Von Talentschlächtern und Klick-Geiseln

Das junge Basler Theater-Kollektiv Gilliéron/Koch/Wey bringt mit «Homo Digitalis» die digitale Arbeitswelt auf die Bühne. Das Stück wird dabei selbst Teil einer Maschinerie, die es erlebbar machen will.

Auf Spurensuche in der digitalen Arbeitswelt: Ariane Koch, Moira Gilliéron und Zino Wey.

(Bild: Nils Fisch)

Das junge Basler Theater-Kollektiv Gilliéron/Koch/Wey bringt mit «Homo Digitalis» die digitale Arbeitswelt auf die Bühne. Das Stück wird dabei selbst Teil einer Maschinerie, die es erlebbar machen will.

Am Anfang war diese Seite: fiverr.com. Eine Online-Plattform, auf der Menschen ihre Dienste für einen Betrag zwischen fünf (fiver) und fünfhundert Dollar anbieten. Auf fiverr.com kann man sich jeden erdenkbaren Service erkaufen, der sich ausführen lässt: Man wählt aus den Abertausenden von Profilen einen Dienstleister aus, erteilt ihm einen Auftrag, bezahlt – und kurze Zeit später hat man einen personalisierten Jingle, einen Maya-Segen, 50 vegane Rezepte oder dreitausend Likes auf Facebook.

Fiverr.com ist die Vermittlungsplattform der Stunde, nirgends kann Arbeit heute einfacher und schneller ausgelagert werden. Das merkte auch Ariane Koch, als sie 2014 auf der Plattform Texte für ihr Projekt «Zukunft Europa» bestellte.

Sie erzählte Zino Wey und Moira Gilliéron davon. Mit ihnen hatte sie vor drei Jahren das Stück «Mein Enkel 2072» auf die Bühne gebracht. Die drei beschlossen, sich für ihre nächste Produktion des Themas anzunehmen, das sich mit dieser merkwürdigen Seite geradezu aufdrängt: digitale Arbeitswelten.

Wie bereits «Mein Enkel 2072» geht «Homo Digitalis» der Zukunft auf den Grund, nur stehen dieses Mal keine Kindheitserinnerungen im Vordergrund, sondern das Arbeiten im 21. Jahrhundert: Wie sieht die digitale Arbeitswelt aus? Wer führt aus, wer kassiert ein? Wo übernimmt der Algorithmus? Und wo bleibt dabei der Mensch auf der Strecke? 



Wer ist jetzt noch Mensch und wer Maschine? Szene aus den Proben zu «HOMO DIGITALIS»

Wer ist jetzt noch Mensch und wer Maschine? Szene aus den Proben zu «Homo Digitalis». (Bild: Nils Fisch)

Grosse Fragen, die weit über das Prinzip fiverr hinausgehen: Das Ausschlachten eigener Fähigkeiten ist nur die eine Seite der digitalen Arbeitswelt. Auf der anderen Seite stehen die sogenannten «Click Workers». Jene Menschen, die Arbeiten verrichten, die Computer noch nicht ausführen können, sprich Bilder erkennen, Farben einschätzen oder Kategorisierungen vornehmen.

Die «Click Workers» füllen die Lücken, die der Algorithmus nicht erreicht – und unterstehen dabei ironischerweise genau jenem System, dem sie dienlich sind: «Firmen lagern diese Arbeit aus und überlassen die Wertung den Algorithmen, die entscheiden, ob der Auftrag richtig oder falsch ausgeführt wurde. Sagen also 20 Leute, dass ein Bild türkisfarben ist und 80 blau, dann werden nur die Blauen bezahlt», erklärt Gilliéron.

Immer und überall – auf wessen Kosten?

Menschen werden wie Computerprogramme behandelt – für ein paar Cents, die sie mit ihrer Click-Arbeit verdienen. «Genau das ist das Reizvolle an diesem Thema: Es geht vom alles ausschlachtenden Individualismus bei fiverr.com bis hin zur kompletten Autorität jener Maschinen, denen ‹Click Workers› unterliegen», sagt Wey. «Die heutige Arbeitswelt sagt uns: Du kannst nicht nur aus allem Profit schlagen, du kannst auch immer und überall arbeiten. Nur auf wessen Kosten?»



Kommerzialisierte Arbeitswelt, ausgeschlachtete individuelle Fähigkeiten: In «HOMO DIGITALIS» nähern sich vier Performer der digitalisierten Arbeitswelt an.

Kommerzialisierte Arbeitswelt, ausgeschlachtete individuelle Fähigkeiten: In «Homo Digitalis» nähern sich vier Performer der digitalisierten Arbeitswelt an. (Bild: Nils Fisch)

Das Kollektiv Gilliéron (Ausstattung)/Koch (Text)/Wey (Regie) agiert dabei selbst als Profiteur – indem sie selbst auf fiverr.com gekaufte Dienstleistungen für ihre Inszenierung verwerten und einsetzen. So sind neben den vier Performern auch Videos, Musikstücke und Textfragmente von fiverr-Dienstleistern Teil der Inszenierung. Das Copyright auf ihre Erzeugnisse haben jene Dienstleister gleich gänzlich mitverkauft. Somit wird das Stück selbst Teil der Maschinerie, die es erlebbar machen will.

Für dieses Ziel erzählt das Kollektiv keine stringente Geschichte. Vielmehr versucht es, Stimmungswelten zu erschaffen und die Gefühlswelt dieser digitalen Arbeitswelt auf die Bühne zu bringen. Vom Digitalen ins Analoge und vom Emotionalen ins Körperliche. Und nicht zuletzt vom Globalen des World Wide Web ins Lokale einer Theaterbühne und wieder zurück. Nicht als pseudowissenschaftliche Anmassung, sondern als persönlich geprägte Zukunftsvision, von homo sapiens zu homo digitalis.

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«Homo Digitalis», 31. März bis 5. April 2016, Kaserne Basel.

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