Steve McQueens Kinofilm «12 Years a Slave» ist keine leichte Kost. Aber notwendige. Und zurecht Anwärter auf zahlreiche Oscars.
Wer wissen will, wie man mit der Kamera ein Bild seziert, der sollte sich «12 Years a Slave» antun. Was Regisseur Steve McQueen mit seinem Werkzeug vollbringt, ist schlicht meisterhaft. Da ist das Papier, das in der Dunkelheit verbrennt, bis nur noch glühende Punkte sich auf der Leinwand einbrennen. Da sind die Geigensaiten, die überspannt werden und reissen. Da ist der Blick der Sklavin, der Flehen und Anklage zugleich bedeutet. Alles in Nächstaufnahme.
Da ist er, der Blick des Künstlers, sein Handwerk, das ihn von der grossen Menge der Regisseure abhebt. Steve McQueen, ausgezeichnet für seine Videokunst, ist mit seinem dritten Spielfilm definitiv in die Liga der ganz grossen Filmregisseure aufgestiegen. Den Golden Globe hat er bereits, doch nicht deswegen sagen wir es nun.
«12 Years a Slave» ist ein schonungsloser Film geworden. Die wahre Geschichte von Solomon Northup (brillant gespielt von Chiwetel Ejiofor), dem freien Schwarzen aus Saratoga, New York, der auf einer Reise in Washington gekidnappt und als Sklave in den Süden verkauft wird, würde ohne McQueens Kamera nicht dieselbe Kraft entfalten – so ungerecht und brutal die Geschichte in ihrer Wahrheit auch ist.
134 Minuten dauert der Film, McQueen beginnt mit starken Bildern – und wird von Minute zu Minute stärker und expliziter, solange, bis der Zuschauer an seine Grenze gebracht wird. Wenn kurz vor Ende Blut gischtartig vom Rücken einer Sklavin spritzt, als sie auf Geheiss des Plantagenbesitzers von Northup ausgepeitscht wird. Eine Szene, nicht für Zartbesaitete bestimmt.
134 Minuten dauert der Film, McQueen beginnt mit starken Bildern – und wird von Minute zu Minute stärker und expliziter, solange, bis der Zuschauer an seine Grenze gebracht wird.
Der letzte Film von Steve McQueen, «Shame», erzählte die Geschichte des Sexsüchtigen Brandon. Ebenfalls schonungslos. Doch die Figur Brandon kommt uns nicht nahe, sondern hält uns auf Distanz, stösst uns vielleicht sogar ab. McQueen verstärkte diesen Effekt mit einer kühlen, überzeichneten Ästhetik. «12 Years a Slave» nun spielt hauptsächlich in den Südstaaten der USA. In einer warmen, schwülen Atmosphäre. Der Film zeigt schöne Bilder, Sonnenuntergänge, Baumwollfelder, Mangrovenwälder. Schwülstig. Wo die Bilder nicht genügen, tut die Musik von Hans Zimmer den Rest.
Doch nur daran liegt es nicht, dass der Film uns erbarmunglos niederschlägt.
Tempo als Stilmittel
Er bilde nur ab, sagt Steve McQueen, wie die Autobiografie von Solomon Northup. Gehe ins Detail, wo nötig. Und so reiht der Film Detail an Detail, doch er ermüdet nicht. Das einzige, was variiert, ist das Tempo, in dem McQueen das Geschehen abbildet. Es ist sein vordergründigstes Stilmittel. Am Anfang geht alles rasch, zackzack. Das Rad des Dampfers, der Northup und andere Sklaven in den Süden bringt, gibt den Takt vor. Spätestens in jener Szene, als ein erzürnter Vorarbeiter Northup an einem Baum aufhängt, stoppt das Tempo. Northup hängt am Ast, nur die Zehenspitzen berühren den Boden, einen ganzen Tag lang, während das Leben um ihn herum einfach weitergeht.
Die Zeit, die vergeht in dieser Szene, gibt dem Zuschauer die Möglichkeit zu erfassen, was das Sklavendasein ausmachte: Gehorsam, keine Einmischung, nur Überleben. Und nicht, wie Northup noch zu Beginn sagt: «Ich will leben, nicht überleben.» Fürs Leben interessiert sich hier keiner, nicht einmal der weisse Plantagenbesitzer, der es geniessen könnte, der stattdessen sein Leben aber so sehr hasst, dass er andere für diesen Umstand quält.
Ein blasser Brad Pitt
Michael Fassbender spielt diesen Plantagenbesitzer, Edwin Epps, grossartig abstossend. In McQueens ersten beiden Filmen «Hunger» und «Shame» hatte der Ire die Hauptrolle, zwei körperbetonte Rollen, die ihn an seine Grenzen brachten. Die Rolle Epps’ ist zwar anders angelegt und im Endeffekt auch nur eine Nebenrolle – doch sie brennt sich ein. Ganz im Gegensatz dazu gibt Brad Pitt, der in einer kleineren Nebenrolle als Befreier Northups auftritt, eine sehr blasse Performance ab.
Bass, Pitts Charakter, ist die einzige Figur des Films, die sich für Sklaven einsetzt. Dafür erhält er ein paar wenige Sätze. Ansonsten bleibt die Debatte unangetastet, trotzdem wird sie nun in der Öffentlichkeit wieder geführt. Doch «12 Years a Slave» ist kein Film, der die unterschiedlichen damals herrschenden Meinungen diskutiert. Er fokussiert auf die Geschichte Northups, auf das Verhältnis von Plantagenbesitzern und Sklaven. Vielleicht bleibt Pitts Figur deshalb blass. Und vielleicht ist es das, was McQueen meint, wenn er sagt, er bilde nur ab.
Einen einzigen Schwachpunkt haben wir in diesem Film ausgemacht: McQueen mag über zwei Stunden gewisse Szenen explizit zeigen, andere wiederum nur andeuten und der Vorstellung der Zuschauer überlassen – diesen zweiten Weg hätte er am Ende besser gewählt und den Abspann fünf Minuten früher eingeblendet.
Den Gesamteindruck aber trübt dies nicht, der Film bleibt ein Muss. Nur schon der Kameraführung wegen.
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Der Film läuft ab dem 23.1.2014 in den Basler Kinos.