Andreas Beck, der neue Direktor des Theater Basel, ist angekommen, um erst einmal «hier zu sein». Zusammen mit einem Team, das alte Stoffe von «hier aus» neu denkt und damit Bezug nimmt zu einem grossen Vorbild, welches das Theater in Basel einst zu einer der führenden Bühnen im deutschsprachigen Raum machte.
Herr Beck, viele Theater verbinden ihren Spielplan mit einem Motto, Sie haben keines …
… Doch: «Sie befinden sich hier.»
Dass ich mich hier befinde, weiss ich auch, ohne dass Sie mir das sagen.
Inhaltlich geht es um die Frage, was dieses «Hier» zu bedeuten hat. Das «Hier» impliziert immer, dass man weiss, wo man was denkt, und dass man weiss, dass man woanders anders denkt. Diese Dialektik hat eine Auswirkung auf das, was wir tun. Wir alle befanden uns bei der Vorbereitung unseres Spielplans noch auf dem Weg hierher in die Stadt. Das heisst, dass wir diesen Spielplan von verschiedenen Punkten Europas aus, aber auch von Australien her entwickelt und abgeleitet haben. In diesem «Sich auf Basel zu bewegen» war und ist die Frage, wo man sich befindet, ein ganz wichtiger Punkt. Wir überlegen uns als Menschen – in diesem Fall als Ankommende – zu selten, dass unser Denken nicht nur aus einem Befinden, sondern auch aus einer lokalen Verortung entspringt. Das Verständnis für das Andere, für den fremden Ort aufzubringen, ist etwas, was zusehends abnimmt. Also ist dieses «Sie befinden sich hier» und «Sie befinden sich gemeinsam mit anderen Menschen hier» und «Wir denken von hier aus über die Welt nach» eine wichtige Voraussetzung für das, was wir hier tun werden. Denn wenn man weiss, wo man sich befindet, dann hat man nicht nur einen Standpunkt, sondern auch das Bewusstsein, dass es auch andere Standpunkte gibt.
Ihr erster Spielplan enthält einige grosse klassische Stoffe der Antike. Sie sprechen von einem Antiken-Zyklus. Bezieht sich dieses «Sie befinden sich hier» auch auf ihr Prinzip, diese Texte neu zu denken, sie ins Hier und Jetzt zu übertragen?
Wir haben verschiedene Dramatikerinnen und Dramatiker aufgefordert, sich mit einem Mythos der Geschichte aus unserer Zeit heraus neu zu beschäftigen, ihn aus unserem Hier und Jetzt neu zu formulieren. So stellte sich heraus, dass wir über «Ödipus», «Antigone» oder die «Bacchen» neu nachdenken möchten, so wie dies der Autor Jonathan Littell mit seinem Roman «Die Wohlgesinnten» getan hat, der sich auf den letzten Teil der Orestie von Aischylos, «Die Eumeniden», bezieht. So fügten sich vier Teile zu diesem Antiken-Zyklus zusammen. Wir sind dabei nicht von den einzelnen Titeln ausgegangen, also nicht davon, dass wir unbedingt diesen oder jenen Klassiker zeigen möchten, das Ganze hat sich anhand der Themen ergeben.
Sie haben dies zu einem Prinzip erklärt, das Sie als «Basler Dramaturgie» bezeichnen. Weshalb «Basler Dramaturgie»?
Wir haben das Prinzip, den Goldschnitt des Klassikers zu überprüfen und alte Stoffe zu überschreiben, nicht hier und jetzt erfunden. «Basler Dramaturgie» nennen wir es deswegen, weil wir damit eine Methode aufgreifen, die Friedrich Dürrenmatt einst hier in Basel prägte.
Ich lese aus dem Spielplan eine Fokussierung auf grosse Stoffe und starke Inhalte heraus. Möchten Sie sich damit klar gegenüber einer postmodernen Beliebigkeit abgrenzen?
Wenn Sie das so sehen wollen, ist es gut. Ich sehe auch noch anderes darin: einen Aufbruch zum Beispiel. Ich sehe in der Neudichtung alter Stoffe auch eine Fortsetzung des Autorentheaters unter neuen Massgaben. Der Spielplan enthält viele grosse Themen, wie Sie richtig sagen, aber nicht nur grosse Titel wie zum Beispiel «Ödipus» und «Der Menschenfeind», die im Theater grosse Vorbilder und Vorläufer haben. «Die Bacchen» ist zum Beispiel kein Titel, den man als Selbstläufer bezeichnen kann, auch nicht «Edward II.» oder «Heuschrecken» von Biljana Srbljanović.
Wie Ihre Vorgänger sprechen Sie davon, dass Sie die Spartengrenzen aufweichen möchten. Sie haben gleichzeitig die Anzahl Produktionen im Schauspiel erhöht, während die Zahl der Opernproduktionen gleich geblieben ist. Ist es ganz falsch, wenn ich behaupten würde, dass das Schauspiel letztlich doch die Leitsparte in Basel ist?
Ja, es ist falsch. Die Oper wartet mit «Donnerstag» aus der «Licht»-Reihe von Stockhausen und mit Mussorgskis «Chowanschtschina» mit solch grossen Produktionen auf, dass man wirklich nicht vom Schauspiel als Leitsparte sprechen kann. Andere Häuser könnten gar nicht zwei solch grosse Produktionen in einer Spielzeit stemmen.