Der deutsche Kultregisseur Klaus Lemke braucht schleunigst Geld, um in der Karibik einen neuen Film zu drehen. Die Autorin soll dann auch gleich mit.
Sonniger Nachmittag im Münchensteiner Wald, der Autorin ist grad in den Sinn gekommen, dass sie noch einen Interviewtermin vereinbaren sollte. Sie tippt eine deutsche Mobilnummer in ihr Smartphone. Es klingelt lange.
«Lemke.»
«Klaus Lemke, hier ist Naomi Gregoris von der TagesWoche.»
«Süsse! Nenn mich Klaus.»
Klaus Lemke, Bad Boy des deutschen Films, Wild Child der Münchner 60er-Jahre, man könnte sagen: Kultregisseur, wenn «Kult» nicht so abgespackt klingen würde, denn abgespackt ist der 75-Jährige mit der Schiebermütze und den heissen Frauen keinesfalls. Seit 50 Jahren macht Lemke Filme «gegen das Establishment», rotzige deutsche Szenefilme, in denen kein Blatt vor den Mund genommen wird. Das gilt auch für den Regisseur selbst: Klaus Lemke ist bekannt für seine Hasstiraden auf den deutschen Film, das «feudalistische Staatskino», wie er es nennt. Dagegen stemmt er sich seit seinen Anfängen mit der «Neuen Münchner Gruppe», die am Bildrausch Filmfest Thema sein wird. Aber jetzt ist erst mal Lemke Thema – und unsere Verbindung.
«Kannst du mich hören, Klaus?»
«Baby, du hast ne Bombenstimme.»
«Haha, ja. Danke. Hör mal, ich ruf an wegen des Interviews.»
«Ich hör das sofort, ich hör immer auf die Stimme eines Menschen. Und du hast eine Wahnsinnsstimme. Wow. Du hast mich lange warten lassen, Süsse.»
«Ich war über Pfingsten weg und dann …»
«Kein Problem, so hatte ich Zeit, mir zu überlegen, was ich dir sagen will.»
«Du hast das Gespräch schon fixfertig vorbereitet, hm?»
«Aber klar doch Baby, ich brauch doch was, um dich zu beeindrucken.»
«Wann hast du Zeit?»
«Morgen. Je früher desto besser.»
«11 Uhr?»
«11 Uhr ist gut. Sind das Vögel?»
«Ich bin grad im Wald.»
«Im Wald? Das wird ja immer besser.»
«Also morgen um 11 Uhr?»
«Morgen, 11 Uhr. Ich freu mich auf dich. Geh nicht verloren, ja?»
«Ich geb mir Mühe.»
«Das wäre zu schade.»
Nächster Tag, 11 Uhr vormittags, Klaus geht sofort ran.
«Klaus.»
«Süsse!»
«Hallo Klaus, na?»
«Deine Stimme hat mich noch lange begleitet. Ich hab viel über unser Gespräch nachgedacht, Baby. Hast du meine Fotos gekriegt? Geil, oder?»
Am Abend zuvor hat Klaus Lemke noch ein paar Fotos geschickt – Absender: Gast@copyoase.com. Aus dem Internetcafé um die Ecke. Den Rest erledigt er per Handy:
«Komisch, anstrengend, geil» passt auch zu den Fotos, die in der E-Mail stecken. Klaus Lemke mit heissen Bräuten, Klaus Lemke mit Manifest, Klaus Lemke, wie ihn seine Fans lieben: Jemand, der macht und sagt, was er will, kompromiss- und schonungslos. Und jemand, der mir jetzt am Telefon eine Knaller-Geschichte verspricht.
«Also, pass auf: Ich habe vor Jahren einen Film gedreht, der hiess «Last Minute Jamaica». Da geht es um zwei Praktikantinnen, die Last Minute Jamaika buchen, weil sie kein Geld haben und weil sie endlich mal so richtig … durchgepowert werden wollen.»
«Durchgepowert?»
«Durchgepowert, ja. Jamaika ist das einzige Land, wo sowas heute noch geht. Diese Praktikantinnen aber stellen sich dermassen doof an, dass sie keinen einzigen Schwarzen abkriegen, der sie mal durchballert. Und dann fallen sie kurz vor Schluss übereinander her.»
«Ein Erfolgsmodell.»
«Die Geschichte ist noch nicht zu Ende, also pass auf: Am Schluss schwören sich die beiden im Flugzeug, dass nie jemand davon erfahren darf. Und genau so ging es mir in Acapulco, als ich zusammen mit Martin Müller, Max Zihlmann und Niklaus Schilling meinen ersten Film («48 Stunden bis Acapulco») drehte: Im Auge des Tsunami, mitten in der Drogenhauptstadt wollten wir an Drogen rankommen, aber die Leute haben uns nichts gegeben, weil wir uns so bescheuert angestellt haben.»
