Jahrzehnten ein Fakt, ebenso die Tatsache, dass die Kulturförderung in den Parlamenten zu wenig Lobbyisten hat. Bezeichnend etwa, dass weder ein Bundespolitiker noch ein Regierungsrat im Publikum auszumachen war (es schien, als hätten die Grünliberalen mit u.a. Karl Linder und Martina Bernasconi die gesamte Lokalpolitik vertreten).

Wie und woran kann man Qualität messen?

Andere Lösungsansätze wären also gefragt. Doch wurden sie an diesem Abend nicht präsentiert. Ist ja auch schwierig, denn allein die Frage, wie sich Erfolg und Qualität messen lassen, wird unterschiedlich beantwortet. Filmemacher Jendreyko beschrieb, wie er mit jedem Filmprojekt in Sachen Finanzierung bei Null anfangen müsse. Und hob hervor, dass  in Sachen Qualität die Rezeption des Einzelnen relevant sei und nicht die Quantität der Besucher. Als Beispiel nannte er die Schweizer Filmförderung, die unter Ivo Kummers Vorgänger Nicolas Bideau die kommerziellen Perspektiven eines Films stärker gewichtet hatte. «Jetzt hat man wieder festgestellt, dass ein qualitativer Erfolg nicht weniger bedeutend ist», sagte er erleichtert. Und nannte als Beispiel «Das Summen der Insekten», ein Film-Essay von Peter Liechti, das zwar lediglich 2000 Zuschauer in die Schweizer Kinos lockte, aber mit dem europäischen Dokfilmpreis ausgezeichnet wurde, und damit dem Schweizer Filmschaffen zu grossem Rennommée verholfen habe. Jendreykos Film «Die singende Stadt», 2011 mit dem Basler Filmpreis ausgezeichnet, wurde vom ZDF/3SAT finanziell unterstützt – ansonsten hätte er ihn nicht finanzieren können, wie er ausführte.

Illustre Gästeschar

Obschon viele Bereiche angeschnitten wurden. Man vermisste auch manches an diesem Abend. So war kein Vertreter der unsubventionierten Künste zum offiziellen Teil eingeladen (Musiker David Klein meldete sich später aus dem Publikum zu Wort), auch wurden keine Lösungsansätze der Förderpolitik vertieft diskutiert oder weitere Fachleute im Publikum, etwa der Baselbieter Kulturchef Niggi Ullrich oder die unsubventionierte Theaterbetreiberin Caroline Rasser, aktiv miteinbezogen. Und den einen oder anderen interessanten Input aus dem Publikum, etwa die Frage, wie man denn nun mit den kostspieligen Museen, die wenig frequentiert würden, umgehen müsse, blieben unbeantwortet.

Doch Podien liefern selten klare Antworten, und in diesem Fall wurde man immerhin angeregt, danach im Foyer weiter zu diskutieren. Waren doch viele bekannte Vertreter der Basler Kulturszene erschienen, etwa Daniela Dolci von Musica Fiorita, Sabine Himmelsbach vom Haus für Elektronische Künste, Hans-Georg Hofmann vom Kammerorchester Basel oder Juriaan Cooiman vom Festival Culturescapes, um nur einige wenige zu nennen. Cooiman hatte sich auch im offiziellen Teil zu Wort gemeldet und dabei angemerkt, dass er dem Keil, den Knüsel mit seinem Buch einschlage, nicht von Beginn weg mit Ablehnung und Angstreaktionen begegne (im Unterschied zu Delnon, der das Buch nicht gelesen hat: «Mein Kardiologe hats mir verboten», sagte der Theaterdirektor). 

Cooiman sieht in der Streitschrift «Kulturinfarkt» eine Chance zur Hinterfragung, welche Kultur man fördern wolle – und wie man Menschen erreiche, die von den Institutionen bisher nicht bedient würden. Genau das sei auch seine Absicht gewesen, erklärte Knüsel. Man habe das Buch im Wissen geschrieben, dass nur mit bewusst polemischen und radikalen Ansätzen eine solche Debatte lanciert werden könne. Und die Debatte zu lancieren, das ist ihm auf jeden Fall gelungen.

 

  • «Die singende Stadt» von Vadim Jendreyko wird am 13./16./20./21. und 23. Mai im Stadtkino Basel gezeigt.

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