Was bringt der Basler Pop-Preis?

Auf die Verleihung des Schweizer Musikpreises an Sophie Hunger reagierten Teile der Schweizer Popszene mit Appetit auf Selbstdestruktion. Nun steht der Pop-Preis Basel an. Die 15’000 Franken sorgen immer wieder für Diskussionen. Was bringt der Preis?

Wer Platten aufnehmen will, muss zuerst nach Geld graben – so wie The bianca Story.

Am 9. November wird der Basler Pop-Preis zum achten Mal vergeben. Wer gewinnt die 15’000 Franken? Das sorgt immer wieder für Diskussionen. Was bringt der Preis?

Es hat gedauert, bis der Grand Prix Musik der Schweizer Eidgenossenschaft breit diskutiert wurde. Als der Preis 2014 erstmals verliehen wurde, und der Westschweizer Musiker Franz Treichler (Young Gods) von Bundesrat Berset 100’000 Franken in Empfang nehmen durfte, da war dies medial kaum der Gegenrede wert. Wir bildeten eine Ausnahme, haben über das Klotzen des Bundes und die Vervielfachung von Preisen und Preisgeldern berichtet.

Dass der Bund schon vor zwei Jahren insgesamt fast eine halbe Million Franken ausschüttete, scheinen viele vergessen zu haben. Zur Erinnerung: Auch wer von der Fachjury des Bundes lediglich nominiert wird, erhält 25’000 Franken. In den Genuss dieser «Trostpreise» kamen schon der Volksmusiker Hans Kennel, das Basler Ensemble Phoenix, die Pianistin Irène Schweizer oder die Sängerinnen Erika Stucky und Corin Curschellas.

Erst Hunger  

Diese stolzen Beträge regten kaum jemanden auf – erst als der bestdotierte Musikpreis der Schweiz nach den Vergaben an Franz Treichler und Heinz Holliger (Dirigent/Komponist, 2015) in diesem Jahr an Sophie Hunger ging, waren hüben und drüben Wut- und Verteidigungsreden zu vernehmen.

Warum? Weil Sophie Hunger Popmusik macht, und manche Leute meinen, diese Sparte sei mit «populär», ergo kommerziell erfolgreich, gleichzusetzen? Oder weil Pop eben gerade nicht vom System gesponsert werden darf, weil diese freie Musikszene sich von der etablierten, klassisch geförderten Musik abzugrenzen hat? Oder einfach: Weil Sophie Hunger für eine solche Ehre zu jung ist, mit ihren 33 Jahren. Und zu weiblich, weil kein Mann?

Die Kritik, sie prasselte (soweit wir wissen) nur von älteren männlichen Musikern auf Hunger nieder: Chris von Rohr, Polo Hofer, Tom Gabriel Fischer … Abschätzig sprachen sie von «Mauschelei im Kulturbetrieb», weil Hunger zuvor schon Fördergelder erhalten hatte. Und weil sie aus gutem Hause stamme, wie der «Blick» mit seinem Verweis, sie sei eine «Diplomaten-Tochter», deutlich machen wollte.

Grosse Preise, kleine Preise

Natürlich, da ist die Summe dieses Grand Prix, stattliche 100’000 Franken. Das reicht für bedeutend mehr als eine vernünftig produzierte Platte, da müssen wir Knackebouls Behauptung in der TagesWoche relativieren. Mit 100’000 Franken kann sich eine Formation heute eine anständige kreative Auszeit nehmen und ein Album produzieren.

Und natürlich, da ist die Tatsache, dass Sophie Hunger schon von anderen Gremien gefördert worden ist. Aber heisst das, dass sie den Preis nicht verdient hat? Einen Preis, wohlgemerkt, um den man sich nicht bewerben kann. Für den sie von einer Jury auserkoren wurde? 

Arrivierte Künstler habens schwerer

Das regt dazu an, sich Gedanken im Kleineren zu machen: Über den Basler Pop-Preis. Dieser wurde 2009 vom RFV Basel, der regionalen Popförderungsinstitution, lanciert – mit dem Ziel, die Spitze der Basler Popszene jährlich mit 15’000 Franken auszuzeichnen. Dafür wurde eine national besetzte und ständig wechselnde Fachjury einberufen. Damit will der RFV die Unabhängigkeit der Entscheide garantieren.

Verflixte sieben Mal wurde der Pop-Preis verliehen: Anna Aaron, The bianca Story, James Gruntz oder – zuletzt – die junge Band Serafyn haben ihn schon gewonnen.

