Wie die Franzosen ihre Filme besser fördern

Die Filmtage in Solothurn, die grosse Werkschau unseres Landes, geht zu Ende. Filmemacher beschäftigt jetzt die Frage, wie sie ihr nächstes Werk finanzieren können. Ein Vergleich mit der Förderung in Frankreich zeigt, wie man das nationale Filmschaffen auch unterstützen könnte.

Filmvorführung in der "Reithalle" am Filmfestival Solothurn (Archiv) (Bild: sda)

Die Filmtage in Solothurn gehen zu Ende, nach der Werkschau ist vor dem nächsten Schweizer Film. Doch viele Bären streiten sich um den kleinen Honigtopf, für einheimische Filmemacher ist es schwierig, das nächste Werk zu budgetieren. Der Vergleich mit der Filmnation Frankreich zeigt, dass Filme dort anders – aus kulturellen und aus wirtschaftlichen Gründen gefördert werden.

Die 48. Filmtage Solothurn gehen zu Ende. Bis die Filmemacher wieder Neues aus der Schweiz zeigen können, versuchen sie das Geld aufzutreiben, das für Filmproduktionen benötigt wird. Hört man sich in Solothurn ein wenig um, wird rasch klar: Es ist für Schweizer FilmemacherInnen immer schwierig, Filme zu budgetieren. Streiten sich zu viele Problembären um den kleinen Honigtopf? Und warum wächst in anderen Ländern die Filmindustrie – zum Beispiel in Frankreich, das immerhin die grösste Filmindustrie Europas aufweist?

Frankreich betreibt Förderung eines Industriestandorts

Frankreich unterstützt die Filmindustrie aus kulturellen und wirtschaftlichen Gründen. Allerdings unterstützt der Staat nicht wie in Deutschland und der Schweiz mit direkten Hilfen, sondern eher durch die Gewährung von Steuervorteilen und günstigen Kreditzugangsmöglichkeiten sowie mittels Exportbeihilfen. In Frankreich gibt es auch ein verpflichtendes Regelwerk und Produktionsvereinbarungen mit Fernsehanstalten (etwa mit Vorschriften, wie viele Schauspieler aus dem fördernden Land sein müssen, etc.). Frankreich betreibt mit anderen Worten Förderung eines Industriestandorts. 

Die französische Filmförderung unterscheidet sich damit weitgehend von jener anderer Länder. Die finanzielle Unterstützung der Filmbranche erfolgt hauptsächlich über verpflichtende Abgaben der Filmeverwerter, das heisst der Kinos, über Abgaben der Fernsehsender oder auch Videoproduzenten. Das Fundament dieser Förderung wurde bereits 1946 mit der Gründung des Centre national de Cinématographie (CNC) und 1948 mit der Einführung einer generellen Abgabe auf Kinokarten gelegt.

Hierbei werden von den Einnahmen aus Kinokarten im Schnitt 11 Prozent des Eintrittpreises direkt zur Filmförderung abgeführt. Auch die Besucher amerikanischer Filme (60% der gesamten Eintritte) tragen zur Finanzierung der französischen und franko-europäischen Filmkoproduktionen bei. Fernsehbetreiber haben zudem eine Abgabe zu leisten, die zu einem Drittel der Filmproduktion zugute kommt (5,5% des Umsatzes der TV-Kanäle). Und aus der Abgabe auf Video- und Multimediaprodukte fliessen 85% in Filmproduktionen.

Steuerbegünstigungen für Filmproduzenten

Nicht zuletzt gibt es in Frankreich eine Gesetzgebung, die die Technikerinnen und Arbeiterinnen gemäss ihren speziellen Arbeitsbedingungen auch schützt und versichert. Aber auch auf der Vertriebsseite wird die Filmindustrie unterstützt: Die nationalen Fernsehkanäle werden verpflichtet, französische (und europäische) Produktionen im Vorwege durch den Rechteankauf oder durch Koproduktionen zu unterstützen.

Ausserdem gibt es für Investoren und Produzenten Steuerbegünstigungen, letztere erhalten ausserdem Vorzugskonditionen und Vorschüsse auf Verträge und zu erwartende Hilfen. Das ganze stützt sich auf ein System von Kreditvergabe und Bankgarantien. Seit 2009 gewährt Frankreich auch internationalen Filmen ausländischer Provenienz Steuervorteile, sobald ein Teil der Produktion in Frankreich stattfindet. Die finanzielle Unterstützung der Produktionen wird durch regionale und europäische Filmfonds abgerundet, die zwar in der Summe nur begrenzte Mittel zur Verfügung stellen, aber oft entscheidend für die Finanzplanung sind.

