Die Zukunft der internationalen Clubszene scheint düster. Zumindest wenn man Nina Steinmüller, Assistenz-Kuratorin im Vitra Design Museum, glaubt: «Die Menschen wollen nicht mehr auswärts tanzen. Lieber streamen sie die Party per Spotify und Boiler Room TV nach Hause.»
Soeben hatte Steinmüller die Basler DJs und Musikproduzenten Nik von Frankenberg und Janiv Oron durch 60 Jahre Design- und Clubkultur geführt. Die pessimistische Prognose ist fast schon ihr Schlussfazit im obersten Stockwerk des Vitra Design Museums.
Das Ambiente im letzten Raum der Ausstellung passt zu ihren Aussagen. Schwarz, kalt, fast schon abweisend präsentiert sich die zeitgenössische Clubkultur. Nichts steht so sehr dafür wie das Ausstellungsmodell des Berliner «Berghain», das auch im Original ein Betonbrocken ist. «Sehnsuchtsort der Postmoderne», nennt ihn Steinmüller. «Yeah, Home!», sagt von Frankenberg.
Er konnte einen Stock tiefer schon die Finger nicht von den Holzbrettern lassen, auf denen die britischen Raver ihre ersten Partys feierten: ein Stück Tanzboden aus der «Haçienda» in Manchester. Der Club war die Heimat von Factory Records, einem Label, das der Ravekultur mit Bands wie New Order oder Happy Mondays den Weg bereitete.
Nik von Frankenberg legt im weitläufigen Spektrum elektronischer Tanzmusik auf. Zudem produziert er Musik für Soundtracks und Clubs. In der Ausstellung offenbart er sich als wandelndes Lexikon: «Die Plattenverkäufe der Bands haben die ‹Haçienda› am Leben erhalten. Im Club verdienten wohl vor allem die Dealer. Und am Ende siegte auch in Manchester die Gentrifizierung.»
New Yorker Boheme auf Schweizer Sofa
Immerhin 15 Jahre existierte die «Haçienda», bevor an ihrer Stelle Luxuswohnungen gebaut wurden. Knapp drei Jahre reichten dem «Studio 54», um zur Legende, zum Inbegriff der Clubkultur zu werden. Im New Yorker Discotempel feierten Ende der 1970er-Jahre Künstler wie Andy Warhol, Keith Haring oder Grace Jones mit Paradiesvögeln und Prominenz – ein bunter Hedonisten-Haufen, handverlesen vom Türsteher.
Unvergesslich Bianca Jaggers Auftritt hoch zu Ross. Heute stehen im Vitra ein paar schillernde Originalkostüme auf einem Disco-Catwalk für den damaligen Drang, so ausgelassen wie auffällig zu feiern.
Augenfällig wird im Ausstellungsraum über die 70er- und 80er-Jahre vor allem ein Gegensatz zur heutigen Clubkultur: Damals wollte niemand abtauchen in die Anonymität. Statt Fotoverbot galt ein Posier-Gebot.
Daher wohl auch der bis heute anhaltende Kult um das «Studio 54»: Schöne, freakige und bekannte Menschen wurden auf Fotos gebannt. Die Aufnahmen in der Ausstellung wirken bekannt. Neu ist nur die Info, dass die lasziven Party People auf einem Schweizer Sofa von de Sede lümmelten.
Diese goldene Ledercouch hätte das Vitra Museum gerne geholt, doch sie hätte den räumlichen Rahmen der Ausstellung gesprengt. Dafür kann man eine aufwendig gefaltete goldene Einladung für die Silvesterparty 78/79 bestaunen.
«Ausser Fotos und Flyers ist von den meisten Clubs nicht mehr viel übrig», erklärte Steinmüller schon im ersten Raum über die Anfänge der Clubkultur in den 60er-Jahren. Hier blüht die Psychedelik in bunten Farben und runden Formen. Im Glauben an eine fröhliche Zukunft mit weniger Arbeit und mehr Amüsement entwarfen Architekten kühne Fantasien von Konsum- und Kulturpalästen.
«Das versuchte man auch im Zürcher Sihlcity», erklärt Janiv Oron. Das Urban Entertainment Center genannte Einkaufszentrum beherbergte bei der Eröffnung 2007 mit dem «Platins» den damals grössten Club der Stadt.
