Warum Junge in den Jihad ziehen

Milo Rau will nichts weniger, als in einer Trilogie das junge Europa portraitieren. Der erste Teil läuft ab heute in der Kaserne in Basel und geht ins Extrem: «The Civil Wars» geht von der Frage aus, was europäische Jugendliche dazu bewegt, nach Syrien in den Jihad zu ziehen.

Minimalistisches Theater: Vier Schauspieler erzählen ihre eigene Geschichte. Gegen zuviel Intimität hilft die Kamera. (Bild: Marc Stephan)

Milo Rau will nichts weniger, als in einer Trilogie das junge Europa portraitieren. Der erste Teil läuft ab heute in der Kaserne in Basel und geht ins Extrem: «The Civil Wars» geht von der Frage aus, was europäische Jugendliche dazu bewegt, nach Syrien in den Jihad zu ziehen.

Milo Rau macht Theater so nah an der politischen Aktualität, wie es geht. Er hat eine Rede des Attentäters Breivik auf die Bühne gebracht (es war in Basel zu sehen und löste eine Debatte aus, wie realitätsnah Theater sein darf), oder die Moskauer Prozesse um die Punkband Pussy Riot inszeniert.

Jetzt rührt er mit der grossen Kelle an. Zusammen mit seinem International Institute of Political Murder (IIPM) will er in drei Teilen Europa portraitieren. Der erste davon ist angerichtet, lief bereits im Mai in Brüssel, kürzlich in Zürich und ab dem 2. Oktober an der Basler Kaserne.

Produktiv gescheiterter Plan

«The Civil Wars» heisst die Arbeit, die der Frage nachgeht, was junge ratlose Europäer dazu bringt, ihre Heimat zu verlassen und in einem fremden Land an einem Bürgerkrieg teilzunehmen, der nicht ihrer ist. Genauer: Was treibt junge Belgier nach Syrien, um dort einen islamischen Staat zu errichten.

Das war zumindest der Plan, verbunden mit einem, wie in vorigen Produktionen, möglichst dokumentarischen Ansatz. Doch er ging nicht auf, wie Eva-Maria Bertschy erzählt, die im IIMP für Dramaturgie und Recherche zuständig ist.

Zwar haben sie tatsächlich etliche Gespräche mit jungen Europäern geführt, die nach Syrien gegangen sind. Doch es stellte sich heraus, dass damit die eigentliche Fragestellung verlorengeht. Zu viel komplizierte Eigendynamik hat der Islamismus, als dass er eine Geschichte über Europa und die Resignation seiner jungen Generation erzählen könnte.

Europa ohne Träume

Welche Resignation eigentlich? «Seit den 68ern gibt es in Europa keine Utopien mehr, für die man kämpfen kann», sagt Bertschy. «Die Jungen finden nichts, woran sie glauben können, und doch wollen sie eine bessere Welt.»

Um dieses Porträt eines traumlosen Europas zu zeichnen, was ursprünglich mit der Geschichte der Jihadisten geschehen sollte, hat IIMP nun vier Schauspieler aus Belgien und Frankreich gecastet. Sie sprechen ihre eigene Geschichte, denen gemeinsam ist, dass ihre Väter zerrieben wurden: einer durch den modernen Kapitalismus, der sein Familienunternehmen schluckte, ein anderer als Migrant im Westen, ein weiterer in der Desillusionierung nach 1968.

Die ursprüngliche Fragestellung behält IIMP jedoch bei und lässt die Erzählung, wie ein junger Belgier nach Syrien zieht, den Rahmen des Abends bilden. Inwiefern die Analogie zwischen dieser zugespitzten Suche nach Ausweg und der Geschichten der vier Schauspieler funktioniert, wird sich zeigen.

Im Vorfeld scheint der Ansatz hinter diesem Europaportrait diffus. Auf der anderen Seite zeugt die Erzählung von Eva-Maria Bertschy von einer gründlichen Auseinandersetzung, mit der sich die Crew von IIMP an ihre Themen heranarbeitet. Immer wieder wird erwogen, Konzepte zu verwerfen, und stattdessen einen Weg zu gehen, mit dem keiner gerechnet hätte. Der Abend könnte ein aufrichtiges Theater zeigen.


Milo Rau / IIPM: «The Civil Wars». 2., 3. und 4. Oktober, je 19:30 Uhr. Kaserne Basel, Klybeckstrasse 1b.

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