Eine weitere Komponente zur Unterstützung der Produktion ist das staatliche Regelwerk zur Gewährleistung der kulturellen Vielfalt. Dazu zählen die staatlich festgelegten Ausstrahlungsquoten von französischen und europäischen TV-Produktionen. Seit 1992 verlangt das französische Gesetz, dass 60% der gezeigten Filme aus europäischer und davon 40% aus französischer Produktion kommen müssen.

Franzosen wenden sich von Hollywood ab und eigenem Filmschaffen zu

Die Förderpolitik hat in Frankreich dazu geführt, dass der einheimische Film Marktanteile gewonnen hat. 2003 lag der Anteil der einheimischen Filme noch bei 34,9%. 2012 war dieser auf über 40% angewachsen. Rückläufig waren hingegen amerikanische Produktionen (von 52,2% auf 45,6%). Auch Filme aus anderen europäischen Staaten gewannen auf dem französischen Markt leicht hinzu. Allein 2012 kamen 293 französische Filme auf den Markt, davon 167 mit Unterstützung des CNC.

Insgesamt hat das französische Modell dazu geführt, dass in Frankreich eine nennenswerte Filmindustrie erhalten werden konnte, die über Kooperationen auch dem europäischen Film wichtige Impulse gibt. Hierzu tragen die gesicherte Finanzierungsstruktur und die Fähigkeit bei, sich ständig den Gegebenheiten eines sich schnell verändernden Marktes anzupassen, so das CNC in seinem Jahresbericht 2011. Der Umsatz der gesamten französischen Filmbranche lag 2009 bei rund 10,5 Milliarden Euro, der Sektor beschäftigt fast 39’000 Menschen.

Konflikte mit den Förderkritieren anderer Länder

Eine vergleichbare Erhebung für die Schweiz gibt es nicht. Die meisten grossen (sprich: teuren) Schweizer Filme kommen nicht ohne Förderung aus, noch weniger mit der Zusatzförderung aus einem der umliegenden Länder. Koproduktionen sind zur Regel geworden, das heisst, auch Reibungen mit anderen Förderungssystemen.

Für Förderungsbezüger in Deutschland bedeutet dies zum Beispiel: Die Regionalförderung Baden-Württemberg gibt der Produktion Geld, das in der Region selber auch wieder ausgegeben werden muss. Förderungsanträge in Deutschland sind auch deshalb viel bürokratischer, weil dort die Filmförderung als Wirtschaftsförderung gesehen wird. Kultur schadet nicht, aber wirtschaftlich muss es sein.

Andere deutsche Länder gehen noch weiter: Sie verlangen auch, dass ein Mehrfaches der Fördergelder im eigenen Land ausgeben wird. (Man darf sich also nicht wundern, wenn man in vielen Filmen unmotivierte Schwenks über Landschaften und Dorfidyllen sieht). Ähnlich sieht man das bei der Filmförderung in Zürich. Wer Zürcher Geld kriegt, soll es auch in Zürich ausgeben.

Neben dem Bund gibt es in der Schweiz eine Reihe von Stiftungen, auch kantonale, die qualitativ die Filmproduktion fördern. Daneben existieren Nischentöpfe, etwa für spezielle Untertitelungen, Synchronisation in Landessprachen, etc. Auch für die Postproduktion, jenen Prozess, der nach dem Dreh des Films einsetzt, wenn Schnitt, Sound, Ton und Look des Films nachbearbeitet werden, sind Gelder vorhanden. Oft sind für Spielfilme die Förderungen durch Fernsehsender wie SRF ein letzter Garant dafür, dass der Film auch eine Fernsehverwertung erwarten darf. Noch besser, wenn man auch SWR, ARTE, TF1 oder RAI mit ins Boot holen kann.

