Osterzeit ist Jesuszeit, wie uns jeweils das Fernsehprogramm in Erinnerung ruft. Der Zimmermannssohn aus Nazareth ist der langlebigste Star der Filmgeschichte.
Wer Jesus spielen will, hat zu leiden, und Henry Byron Warner musste leiden. 1927 verpflichtete ihn der Hollywood-Gigant Cecil B. DeMille als Hauptdarsteller für den Film «König der Könige», ein Stummfilm über die Lebensgeschichte Jesu, und auferlegte ihm nahezu mönchische Verpflichtungen für seine Rolle. Henry Warner durfte für fünf Jahre die Heiligkeit des Gottessohnes nicht gefährden, und die Enthaltsamkeit erforderte: keine Spielcasinos, keine Nachtclubs, keine Bälle, keine Freibäder.
Nicht einmal ein Cabrio durfte er fahren. Gedankt wurde es ihm mit Ruhm: «König der Könige», ein Grosserfolg, war der erste der grossen Jesusfilme Hollywoods und legte für Jahrzehnte das Setting fest, in dem Leben und Sterben Christi für den Film aufbereitet werden sollten. Keine kritischen Kommentare und kein Interpretationsraum ausserhalb der Bibelstellen aus Rücksicht auf die Kirche, dafür gewaltige Bilder, dramatische Musik, heroische Figuren, heiliger Ernst in der Handlung.
Passion und Bollywood
Osterzeit ist Jesuszeit, zumindest im Fernsehen ist das noch so. Zappt man um den höchsten christlichen Feiertag herum durchs TV-Programm, sieht man den Nazarener mehrmals sein Kreuz nach Golgatha hochschleppen. Die Passionsgeschichte und ihre Hauptfigur versprechen im Grundtext wenig reisserischen Filmstoff – der Gewalt wird abgeschworen, Kernstück ist eine Predigt, trotz einer Prostituierten im Gefolge gibt es keine Bettszene, und am Ende stirbt der Held. Sein Comeback ist zwar angekündigt, gibt aber zu wenig Material für ein Sequel her. Trotzdem wurde keine Geschichte öfters verfilmt als diese, und zwar seit es bewegte Bilder gibt.
Die erste überlieferte Verfilmung «La Passion de Christ» entstand 1897 in Frankreich und dauerte fünf Minuten. Seither gehen die Neuversuche in die Hunderte, Freikirchen benutzten den Stoff für die Mission mittels Bildkraft, die Bollywood-Industrie hat die indischen Variationen der Jesus-Erzählung festgehalten, aus dem muslimischen Raum existieren Werke, die sich mit der Rolle Jesu im Koran auseinandersetzen. Aber kein Ort hat das Jesusbild nachhaltiger geprägt als Hollywood.
Der Stoff wurde in den grossen Jahren des Monumentalfilms, in den 1950ern und 1960ern, mehrmals aufgegriffen. Das Remake von «König der Könige» (1961), «Die grösste Geschichte aller Zeiten» (1963) und «Ben Hur» (1959) entwarfen mit erschlagenden Laufzeiten von bis zu vier Stunden Jesus als Hippie avant la lettre mit langem Haar und Bart, mit wehender Robe, seligem Lächeln und vergebendem Gleichmut. Theologisch unbedenklich steht vor der eigentlichen Narration vor allem die Person Jesu als Rollenmodell im Vordergrund: nicht seine Wundertaten prägen den Film, sondern das Wirken des guten Hirten. Dieser missionarische Mehrwert gefiel den Kirchen, doch immer weniger den Filmemachern. Der Figur, zurechtgestutzt auf die Funktion des Heilsverkünders, war keine darstellbare Tiefe mehr abzugewinnen.
Pasolini und der Papst
Der italienische Regisseur Pier Paolo Pasolini hat bereits Mitte der 60er-Jahre einen neuen Ton in den alten Stoff gebracht. Pasolini war für konservative Kreise eine Reizfigur ersten Grades, bekennender Kommunist und Homosexueller, doch er verfilmte «Das erste Evangelium Matthäus» quasi buchstabengetreu und ohne Abweichungen von der Textgrundlage. Hingegen inszenierte er in einer zurückhaltenden Bildsprache den Nazarener als zornigen Prediger gegen das Establishment, als Wanderprediger und Rebell, der den Unterprivilegierten einen neuen Weg zu Gott aufzeigte. Dieser sozialkritische Kontext legt bisher nicht gezeigte Aspekte dieser Figur offen, und es ist nicht erstaunlich, dass Pasolini den Film Papst Johannes XXIII. widmete – derselbe Papst, der 1962 das Zweite Vatikanische Konzil eröffnete und die Römisch-Katholische Kirche in die Moderne schickte.