«Und dann?»
«Na, dann haben wir diesen Film gedreht, obwohl wirklich keiner von uns auch nur die geringste Ahnung hatte, wie man sowas macht. Wir wussten nichts!»
Kultfilm: Lemkes «48 Stunden bis Acapulco».
«Wieso musstet ihr denn stattdessen einen Film machen? Ihr hättet doch einfach wieder nach Hause fahren können.»
«Nein, Baby, wir wollten doch alle in diese Welt, nicht in den Ostblock, wie damals die Gruppe 47, sondern nach Amerika. Wir waren gierig auf diese fiese Authentizität, auf diese Filme, wir haben uns vollkommen da reingebeamt. Wir wollten das, wir waren Zelluloid, Baby. Aus dieser Situation heraus entstand «Acapulco» und damit ein Jailbreak für den deutschen Film. Was er heute noch ist, er ist heute noch ein Jail–»
«Aber wie genau …»
«Pass auf Baby, lass mich weiterreden. Ich hab Zeit gehabt, mich da vorzubereiten.»
«Okay, schiess los.»
«‹Acapulco› ist die Befreiung von 50 Jahren deutschem Film unter der Diktatur der Theaterlogik und deren Narrative. Baby, das sind grosse Sätze, die aber tausendfach stimmen. ‹Acapulco› war endlich modernes Kino, das seine Logik aus sich selbst schöpfte.»
«Das seine Logik aus sich selbst schöpfte?»
«Genau. Der moderne Film nimmt die Logik nicht wie das Theater aus der Geschichte, sondern aus dem Film selbst. Er entwickelt seine Logik aus sich selbst, mit der geballten Irrationalität der 60er-Jahre. Im modernen Film lässt man die Welt, die man filmt, noch etwas unerklärbarer zurück, als man sie vorfindet.»
«Sehr schön gesagt.»
«Baby – das ist der Punkt: Film ist kein Kreuzworträtsel, wo am Schluss alles zusammenpasst. Und genau so funktioniert auch ‹Acapulco›: Der Film versucht dem subjektiven Empfinden der Figuren so nah wie möglich zu kommen und nicht irgendeinem Plot. Dem Zuschauer wird also das Gefühl injiziert, wie es sich auf Vollgas ausserhalb der Legalität anfühlt. ‹Acapulco› hat das als erster Film gemacht. Und jetzt kommt das letzte Ding …»
Blätterrascheln.
«Hast du dir etwa alles aufgeschrieben?»
«Selbstverständlich, Baby. Also, pass auf. Sieben Jahre später überzeugt Alexander Kluge den damaligen deutschen Kulturminister, Film zum Kulturgut zu erklären und durch Steuergelder zu subventionieren.»
«Grober Fehler?»
«De facto gröbster Fehler. Ab da hat der Staat seine schmutzigen Finger im Film und es gibt keinen freien Filmmarkt mehr in Deutschland. Der deutsche Film ist zu Tode subventioniert! Vollkommen im Arsch, wie das deutsche Theater. Und jetzt der letzte Satz, den ich noch aufgeschrieben habe: Seitdem sind zwei von drei deutschen Filmen pure S-e-l-b-s-t-b-e-s-t-r-a-f-u-n-g der Macher für das E-i-n-v-e-r-s-t-ä-n-d-n-i-s mit einem Förderungssystem, das ein F-u-s-s-t-r-i-t-t für jede Kreativität ist. Wir in Deutschland bauen die geilsten Autos, haben die –»
« – schönsten Frauen –» (Haben wir das nicht schon irgendwo gehört?)
« – die schönsten Frauen, aber unsere Filme sind wie Grabsteine. Banal, begütigt, käuflich, selber schuld. Euromüll. Sie klingen so, als würde die Hausordnung einer Justizvollzugsanstalt vorgelesen. So. Mit dem Satz kommst du in den ‹Spiegel›.»
«Den Satz kenn ich glaub schon vom ‹Spiegel›.»
«Der wurde so noch nie gesagt!»
«Hast du keine Hoffnung in die nächste Generation?»
«Doch, es gibt Hoffnung, den Film «Wild» von Nicolette Krebitz zum Beispiel oder «Kaptn Oskar» von den Lass-Brüdern und natürlich Dominik Grafs «Verfluchte Liebe deutscher Film». Da ändert sich grad einiges. Wir reden jetzt zu einem Zeitpunkt, wo der deutsche Film total im Umbruch ist. Zum Glück, denn wir Deutschen bestehen immer noch darauf, dass Kino ein Kulturgut ist, nicht so wie in Amerika, wo Film eine Dienstleistung ist und der Staat gefälligst seine dreckigen Finger davon lassen soll. Deswegen gibt es in Amerika auch nicht dieses Scheisskino wie in Europa.»