Festivals als Austauschbörsen und Sprungbretter

Ebenfalls finden die Filme auf Festivals in der Schweiz ein immer zuverlässigeres Forum: Es gibt verschiedene, kantonal und eidgenössisch geförderte Festivals in Locarno, Solothurn, Fribourg, Nyon, Zürich, Winterthur. Sie alle sind zumindest Austauschbörsen, oft auch Sprungbretter und Schaufenster für die Industrie und werden von Swissfilms unterstützt, die auch Teilnahmen an internationalen Festivals ermöglichen. 

Trotzdem zögern alle Befragten, von einer Schweizer Filmindustrie zu sprechen. Zu viele Bären tanzen da um die vielsprachigen Honigtöpfe. Entsprechend gehen auch die Meinungen auseinander, wie die Schweiz sich die Industrie sichern könnte. Dort, wo die Zuschauerzahlen zurückgehen, wünscht man sich die Subvention von Kinos. Wo Technik teuer wird, wünscht man sich einen eidgenössischen Pool, wie ihn die Theaterleute regional schon kennen. Ausserdem ist allen klar, dass es für ein kleinregionales Land wie die Schweiz unmöglich ist, so wie Frankreich, protektionistisch zu arbeiten: Frankreich bleibt eben ein Spezialfall. Weitgehend auf Paris konzentriert, lebt dort die Community auf engstem Raum, in übersichtlichen Strukturen, und kann sich als Industriestandort verstehen. In der Schweiz bieten die diversen Sprachkulturen ganz andere Vorteile, verlangen aber auch andere Denkweisen.

Eine zentrale Rolle spielt hier immer wieder SRF, das ja als quasi subventionierte Institution nicht unterschätzt werden darf. Dort werden Filme – gemäss dem «pacte de l’audiovisuel», der Vereinbarung mit den Produzentenverbänden, nicht nur produziert, sondern, durch den Austausch unter den Landesteilen auch landesweit zugänglich gemacht, sprich: untertitelt oder synchronisiert.

Jeder 20. Besuch im Kino gilt einem Schweizer Film

Bloss an die Kinos denkt keiner? Doch. 800 000 Eintritte haben die Kinos 2011 verkauft. 5,3% davon können Schweizer Produktionen zugeordnet werden. Ein Teil der Einnahmen aus Schweizer Produktionen (nicht wie in Frankreich von der Gesamtproduktion) geht in den «Referenzmitteltopf», dort werden die Erfolgsförderungen verwaltet, die von den erzielten Eintritten abhängen. Diese Mittel werden aber nur zweckgebunden ausgeschüttet, das he,isst, sie müssen in ein nächstes Projekt investiert werden. Ihre Höhe ist abhängig von den Gesamtzuschauerzahlen, den Einnahmen etc. Die Kinos erhalten für Schweizer Filme ebenfalls einen Beitrag pro verkauftes Billet (immerhin gehen fast so viele Bundes-Gelder an die Kinos wie an die Produktionen. Für die Kultkinos in Basel bedeutete dies 2011:
59’ 003 Franken für 45 gezeigte Filme.) Der Verleiher kann bei Suisseimage auch eine Auswertungsförderung beantragen. Das soll den Anreiz erhöhen für die kleinen Regionen zu arbeiten.

Zodiac-Pictures, Dschoint-Ventschr, Vega-Film, C-Films, LookNow!, Hugo-Film etc. sind in der Zwischenzeit einige Firmen, die in Zürich als Player diese Industrie erfolgreich repräsentieren. Doch ist es deshalb schon eine Industrie? Es gibt zwar in der Tat viele hübsche Fördertöpfchen. Aber es gibt keine Sicherheiten, wie diese Industrie ihre Bedingungen aus eigener Kraft verbessern könnte. Kennt man Vorschläge der Economiesuisse für eine Branche, die jeden Abend Tausende von Kinogängerinnen in die Zentren lockt, die Swissness im Ausland wohl ebenso verkörpern könnte, wie manch eine andere Industrie? 

Der erfolgreichste Schweizer Film aus dem Jahr 2011, «Verdingbub» konnte 190 000 Zuschauer verzeichnen. Damit lag er in der Schweiz auf Platz 17 der Kinohitparade, hinter 16 ausländischen Produktionen. Das erinnert ein wenig an die diesjährige Lauberhorn-Abfahrt.

Richten wir den Blick noch kurz nach Basel: Hier war 2011 von der Einrichtung einer Filmstiftung die Rede. In der Zwischenzeit ist die Rede davon, dass man davon redet, darüber zu reden.

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