Was macht dieser Betonklotz in der Innenstadt?

An der Elisabethenstrasse 54 ragt seit Kurzem ein Betonklotz in die Strasse hinein. Was das soll? Na, Kunst!

Ja, das stimmt schon so: Werk von Andreas Schneider in der Galerie Gisèle Linder.

(Bild: zVg)

An der Elisabethenstrasse 54 ragt seit Kurzem ein Betonklotz in die Strasse hinein. Was das soll? Na, Kunst!

Irgendwas ist da faul. Gerade noch hat man sich über das hübsche alte Stadthäuschen gefreut, das eigensinnig zwischen zwei riesigen Neubauten in der Elisabethenstrasse klemmt – da merkt man, wie da irgendwie doch nicht ganz alles im Lot ist. Im eingepferchten Haus selbst klemmt nämlich auch was: Ein riesiger grauer Brocken, der zwischen den blauen Fensterrahmen hervorguckt. Nonchalant, als hätte ihn ein Bauarbeiter da vergessen.

Ein herrenloser Betonklotz mitten in der Innenstadt Basels? Kann eigentlich nur eines bedeuten: Da war ein Künstler am Werk.




Andreas Schneider grinst schelmisch. Er steht in der Galerie Gisèle Linder, die in ebendiesem Häuschen untergebracht ist und klopft auf den Koloss. «Der tut nur so als ob.» Wir berühren das graue Material. Styropor.

Schneider stellt zurzeit zusammen mit der Zürcher Videokünstlerin Ursula Palla bei Linder aus – in diesem kleinen störrischen Häuschen, mit Werken, die perfekt aufs Gebäude abgestimmt sind: unfügsam, eindringlich, kompromisslos. Der Basler ist bekannt für seine ortsspezifischen Arbeiten, seine Skulpturen entstehen stets aus der Auseinandersetzung mit den Orten, an denen sie sich befinden (man denke zum Beispiel an das grosse «For Sale»-Schild an der Utengasse 60 oder an das Fliessband an der Liste 15, das fleissig Fünfrappen-Stücke aus einem Fenster gegenüber der Messe transportierte).

Dabei bewegen sich seine Arbeiten immer ganz nah am Menschen, oder beziehen ihn mit ein, wie im Frühling dieses Jahres, als Schneider in einem Projekt mit der Kunsthalle und dem Schweizerischen Architekturmuseum mit Kindern Raummodelle baute, die ihnen Kunst und Architektur näherbringen sollten. 

Hand angelegt

Auch der Koloss in der aktuellen Ausstellung ist mit einer gehörigen Portion Menschlichkeit versehen – dieses Mal sogar wortwörtlich: Im fast schon weich anmutenden Material ist der Handabdruck des Künstlers auszumachen, komplett mit all seinen Strukturen, zigmal vergrössert. Als hätte eine Goliath-Version des gelernten Hochbauzeichners den Titel des Werks wörtlich genommen: «Push». 

Gepusht wird hier tatsächlich, und zwar weil die Allmendverwaltung dem in die Strasse ragenden Klotz wenig wohlwollend gegenübersteht. Schneider und Kuratorin Marina Huonker machten also einen Kompromiss aus und schieben das Werk jetzt nur an festgelegten Zeitpunkten die paar Zentimeter in den Gehweg hinaus. Schade, aber wenn man es sich richtig überlegt, eigentlich auch ganz passend – schliesslich geht es in der Ausstellung «Squeeze/Reverse Island» genau um diese Gegengewichte: Einfügen und Dagegenhalten, Durchsetzen und Einpassen.

Wie das Haus passen sich auch Schneiders Skulpturen in ihre Umgebung ein, als selbständige Fremdkörper, die keinen Grössen weichen. Damit gelingt es Schneider, das Äussere nach innen zu kehren ohne dabei zu explizit zu werden.

Eindrücklich konzipiertes Verwirrspiel

Das gilt auch für den anthrazitfarbenen Träger, der etwas weiter hinten auf Schulterhöhe (der Autorin) den Raum durchquert. In seiner soliden Beschaffenheit scheint er den Raum zu stützen, erst beim zweiten Blick fallen die feinen Linien auf der Oberfläche auf. Ist das etwa? Schneider nickt. MDF-Platten. Holz. Auch hier wieder ein Verwirrspiel, eine vermeintliche Stärke, die überzeugend täuscht, weil sie so hervorragend exakt konzipiert ist. 



Ja, passt: Andreas Schneider neben seinem «Träger».

Ja, passt: Andreas Schneider neben seinem «Träger». (Bild: Hansjörg Walter)

Kuratorin Marina Huonker erhielt von Gisèle Linder eine Carte Blanche und wollte unbedingt mit Schneider zusammenarbeiten. «Mir war bewusst, dass das ein nicht ganz einfaches Unterfangen wird», meint sie lachend. Sie stellte seinen wuchtigen Skulpturen die Videoarbeiten Ursula Pallas gegenüber – ein mutiger Zug. Einmal schlecht platziert und die feinen Aufnahmen der Zürcherin würden in den Hintergrund gedrängt.

Also wählte Huonker für die Ausstellung starke, eigenständige Werke, unter anderem die grossformatige Arbeit «Black Flowers». In dieser Allegorie auf Revolutionen, die nach Blumen benannt sind, filmt Pallas Rosen, Dahlien und Nelken, die mit Nachdruck an eine Scheibe geworfen werden. Das Video ist so angelegt, dass es wie eine Reflektion des angrenzenden Fensters scheint. Auch hier wird überzeugend so getan als ob.




Diese feinen Gemeinsamkeiten sind die Stärke der Ausstellung, die Werke ergänzen sich als umgekehrte Idealvorstellungen, und als Reaktionen auf die Welt draussen, die kurz in ihrem gewohnten Lauf gestört wird, wenn der Koloss mal wieder nach draussen ragt. Palla und Schneider nutzen beide immer wieder Kippmomente – und bringen sich in dieser starken Kombinationsleistung stets wieder gegenseitig ins Lot.
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«Squeeze/Reversed Island», Galerie Gisèle Linder, Elisabethenstrasse 54, 4051 Basel.

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