In seinem neuesten Roman «Wenn das Schlachten vorbei ist» lässt T. C. Boyle Tierrechtler gegen Umweltschützer antreten. Gekämpft wird mit harten Bandagen.
Kalifornien wurde auf alten Karten oft als Insel eingezeichnet. Ein Missverständnis der Europäer, welche das heutige Niederkalifornien durch den Golf von Kalifornien vom Festland abgetrennt sahen. Vom ökologischen Standpunkt her zumindest hatten die Kartenzeichner recht: Auf der heutigen mexikanischen Halbinsel bis hinauf nach Los Angeles, abgeschirmt durch den Ozean und die grossen Wüsten im Hinterland, konnte man damals unzählige Pflanzen und Tiere entdecken, die es sonst nirgends gab. Bis der Mensch kam und mit ihm seine Strategien zur Ausbeutung.
Ratten rotten Vogelarten aus
Nur wenig nördlich der Megacity Los Angeles liegen vor der Küste zahlreiche Inseln verstreut – die Kanalinseln, auf denen sich rund 2000 Pflanzen- und Tierarten vorfinden – viele davon existieren nur hier, der Zwerggraufuchs etwa. Vor einer dieser Inseln, Anacapa, sank im Jahr 1853 ein Dampfer namens Winfield Scott. Vom Wrack aus sollen Ratten das Eiland erreicht haben, was verheerende Konsequenzen für das dortige Ökosystem nach sich zog. Sie vermehrten sich rasend schnell und frassen alles, was ihnen vor die Schnauze lief. Ganze Vogelarten wurden ausgerottet. 2001 griff der amerikanische Staat ein und liess die Nagetiere in einer gross angelegten Tablettenaktion vergiften, um das Ökosystem wieder zu stabilisieren, die natürliche Harmonie wieder herzustellen und zu retten, was noch zu retten war.
Hier setzt der neue, dreizehnte Roman von T. Coraghessan Boyle ein. «When the Killing’s Done». Ab Februar wird er auf Deutsch vorliegen. Zwei Menschen prallen aufeinander: Da ist einerseits Alma Boyd Takesue, Biologin beim National Park Service, die den Auftrag zur Ausrottung der Ratten erhält; eine überkontrollierte, leicht neurotische Frau. Ihr Kontrahent ist Dave LaJoy, Vegetarier und Tierrechtler, dessen Nachname («die Freude») ein böser Witz ist. Seinen Standpunkt macht er Alma Boyd Takesue nach wenigen Seiten klar: «Wie können Sie davon sprechen, höflich zu sein, wenn unschuldige Tiere zu Tode gequält werden? Höflich? Ich werde höflich sein, wenn das Schlachten ein Ende hat.»
Unnötig zu sagen, dass das Schlachten niemals ein Ende haben wird. Die Natur ist so mordlustig wie die Menschen, und das wird sich kaum ändern. T. C. Boyle ist sich bewusst, dass der Mensch gerne Krieg führt. Selbst die einsamen Kanalinseln vor der pittoresken kalifornischen Küste werden bei ihm zum Kriegsschauplatz. Mensch gegen Ratten, Ratten gegen Vögel, Wildschwein gegen Pflanze, Mensch gegen Wildschwein. Doch es gibt in Boyles Roman kein richtig oder falsch, kein eindeutig gut oder eindeutig böse. Boyle predigt nicht. Nie. Immer geht es ihm um Standpunkte, um Argumente. Und doch zwingt er den Leser dazu, Stellung zu beziehen – wenn auch nur sich selbst gegenüber. Dass die einmal gefasste Meinung plötzlich kippen kann, ist ebenfalls Programm.
Die Menschheit ist im Dilemma
Boyd Takesue glaubt an die Forschung. Daran, dass das Heil in der Kontrolle liegt, in der Wissenschaft. LaJoy, der Tierfreund und Menschenfeind, ist überzeugt, dass das Eingreifen des Menschen mehr schadet als guttut. Beide argumentieren leidenschaftlich – und überzeugend. Der Tierrechtsaktivist verabscheut die für die Tiere schmerzhaften menschlichen Lösungen. Seine Meinung: Lass die Tiere in Ruhe, töte nichts. Der Mensch hat bereits genug Schaden angerichtet. Aber sollen die vom Menschen eingeführten Wildschweine auf der Insel Santa Cruz deshalb die raren Zwergfüchse ausrotten? Soll der Mensch sich vor seiner Verantwortung drücken?
Die komplexen Fragen, die Boyle mit seinem Roman behandelt, beschränken sich natürlich nicht auf Kalifornien. Vor diesem Dilemma steht die Menschheit weltweit. Boyle hat aus dem Konflikt nur eine Episode rausgepickt und zu einer fiktiven Geschichte verstrickt. Das tut er in altbekannter, meisterhafter Manier, wenn auch mit weit weniger Satire als in seinen frühen Werken. Nur an wenigen Stellen schimmert sein tiefschwarzer Humor noch durch. Die Charaktere sind fein säuberlich ausgearbeitet, der an historischen Fakten entlang gezogene fiktive Plot steigert sich stetig auf der Jagd nach dem Höhepunkt.
Am Ende wird klar: Boyles Roman ist eine Parabel über den Kreislauf des Lebens. Über die Evolution. Über Herrschaftsgebaren. Über an Fanatismus grenzende Überzeugungen und über Irrtümer, die am Wegrand lauern. Es ist kein Buch über Recht oder Gerechtigkeit. Hier gibt es keine Ruhe, keinen Frieden. Die Natur sucht ihren eigenen Weg und sie findet ihn, ohne Rücksicht. Alles ist in Bewegung. Alles ist flüchtig. Und das Schlachten wird weitergehen.
> T. C. Boyle: «Wenn das Schlachten vorbei ist». Hanser Verlag. Erscheint am 6. Februar.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 20/01/12