Und seit es den Preis gibt, wird er von kritischen Fragen begleitet. Etwa jener, warum arrivierte Musiker nie zu den Gewinnern zählten (sowohl die Lovebugs als auch Brandhärd gingen leer aus, um zwei prominentere Beispiele zu nennen). «Es stimmt, dass die Jurys tendenziell jüngeren Bands den Vorzug gegeben haben», sagt Tobit Schäfer, Geschäftsleiter des RFV. Aber der Pop-Preis solle nicht als Ehrung für ein Lebenswerk missverstanden werden. «Wir überlassen es den Jurys, Kriterien wie kontinuierliches Schaffen oder aktuelle Präsenz zu gewichten.»




«Es stimmt, dass die Jurys tendenziell jüngeren Bands den Vorzug gegeben haben.» Tobit Schäfer, RFV. (Bild: Roland Schmid)

Dennoch muss man nach sieben Jahren festhalten: Es bleibt unklar, wo die Trennlinie zwischen Nachwuchs- und Spitzenförderung verläuft. Einen Vorwurf konnte der RFV ein Stück weit entkräften: jenen, dass er seine Förderung auf junge Musiker fokussiere. Mit dem «Anerkennungspreis» (mit 5000 Franken dotiert) haben Musiker, die seit einem Vierteljahrhundert aktiv sind, die Chance, eine Auszeichnung zu erhalten. 

Schäfer legt auch Wert darauf, dass der Pop-Preis nur die Spitze des Eisbergs sei.  «Der Pop-Preis hat zwar klar den grössten medialen Effekt, wird öffentlich wahrgenommen. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die 15’000 Franken nur einen kleinen Teil unserer jährlichen Fördersumme ausmachen.»

Über verschiedene Angebote hat der RFV im vergangenen Jahr über 130’000 Franken an Bands verteilt. Und auch diese Summe relativiert sich beim Blick auf das Kulturbudget des Kantons: Jährlich gibt Basel-Stadt 120 Millionen Franken für die Kultur aus, die Popförderung erhält 0,3 Prozent. So gesehen sind die Pop-Gelder eigentlich nicht der Rede wert. Umso erstaunlicher, wie leidenschaftlich darüber diskutiert wird. 

Der Grossteil der Fördergelder fliesst denn auch nicht in den Pop-Preis, sondern in den RegioSoundCredit. Damit werden Beiträge an Plattenproduktionen, Tourneen oder Videoclips vergeben. «In der Summe geht es hier um viel mehr Geld – nur werden diese Entscheide öffentlich weniger verhandelt», sagt Schäfer.

167 Bands sind seit 2004 unterstützt worden

Die Krux am Pop-Preis sei denn auch, dass die Nominierten im Rampenlicht stünden und mit ihnen auch das Preisgeld. Kleinere Projektbeträge in Höhe von 3000 bis 7000 Franken würden dabei überschattet. «Man muss sich vor Augen halten: Seit der Einführung des RegioSoundCredit vor 13 Jahren sind 167 verschiedene Bands mit über 1,2 Millionen Franken unterstützt worden», sagt Schäfer. Auch alle bisherigen Pop-Preis-Gewinner haben noch in anderer Form Beiträge erhalten. Für Anna Aaron war der Pop-Preis die sechste Unterstützung, The bianca Story haben in den letzten 13 Jahren gar sieben Mal vom Basler Fördertopf profitieren dürfen.




Droht da eine Überförderung? «Nein», sagt Tobit Schäfer, «es wäre zynisch, von einer Überförderung zu sprechen. Denn wenn eine Band wie Navel über den Zeitraum von 13 Jahren mit 43’000 Franken gefördert wird, dann macht das durchschnittlich keine 4000 Franken pro Jahr.» Damit schlage sich keine Band den Bauch voll.

Als anderes Beispiel nennt Schäfer James Gruntz, Bieler mit Basler Connection, der 2016 mit dem Werkjahr der Fondation Suisa geehrt worden ist. «Er erhält 80’000 Franken auf einen Schlag – das ist eine ganz andere Dimension als die 32’000 Franken, die er in vier Jurierungen von uns erhalten hat.»

Eine «Academy» sorgt für die Nominationen

Was das Suisa-Werkjahr mit dem Pop-Preis gemein hat: Für beides kann man sich nicht bewerben.