Aufgelegt hat Oron dort nie, obwohl er solo wie auch mit Bruder Eres als Goldfinger Brothers national wie international einer der meist gebuchten Basler DJs ist. Mit Wurzeln im Hip-Hop legt Oron stilistisch breit gefächert, aber stets stilbewusst auf. Als Produzent macht er eher experimentelle Elektronik für Tanz, Oper und seine Klanginstallationen. Der ehemalige Zürcher Grossclub war Oron musikalisch zu kommerziell ausgerichtet. Vielleicht existierte das «Platins» auch schlicht zu kurz.
Das Scheitern des Clubs ist die einzige Gemeinsamkeit des Sihlcity mit seinen klaren Beton- und Glas-Architektur mit den farbig verspielten Sechziger-Ideen des «Schwabylon» in München, dem «Palais Métro» in Montreal – oder dem «Altre Cose» in Mailand. Dort konnte man mit dem neuen Kleid von der Boutique direkt per Lift in die Disco «Bang Bang» gleiten.
Zwischen «Flash Gordon», «Barbarella» und Lavalampe
Italien bildete beim Aufkommen der Popkultur überraschenderweise den Nabel der Clubkultur – zumindest aus der Design-Perspektive, mit der im Vitra Museum kuratiert wird. «In Italien schufen junge Architekten die ersten richtig durchkonzipierten Orte für Gegenkultur», erklärt Steinmüller.
Das Design dieser Discos, irgendwo zwischen «Flash Gordon», «Barbarella» und Lavalampe, war bei aller Buntheit einheitlicher als der kulturelle Inhalt. Im Gegensatz zur meist monothematischen Musik moderner Tanztempel waren diese Nachtclubs auch Bühnen für Tanz, Theater, Performance oder Lesungen. Das entsprach dem Zeitgeist in den progressiven Pionierjahren der Popkultur. Mit Musik-, Licht-, Bild- und Filmprojektionen wurde bewusst Sinnesüberreizung erzeugt – und mit Drogen noch weiter gesteigert.
Den Einfluss der verschiedenen Stimulanzien kann der geneigte Ausstellungsbesucher entlang der ausgestellten Epochen mitverfolgen: LSD, Kokain, Amphetamin, Ecstasy und alle möglichen Mischungen. Beim Kuratieren spielten Drogen aber eine untergeordnete Rolle. Steinmüller sagt: «Drogen waren sicher immer wichtig, aber da wollten wir kein Fass aufmachen.»
Auch die Musik ist in der Ausstellung kein zentrales Thema, bis auf einen Kopfhörer-Floor mit einer kuratierten Disco-Chronologie. «Die Auswahl ist nicht schlecht gewählt», sind sich die beiden Experten beim Bier nach dem Museumsbesuch einig.
«John Travolta hat in diesem Club-Kontext eigentlich nichts verloren.»
Natürlich haben sie das eine oder andere zu bemängeln an der Playlist genauso wie an der Aufreihung der Arbeitsgeräte. «Die Bandmaschine gehört wenn schon an den Anfang. Auch fehlt in der Evolution der DJ-Maschinen das Alltagswerkzeug der Stunde: der Pioneer CDJ (ein Gerät zum Abspielen und Manipulieren von digital gespeicherter Musik, Red.)», findet Oron.
Wirklich gestört hat ihn aber nur die Leinwand über dem Eingang zur 70er-Disco, wo sich Tony Manero, alias John Travolta, in die ikonische Saturday-Night-Fever-Pose wirft. «Travolta hat in diesem Club-Kontext eigentlich nichts verloren», sagt Clublexikon von Frankenberg und redet sich ins Feuer: «Der Film war der Sell-out der Disco. Damit besetzte eine propere weisse Oberschicht die einst von Schwarzen, Latinos und Schwulen geprägte Subkultur.»
Das beschädigte die Szene weit mehr als die beim Saalausgang projizierte «Disco Demolition Night». Die Sprengung von Disco-Platten im Baseball-Stadion der Chicago White Sox war 1979 eine reaktionäre, homophob und rassistisch unterfütterte Trotzreaktion auf den Disco-Boom nach «Saturday Night Fever».
Die Seele fehlt
Zum politisch spannenden Dauerbrenner von Klassen- und Kulturkampf liefert die Ausstellung kaum neue Erkenntnisse. Die beiden Leinwände sind mehr plakative Türhänger. Aber es geht ja auch um Design und Architektur. In diesem Ausstellungsfokus sehen unsere beiden DJs allerdings Schwierigkeiten, da die Architektur zwar wichtig für das Ambiente sei, doch Oron bemängelt: «Ausschnitte oder Nachbildungen im Museum wirken halt sehr steril.»