«Was muss ein richtig guter Film haben?»
«Er muss die Emotionen strapazieren bis zum Exzess. Das Wichtigste ist nämlich nicht, was ein Film hat, sondern was er anstellt. Deshalb lernt man an den hiesigen Filmschulen auch nichts. Da wird gelehrt, wie man eine Kamera bewegt, nicht aber wie man den Zuschauer bewegt. Dabei geht es um genau das.»
«Baby, das sind grosse Sätze»: Klaus Lemkes Hamburger Manifest.
«Wieso bist du eigentlich nie nach Amerika gezogen?»
«Wegen der Sprache. Sprache ist was ungeheuer Wichtiges. Stimme genauso. Dicke Titten lösen was aus, natürlich, aber richtig was bewegen kann einzig die Stimme. Ich spreche nicht genug gut englisch, also bleib ich in Deutschland.»
«Und machst deutschsprachige Filme ohne Fördergelder (jeder Involvierte kriegt beim Dreh von Lemke immer genau 50 Euro am Tag), die dann aber doch im Nachtprogramm des ZDF ausgestrahlt werden.»
«Genau, und jetzt kommen wir zum Punkt: Ich habe ein Projekt in der Karibik, «Le Crit» heisst der Film. Es soll um einen deutschen Steuerflüchtling auf den Bahamas gehen, der von den Locals für einen Voodoo-Gott gehalten wird. Lars Eidinger hat schon zugesagt. Dazu brauchen wir jetzt aber noch drei Millionen Franken – und jetzt pass auf: Du wirst diesen Artikel veröffentlichen und darin schreiben, dass ich einen Milliardär suche, der dieses Geld springen lässt.»
«Ah, jetzt sehe ich langsam, wo das alles hinführen soll. Du wolltest dieses Interview nur aus einem Grund führen.»
«Natürlich nicht, Baby, aber dieses Gespräch hat doch nur einen Sinn, wenn wir ein gemeinsames Abenteuer haben, und dieses Abenteuer haben wir jetzt.»
«Alles klar.»
«Und ich habe deine Stimme gehört und wusste, du bist die richtige Person dafür. Das wird jemand lesen und er wird es kapieren, und dann wirst du ihn überzeugen, und wir sind reich.»
«Na, hoffentlich.»
«Und dann schreibst du ein Buch über «Le Crit», das ein Bestseller wird, weil der Film ein Bestseller wird. Und alle Redaktionen Deutschlands schreiben darüber, weil ich immer gut wegkomme bei den deutschen Zeitungen.»
«Naja, manchmal sind diese Artikel etwas anbiedernd.»
«Ne, das ist pures Interesse, das da raussprudelt.»
«Du wickelst sie um den Finger.»
«Die Filme tuns! Das ist ein anderes Narrativ! Und dasselbe gilt übrigens für deinen Bestseller. Schau mal, das ist doch die geilste Geschichte: Da ruft mich dieser Lemke an und erzählt mir, dass wir jetzt drei Millionen verdienen werden. Und jetzt bin ich grad in Port au Prince auf Haiti beim Dreh in der Sonne.»
«Geil.»
«Geil! Und wir kriegen diese drei Millionen, ich sags dir. Und er kriegt die Sicherheit, dass der Film eine Bombe wird. Und alle meine Filmrechte dazu. Das kannst du so schreiben: Er kriegt alle meine Filmrechte.»
«Sehr gut. Finden wir einen reichen Investor.»
«Nein, einen Verrückten!»
«Das werd ich so schreiben.»
«Der gelangweilt in seiner Villa in Neuchâtel sitzt. Ja, du kannst es genau so schreiben, du kannst jeden Satz benutzen, du musst nichts verfeinern, das meine ich alles ernst.»
«Wir versuchen also jetzt, diesen grosszügigen Milliardär zu finden.»
«Stell dir vor, das klappt jetzt!»
«Das wär echt crazy.»
«Es wär super crazy! Baby, ich würds nicht machen, wenn ich nicht daran glauben würde. Wenn ich gestern nicht dank deiner Stimme diese Fantasie gehabt hätte, wie du mit in die Karibik kommst und ein geiles Buch über «Le Crit» schreibst. Ich schick dir gleich zwei Seiten zum Projekt. Zwei fantastische Seiten.»
«Von der Copy-Oase aus.»
«Von der Copy-Oase aus. Kein Spam. Süsse, es war mir eine Freude. Das wird ein grosses Abenteuer.»
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«Zur Sache Schätzchen. Filmschaffende der Neuen Münchner Gruppe im Gespräch», Bildrausch Filmfest Basel, 25.–29. Mai 2016.