Beim Pop-Preis reicht eine «Academy» Vorschläge ein. Diese Academy setzt sich aus aktuellen und ehemaligen Jurymitgliedern zusammen. Mittlerweile ist sie auf über 60 Fachleute angewachsen: Konzertveranstalter, Musikjournalistinnen, Produzenten sind Teil dieses international besetzten Juryboards.

Über ein Drittel der Juroren lebt ausserhalb Basels. Damit soll sichergestellt werden, dass eine Formation auch wirklich überregionale Wirkung und Ausstrahlung hat, sagt Tobit Schäfer. Allerdings drängt sich da der Einwand auf, ob Mundarttexter dadurch nicht benachteiligt würden: Kann eine Tessiner Jurorin oder ein französischsprachiger Veranstalter Mundart-Rap genügend gut ein- und wertschätzen? «Solche Fragen diskutieren und gewichten die Jurys jeweils. Auch wenn ich persönlich nicht jeden Entscheid gleich gefällt hätte, finde ich, dass jede bisherige Auszeichnung vertret- und nachvollziehbar war», sagt Schäfer. 

Fluch statt Segen

Schaut man sich die Liste der sieben bisherigen Gewinner an, scheint auf dem Preis aber ein Fluch zu lasten. Um Sheila She Loves You ist es seit Gewinn des Preises ruhig geworden. The bianca Story liegen auf Eis, Navel und Slag In Cullet haben sich aufgelöst. Gerade das Ende von Slag In Cullet sorgte für Diskussionen. 

Beim Gewinn 2012 freute sich Bassistin Rafaela Dieu, «weil damit die Finanzierung des neuen Albums gesichert ist». Das Album erschien nie. Stattdessen gab die Band zehn Monate später ihr Ende bekannt.

Böse Zungen bemühten das Klischee: Typisch Schweizer Band – kaum wird es ernst, hört man auf. Mit der Band zumindest. Mit der Musik aber mitnichten. Slag in Cullet gibt es zwar nicht mehr, aber die drei Mitglieder spielen in neuen Bands und beleben die Basler Musikszene mit ihrem Engagement. 

Sänger Andy Röösli singt mit seiner neuen Band Kobra Effekt bald im Hirschi (19.11.). Rafaela Dieu spielt in der Black Black Metal Band Zeal & Ardor Bass und bringt mit dem Konzertlabel Deep Drone deftige Gitarren auf Basler Bühnen. Und auch Schlagzeuger David Burger ist der Szene erhalten geblieben.  

«Die Trennung war persönlich schwer zu verdauen», resümiert Burger heute. Verfluchter Pop-Preis? Nein, dieser hatte keinen Einfluss auf die Bandtrennung, sagt Burger. Und ein schlechtes Gewissen, 15’000 Franken in den Sand gesetzt zu haben, hat er auch nicht: «Das Risiko ist immer dabei. Die Band hätte auch bei einem Unfall im Tourbus draufgehen können. Kritik wäre höchstens angebracht, wenn wir uns für den Preis beworben hätten.» Der RFV sieht das gleich. «Der Pop-Preis ist keine festverzinsliche Staatsanleihe», heisst es seitens Förderverein.




«Kritik wäre höchstens angebracht, wenn wir uns für den Preis beworben hätten.» David Burger, ex-Slag in Cullet. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Heute ist das Schlagzeug Burgers Hobby (Neo Noire, Who the Fuck is Gina), sein Beruf aber ist die Bandförderung. Mit seiner GmbH Reelmusic übernimmt er das Management von Künstlern. Seine Erfahrungen helfen ihm dabei auch als Manager. Gut die Hälfte der mehr als 20 Künstler und Bands, die seine GmbH betreut, stammen aus Basel. Darunter Debrah Scarlett, die für Norwegen beim letzten Eurovision Song Contest antrat, Zeal & Ardor sowie die aktuell nominierten Bleu Roi oder die letztjährigen Pop-Preis-Gewinner Serafyn.

«Der Preis wird auch im Ausland wahrgenommen», berichtet Burger. Dass dieser 2015 an Serafyn, die jüngste, unerfahrenste Band ging, sei nur innerhalb Basels ein Thema. Burger versteht die Kritik nicht. Für ihn sind die Strukturen wichtiger als das Alter einer Band. An den Strukturen erkenne man, ob eine Band seriös ihre Zukunft plant und das Geld sinnvoll, also zielgerichtet investiert werde. Dennoch: «Der Preis ist keine Erfolgsgarantie. Ohne Talent helfen auch 15’000 Franken nicht. Hast du Talent und triffst den Zeitgeist, sind sie ein Bruchteil des Gesamtbudgets.»

