Was vom Dorfe übrigblieb

Simon Baumann lebt seit 30 Jahren in Suberg, einem Kaff nahe Bern, und weiss von seinen Bewohnern nichts. Sein Dokufilm «Zum Beispiel Suberg» zeigt den Versuch, die Anonymität aufzutauen. Und wie wichtig es ist, die Dörfer wieder zu beleben.

Die Hecken sind hoch in Suberg. Simon Bauman zieht aus, sich trotzdem die Hände zu reichen. (Bild: zVg)

Simon Baumann lebt seit 30 Jahren in Suberg, einem Kaff nahe Bern, und weiss von seinen Bewohnern nichts. Sein Dokufilm «Zum Beispiel Suberg» zeigt den Versuch, die Anonymität aufzutauen. Und wie wichtig es ist, die Dörfer wieder zu beleben.

Suberg: eine mittlere Ortschaft im Schweizer Mittelland, 612 Einwohner, 475 Meter über dem Meer zwischen Biel und Bern im nebligen Lyssbachtal gelegen. Ein Dorf zum Durchfahren. Und doch passiert hier etwas, das uns alle angeht. Simon Baumanns neuer Dokumentarfilm «Zum Beispiel Suberg» berührt durch die sensible Schilderung eines grossen Problems: Der Entfremdung im dörflichen Leben.

«Man sagt, die Welt ist ein Dorf geworden. Nehmen wir an, dieses Dorf heisse zum Beispiel Suberg, dann kann man hier die ganze Welt sehen.» Aber wie Sie sehen, sehen Sie nichts. Kein Dorfleben, keine Gemeinschaft, kein Nachwuchs für den Männerchor. Die Einfamilienhäuser sind von mannshohen Hecken abgeschirmt, die Post schon vor Jahren geschlossen.

An der Heimat vorbeigelebt

Wo früher das Ortszentrum war, ist heute eine ferngesteuerte Bahnschranke. Eine Viertelstunde muss man manchmal warten, bis der Zug vorbeirauscht. Währenddessen bleiben die Autofenster geschlossen, man telefoniert lieber mit Helsinki als ein paar Worte mit dem Nachbarn zu wechseln. Ein Dorf als Metapher für die lokale Entfremdung einer globalisierten Welt.

Seit seiner Geburt vor 30 Jahren wohnt Simon Baumann in Suberg. Zusammen mit seiner Freundin macht er Dokumentarfilme, skypt an seinem Apple-Laptop, hört skandinavischen Pop und feiert mit seinen Freunden aus Berlin und Zürich. Mit seinen Dorfnachbarn hat er bisher nicht viel zu tun gehabt. Auch weil seine Eltern, das linke Politikerehepaar Baumann, nicht besonders beliebt im Dorf waren. Ein Leben lang hat er an seiner Heimat vorbei gelebt. Das will Simon jetzt ändern.

Er will mit seinen Nachbarn ins Gespräch kommen, Teil haben, sich ins Dorf integrieren. Aber das ist gar nicht so einfach. Schon deswegen, weil es keine festen Strukturen mehr gibt, die das Zusammenleben organisieren, keinen Ort, an dem man sich regelmäßig treffen, keinen Stammtisch, dem man sich anschliessen kann. Über Gartenzäune hinweg, an Küchentischen und in den Hallen der wenigen Großbetrieben, die geblieben sind, sucht Baumann nach dem verborgenen Dorfleben in Suberg, das sich einfach nicht zeigen will.

Er verteilt Nussgipfeli am Bahnübergang, legt Wäsche mit Einheimischen zusammen und tritt sogar dem Männerchor bei. Ein wirkliches Gemeinschaftsleben findet er nirgendwo. Dafür die Angst der Alten, bald völlig ohne Begegnungsorte leben zu müssen und den Widerwillen der Jungen gegen alles, was bünzlig ist und ihre selbstbestimmte Freiheit einschränken könnte.

Schwanengesang auf eine untergehende Welt

Wenn der grauhaarige Männerchor, die letzte Bastion des Gemeinschaftssinns, am Ende aus voller Kehle singt «Mein schönes Tal, mein Heimattal, wie lieblich bist Du» klingt das wie ein herzzerreissender Schwanengesang auf eine untergehende Welt. Simon Baumann, dessen Doku-Satire «Image Problem» letztes Jahr grosses Aufsehen erregte und ihm den Titel eines Schweizer Michael Moore einbrachte, geht dieses Mal deutlich weniger aggressiv, dafür einleuchtend lakonisch zu Werk. Auch wenn der feine Witz, die Ironie nicht zu kurz kommt.

Vor allem aber schildert Baumann mit grossem Einfühlungsvermögen und unangestrengter Ernsthaftigkeit die radikale Wende im Biorhythmus eines Dorfes. Noch leben einige, die davon erzählen können, wie bei Erntedankfesten getanzt und am Sonntag gemeinsam der Dorfplatz gefegt wurde, noch gibt es tapfere Versuche, das Gemeinschaftsgefühl mit einem Bio-Lädeli wiederzubeleben, aber wenn sich nicht das kollektive Bewusstsein radikal wandelt, dann wird Suberg in absehbarer Zeit so anonym werden, wie die Grossstädte dieser Welt es schon lange sind.

Baumanns autobiographischer Zugang überzeugt und spricht uns an: Denn hinter der Sentimentalität eines illo tempore kommt deutlich ein dringender Appell zum Vorschein: Die Gemeinschaft in Dorf und Nachbarschaft ist ein grosses Gut. Wer sie leichtfertig verspielt, verliert Lebensqualität und Nähe. «Zum Beispiel Suberg» ist ein wundervoll sanfter und gleichzeitig tief beunruhigender Film über eine Welt, die längst aus den Fugen geraten ist. Wir alle sind dafür mitverantwortlich, und deshalb ist Suberg wirklich die ganze Welt.


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«Zum Beispiel Suberg» läuft im Kult-Kino Camera.

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