Er vergleicht das mit der Nachbildung von Harald Szeemanns «When Attitudes become Form» an der Biennale in Venedig 2013. «Obwohl der von Künstlern gestaltete Originalraum bis ins Detail rekonstruiert wurde, spürte ich nichts. Bei der Inszenierung 1969 hatten die Künstler in dem Raum gehaust, geraucht, geschwitzt und gearbeitet. Die Seele, der Geist fehlte der Kopie.»
Die Disco ist also immer nur Hülle und Rahmen für den Geist oder die Chemie magischer Clubnächte. Die entsteht im Zusammenspiel von Musik, Menschen und flüchtigen Momenten, die nicht festgehalten werden können – und eben darum doch ewig bleiben. Einfacher beschreibt von Frankenberg dieses Phänomen: «Ich war über Ostern an vier Nächten im ‹Elysia› auf dem Dreispitz und erlebte den Club und die Abende jeweils komplett verschieden.»
Oron geht nochmals seine Fotos durch. Während der Führung war er ein ruhiger Beobachter, dabei aber durchaus aktiv: Details aus Clubplänen, von Installationen, einem mobilen Boxensystem und einen Stuhl hat er aufgenommen. «Das sind meine Post-it-Notizen. Da will ich mehr wissen oder es ist Inspiration für meine eigene Arbeit.»
Beide hätten gerne weniger von den bekannten Clubs wie «Studio 54» oder «Haçienda» erfahren, dafür mehr neue Nischeninfos. Die findet man im reichhaltigen Ausstellungskatalog – etwa zum «B018» in Beirut: Der Betonbunker mit gewaltigem Schiebedach aus Stahlplatten wurde auf einem ehemaligen Flüchtlingslager gebaut, das im Bürgerkrieg bombardiert wurde.
Am meisten Fotos hat Oron von Bildern aus italienischen Klubs der 60er-Jahre gemacht: «Mit ihrer verspielten Offenheit würden sie mich am meisten zum Auflegen reizen. Die Räume inspirieren.» Die italienischen Elemente der Ausstellung erinnern ihn an die eigenen Anfänge vor mehr als zwanzig Jahren.
An grosse Tourneen mit der italienischen Rap-Crew Tempo al Tempo, erst den Stiefel runter und rauf, dann durch ganz Europa. Sie spielten oft in besetzten Häusern oder bunten alternativen Kulturzentren. «Damals war das einfach normal. Heute hab ich mehr ein Auge für Details oder Design und realisiere, wie unglaublich liebevoll und reich das gestaltet war. Underground do it yourself mit Gusto hat am meisten Charme.»
Für den echten Eindruck muss man vor Ort sein
Schnell dreht sich die Diskussion am Tisch wieder um Basel. Von Frankenberg wie Oron erlebten ihre Club-Sozialisation in den einstigen Zwischennutzungen Stücki und Bell oder im Home hinter dem Bahnhof. Sie attestieren der Stadt ein reiches Clubangebot: «Heute ist wieder eine Generation am Drücker, die viele Freiräume und Nischen beansprucht und bespielt», freut sich von Frankenberg.
Dem pessimistischen Zukunftsszenario von Kuratorin Steinmüller pflichten sie nur bedingt bei. «Nur wenige Konzept-Clubs können Kultstatus erreichen und überleben, weil sie zu vorhersehbar sind, und keiner will dauernd dasselbe erleben», sagt von Frankenberg. Ausserdem gehört das Clubsterben zum Zyklus des Nachtlebens wie der Morgen, der die Party beendet, aber auch den Tag vor der neuen Nacht einläutet.
Vor Boiler Room und Spotify fürchten sie sich nicht. Oron: «Durch das Internet sind DJs nicht mehr Musikpioniere, die dem Publikum neue Platten präsentieren. Wir sind mehr Kuratoren, man muss einfach mehr Sorge bei der Zusammenstellung des DJ-Sets tragen.» Von Frankenberg nickt: «Für den echten Eindruck muss man vor Ort sein.» Das gilt auch für die Ausstellung im Vitra Design Museum.
Night Fever. Design und Clubkultur 1960 – heute, noch bis 9. September, Vitra Design Museum, Weil am Rhein.