Lob aus Zürich

«Die 15’000 Franken finde ich in der Höhe passend, um sie in die Hände einer Band zu legen», sagt Jean Zuber, Direktor von Swiss Music Export. «Damit kann man einen Bandbus kaufen oder ein Album finanzieren, also elementare Bedürfnisse einer Band decken.» Grössere Preisgelder, wie sie etwa die Stadt Zürich, der Kanton Aargau oder das Bundesamt für Kultur ausschütten, sollten dagegen begleitet sein. «Einen Preis zu vergeben, bedeutet schlicht weniger Arbeit als ein normaler Förderbeitrag, dessen Erfüllung dann dokumentiert und belegt werden muss.»

Die Mischung der Geldvergabe des RFV findet Zuber äusserst lobenswert. «In Basel entwickelte sich in den letzten Jahren die lebendigste Musikszene der Schweiz. Nicht nur wegen der variantenreichen Bandförderung. Hier wurde auch erkannt, dass eine gesunde Szene Strukturen wie Labels und Agenturen braucht.»




«In Basel entwickelte sich in den letzten Jahren die lebendigste Musikszene der Schweiz.» Jean Zuber, Swiss Music Export.

Parallel zur ersten Verleihung des Basler Pop-Preises wurde 2009 auch der mit 12’000 Franken dotierte Business-Support vergeben. Tatsächlich bietet Basel heute ein professionelleres Umfeld, was Managements, Labels und Bookingagenturen angeht. So ist David Burgers Reelmusic nur eine der international tätigen Firmen innerhalb des Basler Popgeschäfts, das in den letzten Jahren auch durch andere Agenturen wie Radicalis und Labels wie A Tree in a Field, Czar of Crickets oder Lux Noise aufhorchen liess.

12’000 Franken sind für diese KMUs lediglich ein Zustupf, verbunden aber mit einer schönen Anerkennung. Denn wie Zuber es auf den Punkt bringt: «Die Popszene ist im Gegensatz zu Theater, Tanz oder Film der einzige Kulturbereich, der auf eigenes Risiko loslegt, bevor die Finanzierung steht. Klappt es nicht, wird halt der Gürtel enger geschnallt und gelitten.»

Der Gang über die Grenze

Dass Musiker aus Basel bei Schweizer Auszeichnungen wie dem Grand Prix Music nicht so präsent sind, erklärt Zuber so: «Die Schweiz hat Basel vielleicht so wenig im Fokus wie sich auch Basel weniger auf die Schweiz ausrichtet. Dafür blickt man hier über die Grenzen. An den internationalen Festivals treffe ich immer mehr Basler Bands.»  

Auch dank der Förderung: «Ein Startbudget bringt jeder Band generell einen Vorteil, macht sie für Booker, Label und Promoter attraktiver», so Zuber. Einfach spielen bringe bei Branchen-Festivals, die teils Fleischschauen gleichen, nichts. Man muss im Vorfeld das Interesse der internationalen Branchen-Profis wecken, sonst spielt man vor leeren Rängen.

Diese Mobilisierung ist Teil der Arbeit von Zuber. «Früher musste ich bei internationalen Bookern und Festivals hoffen, dass sie das Telefon abnehmen und sie bitten, sie sollten sich doch mal diese oder jene Schweizer Band anhören. Heute häufen sich die Anfragen von Bookern und Agenturen und fast alle Festivals wollen die Schweiz als Gastland.» Beim Thema Gastland beschränkt man sich nächstes Jahr auf das Great Escape in Brighton, eines der europäischen Top-Festivals für neue Bands.

Den grössten Schub für Swiss Music Export in seiner Funktion als Vermittler und Förderer sowie die hiesige Szene wäre laut Zuber aber ein weiterer internationaler Erfolg eines Schweizer Künstlers: «Geil wäre ein nächster Schweizer Star wie Sophie Hunger, Boy oder Bonaparte. Das öffnet neue Türen und weckt weiteres Interesse. Und genau das würde allen Künstlern hier helfen, egal aus welcher musikalischen Richtung.»

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Olivier Joliat, der Co-Autor dieses Beitrags, spielt Schlagzeug bei den Lombego Surfers, die dieses Jahr für den Pop-Preis nominiert sind. 

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