Wie mich Urs Widmer zum Leser machte

Es war mein erstes Buch, es war mein erster Urs Widmer-Roman – und «Im Kongo» hat mich verändert. Für immer. Ein Dankeschön zum 75. Geburtstag von Urs Widmer.

Happy Birthday: Der Autor Urs Widmer feiert am 21. Mai 2013 seinen 75. Geburtstag. (Bild: KEYSTONE, Ayse Yavas / Bearbeitung: Hans-Jörg Walter)

Es war mein erstes Buch, es war mein erster Urs Widmer-Roman – und «Im Kongo» hat mich verändert. Für immer. Ein Dankeschön zum 75. Geburtstag von Urs Widmer.

Die Leute reiben sich immer verwundert die Augen, wenn ich gestehe, dass ich erst mit 19 Jahren zu lesen begonnen habe. Klar, ich hab das eine oder andere Buch in der Sekundarschule durchgeblättert, wirklich angefangen zu lesen habe ich aber im KV – und das nicht ganz freiwillig. Für die kaufmännische Berufsmatur musste ich im Deutsch drei Bücher lesen. Meine zufällige Auswahl: «Sturmhöhe», «Im Kongo» und irgendein drittes Buch, das ich schon wieder vergessen habe.

Während ich «Sturmhöhe» zwar interessiert, aber wenig begeistert gelesen habe, hat mich «Im Kongo» nicht losgelassen. Die Geschichte des Alterspflegers Kuno, der in den Kongo reist und über Nacht schwarz wird (siehe Box), hat mich regelrecht gepackt. Ich wusste damals nicht, was es war: Die Verwebung von Zeitgeschichte (Erzählungen von Kunos Vater über seine Tätigkeiten während des Zweiten Weltkriegs)? Die Anlehnung an die politischen Geschehnisse im damaligen Zaïre? Die Bierbrauerei im Kongo? Die Wendungen in der Geschichte? Inzwischen ist mir klar: Es war die Mischung.

Urs Widmer, geboren 1938 in Basel, schreibt Romane, Essays, Theaterstücke und Hörspiele. Er studierte in Basel, Montpellier und Paris Germanistik, Romanistik und Geschichte. Er gewann zahlreiche Preise. Mehr zu seinem Schaffen auf seiner Verlagswebsite oder seinem Wikipedia-Eintrag. Empfehlenswert sind auch seine Interviews, hier eine Auswahl:

«Ein Darsteller des brüchigen Glücks» – in «Der Zeit».
«Es schreibt in mir» – Radiointerview auf BR.

«Glück gibt es ja auch auf Erden» – in «Die Welt».

Ich war fasziniert, wie Urs Widmer in seinem Roman eine Geschichte vorantreibt, gleichzeitig aber eine zweite und eine dritte erzählt. Wie er Beziehungen zwischen Söhnen und Vätern thematisiert, politisches Geschehen auch – und sich dennoch nicht davon abhält, unglaubliche Begebenheiten einzustricken. Der Protagonist wird über Nacht einfach schwarz. Zack. Man stockt vielleicht kurz an der Stelle, überlegt, was das soll, aber gleichzeitig zieht es einen weiter in die Geschichte, weil man nur noch wissen will, wie der Schriftsteller aus diesem Manöver bloss wieder rauskommt. Urs Widmer schafft es. Er schafft es, eine fantastische Geschichte so zu erzählen, als ob es wirklich die Geschichte eines Altenpflegers aus Zürich gewesen wäre. Ich war fasziniert.

Widmer hat ausserdem geschafft, was ich damals nicht mal geahnt hätte: Dass es möglich ist, mich zum Lesen zu verführen! Nach «Im Kongo» habe ich meinen Arbeitsweg nicht mehr zum Schlafen, Kreuzworträtsellösen oder Zeitunglesen gebraucht, sondern habe Bücher – Sie entschuldigen den Allgemeinplatz – verschlungen. Wie Kuno über Nacht schwarz wurde, bin ich – zack! –zum Leser geworden.

Inzwischen habe ich wohl alles von Urs Widmer gelesen, ihn bei Lesungen gehört. Ich habe entdeckt, dass die Mischung aus Fantasie, Zeitgeschichte und klassischem Roman typisch Widmer ist. Ich habe die Wendungen erwartet, die immer kommen – und mich doch bei jedem Buch weiter unterhalten gefühlt. Nicht alles gefiel mir wie «Im Kongo» – aber es spielt keine Rolle mehr. Kuno, der Kongo und die Brauerei mitten in Afrika hatten mich verändert. Für immer.

Dafür danke, lieber Urs Widmer – und alles Gute zum 75. Geburtstag.

«Im Kongo» erzählt die Geschicht des Altenpflegers Kuno, der eines Tages seinen eigenen Vater als Kunden erhält. Im Altersheim kommen die beiden endlich dazu sich zu unterhalten. Der Sohn erfährt nicht nur die Karriere des Vaters beim Geheimdienst während des Zweiten Weltkrieges, sondern noch vielmehr, was die Beziehung zum Vater verändert. Gleichzeitig erinnert er sich an seinen Jugendfreud Willy, der im einst seine grosse Liebe (Sophie) ausspannte und sich in den Kongo verabschiedete, um eine Bierbrauerei zu übernehmen.

Der Brauerei-Eigentümer schickt kurz darauf Kuno auf die Suche nach Willy, weil er diesen vermisst glaubt. Im Kongo – beziehungsweise Zaïre – geschieht das unglaubliche: Kuno trifft Willy, aber der ist schwarz. Es entspinnt sich eine Geschichte mit Stammeshäuptlingen, Königstreffen, fantastischen Begegnungen auf dunklen Lichtungen – was als Roman beginnt, wird zum Märchen und entwickelt sich wieder zurück. Aber am besten lesen Sie das selbst:

Im Kongo, Diogenes Verlag, 224 Seiten, Erschienen im April 1998; ISBN 978-3-257-23010-9

 

Und welches ist Ihr Lieblingsbuch von Urs Widmer, weshalb? Schreiben Sie uns, direkt als Kommentar oder via community@tageswoche.ch. Wir freuen auf Ihre Offenbarungen;-)

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