Wenn ein Mensch langsam verschwindet

Thom Luz bringt Max Frischs karge Erzählung «Der Mensch erscheint im Holozän» auf die Bühne. Ein idealer Stoff für den Spezialisten für geisterhafte Zwischenwelten.

Herr Geiser (Ulrich Matthes – rechts oben) setzt sich von der Welt ab.

Am Schluss entschwindet das Wesen, ein alter, einsamer Mann mit Namen Geiser. Zur heranschleichenden Demenz kam ein Schlaganfall hinzu. Alleine sitzt er in seinem abgelegenen Haus im Tessiner Onsernonetal, das er wegen eines Unwetters lange nicht verlassen konnte. Hilfe oder Besuch der Leute aus dem Dorf wehrt er ab.

Auf der Bühne des Basler Schauspielhauses senkt sich ein Gaze-Vorhang nach dem anderen, die Silhouette des Mannes wird immer unschärfer, bis der eigentliche Theatervorhang das Bild ganz löscht.

Über den Verfall des menschlichen Lebens

Herr Geiser ist der Protagonist aus Max Frischs Erzählung «Der Mensch erscheint im Holozän» aus dem Jahr 1979. Es ist ein sperriger und vor allem sehr karger Text, eine Parabel über den Verfall des menschlichen Lebens durch den Verlust des Gedächtnisses. «Die Gesteine brauchen sein Gedächtnis nicht», resümiert der Erzähler, der von aussen her die Position Geisers einnimmt.

Ist das ein Text für die Bühne? Daran könnte man mit Fug und Recht zweifeln, wenn sich nicht Thom Luz mit seinem Dramaturgen David Heiligers der Sache angenommen hätte – zuerst am Deutschen Theater Berlin, jetzt am Theater Basel. Der Basler Hausregisseur hat sich einen Namen gemacht als Spezialist für geheimnisvoll-geisterhafte Zwischenwelten. Und in seiner Bearbeitung und Inszenierung wird die karge, in sich gekehrte Erzählung zum bilderreichen Bühnenereignis mit stupend eingesetzter Musik.

Die beiden Pianisten Leonhard Dering und Daniele Pintaudi pendeln zwischen den vielen Klavieren auf der Bühne hin und her. Sie spielen manchmal zusammen, wechseln sich in den gleichen Musikstücken ab oder spielen, wenn es dem Gedächtniszerfall des Protagonisten entspricht, gegeneinander an. 

Einnehmender Bilderreigen mit Musik

Nebelmaschinen sorgen für diffuse Bilderwelten, in denen skurrile Nebenfiguren auftauchen, singen und wieder abgehen. Ein computergesteuerter Scheinwerfer zaubert, mehrfach gespiegelt, Lichtkeile durch die Bühne.

Im Zentrum steht der Berliner Schauspielstar Ulrich Matthes in der Rolle des Herrn Geiser. Sein Auftritt ist still und sehr zurückhaltend. Aber die Bühnenpräsenz des Schauspielers ist so stark, dass man sogleich von seinem Auftreten gefesselt ist und bis zum Schluss des Abends bleibt.

Luz und seinem Ensemble gelingt das kleine Wunder, die Bühnenadaption von «Der Mensch erscheint im Holozän» in einen kontemplativen, melancholisch-witzigen und zugleich äusserst berührenden sowie spannungsgeladenen Bilderreigen zu verpacken. Anderthalb Stunden Theater, die nachhallen.

Wer einen Höreindruck der Bühnenadaption haben möchte: Radio SRF hat das Projekt als Hörspiel produziert:

https://www.srf.ch/sendungen/hoerspiel/premiere-der-mensch-erscheint-im-holozaen-von-max-frisch-2

Theater Basel: «Der Mensch erscheint im Holozän» von Thom Luz und David Heiligers nach Max Frisch. Die nächsten Vorstellungen: 6. und 7. Oktober sowie im November.

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