Zauderer und Zornreaktionen
Jesusfilme prägten das Bild des Erlösers nicht nur, sie reflektierten es auch. Der fortschreitende Prozess der Säkularisierung seit dem Zweiten Weltkrieg, der Rückgang normativer kirchlicher Macht bei gleichzeitigen Schüben in der historischen Jesusforschung in den 80er-Jahren hat für den Film ein Klima geschaffen, das neue Zugänge zur Frohen Botschaft bietet.
Jean-Luc Godard wählt in «Maria und Joseph» 1985 als Schauplatz in einen Genfer Vorort und folgt der Beziehungsentwicklung der beiden nach der Jungfrauenempfängnis, Martin Scorseses Romanverfilmung «Die letzte Versuchung Christi» stellt den Messias als Zauderer dar, der als Mensch mit seiner göttlichen Rolle nicht klarkommt und auf eine Versuchung des Teufels hereinfällt.
In «Jesus von Montréal» wird das Wunder der Auferstehung ethischen Fragen der Transplantationsmedizin und der Todeszeitpunktbestimmung gegenübergestellt. Solch eigenwillige Kontexte gefallen keiner Kirche, und alle diese Filme, die Jesus ausserhalb der Orthodoxie neu erschliessen, haben nach ihrer Veröffentlichung harsche Proteste des Klerus provoziert.
Kritische Kirchenvertreter
In diesen Zornreaktionen, die auch dem harmlosen Rockmusical «Jesus Christ Superstar» von Andrew Lloyd Webber und der Satire «Life of Brian» von Monty Python keine Gnade schenkten, bebten noch die Deutungshoheitskämpfe um die Figur Jesus nach, die sich in säkularen Gesellschaften auch ausserhalb des Zugriffs religiöser Institutionen zu einer kulturellen Chiffre emanzipiert hat.
In der Gegenwart sind diese Kämpfe ausgestanden. Kirchenvertreter melden sich noch dann kritisch zu Wort, wenn die Institution selbst ins Zwielicht gerät wie im Verschwörungsblockbuster «The Da Vinci Code» und in Mel Gibsons bildgewaltigem Blutrausch «The Passion of the Christ», der alte antijüdische Stereotypen des Neuen Testaments reproduziert.
Ultrachrist und Untote
Ansonsten ist der Stoff frei für Adaptionen, in denen sich bisher ausgeschlossene Gruppen der Botschaft Christi bemächtigen. Der haitistämmige Regisseur Jean-Claude La Marre brach das europäisch tradierte Jesusbild des weissen Mannes mit braunem Haar und Bart und zeigte in «Color of the Cross» Jesus erstmals als Schwarzen. Und «Son of Man» von Mark Dornford-May verlegte 2005 die Passionsgeschichte in den fiktiven Staat Judea im südlichen Afrika der Neuzeit, umgeben von korrupten Warlords, bewaffneten Rebellen und einer von Bürgerkrieg terrorisierten Bevölkerung, aus der Jesus als Friedensverkünder auftritt und am Ende von der machtbesessenen Obrigkeit ans Kreuz geschlagen wird. Erstaunlich ist der Film, weil er Zeit und Umgebung, kaum aber die Handlung der Evangelien verändert und es schafft, die alte Geschichte bruchlos in der Gegenwart aufzulösen.
Das deutlichste Zeugnis vom Eintritt Jesu in die Popkultur hat indes der Trashfilm des 21. Jahrhunderts abgeliefert, der sich in Niederungen unterhalb des Radars Roms abspielt: In «Ultrachrist» kämpft Jesus als Superheld gegen Bösewichte wie Hitler, Nixon und Jim Morrison, im japanischen «Jesus Christ Vampire Hunter» erledigt er die Dämonen mit Kung-Fu statt mit der Waffe des Wortes.
Trashkultur vereinnahmt den Erlöser: «Ultrachrist», der Superheld mit dem Kreuz. (Bild: zVg)
Und besonders originell haben die Macher von «Zombie Jesus» die Auferstehung des Gekreuzigten von den Toten zu Ende gedacht. Der Film glänzt mit dem schönen Untertitel: «He died for your sins, he’s back for your brains.» Vater, vergib ihnen.
- Als Zugabe gibt es hier Pier Paolo Pasolinis «Das erste Evangelium Matthäus» in voller Länge (Italienisch mit Englischen Untertiteln):
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 06.04.12