Was sagen Schulhausbauten über eine Stadtlandschaft aus? Ein Rundgang mit dem Architekten Ernst Spycher im anschaulichsten Exemplar Basels: dem Gymnasium Leonhard.
Für die meisten Leute ist eine Schule ein Funktionsobjekt: Man wird ausgebildet, geschult und entlassen – viele prägende Jahre seines Lebens verbringt man darin und kehrt später nie wieder zurück. Ausser man ist Pädagoge – oder wie Ernst Spycher fasziniert von Schulhausbauten.
Der Basler Architekt sieht in Schulhäusern mehr als Funktionsobjekte: Sie sind seine Leidenschaft, besonders die in Basel. Für Spycher sind Schulhäuser wichtige Gebäude, die Basels Stadtlandschaft prägen und die Stadt genauso formen wie Kirchen, Plätze oder Parks. Ein wichtiger Baustein der Basler Gesellschaft.
Spycher hat dazu kürzlich an der Bauhaus-Universität Weimar eine entsprechende Dissertation eingereicht: «Die Entwicklung der Basler Schulhausbauten im schweizerischen und im internationalen Kontext». Ein zugegebenermassen nicht ganz einfach zu greifendes Thema, das man sich am besten am Objekt erklären lässt.
Geballte Ladung Schulhäuser am Kohlenberg
«Das Leonhardschulhaus!» Spychers Vorschlag kam schnell, als wir ihn für einen Rundgang anfragten. Wie, nur ein Schulhaus? Der Wahlbasler widersprach: Das Gymnasium Leonhard eigne sich hervorragend zur Veranschaulichung, schliesslich bestehe es aus einem neoklassizistischen und einem Jugendstil-Gebäude, dazu käme ausserdem die Sekundarschule Holbein, die Ende der 1950er-Jahre gebaut wurde. Sprich, drei Schulhäuser aus drei verschiedenen Epochen. Besser kann man es sich nicht wünschen.
Vor Ort gibts erst mal eine kleine Eckdaten-Auffrischung: Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die allgemeine Schulpflicht eingeführt und der Schulhausbau zur wichtigen Aufgabe ansässiger Architekten. Schulhausbauten wurden zum kulturellen Zentrum der neu entstandenen Stadtquartiere. Mittendrin: Die Töchterschule Basel, die aus dem ehemaligen Sesselschulhaus am Totengässlein hervorgegangen ist. (Ein interessanter Nebenaspekt: Der Besuch der Töchterschule kostete 52 Batzen pro Monat, was dem Lohn von zweieinhalb Arbeitstagen eines Arbeiters entsprach. Das nur Buben zugängliche Gymnasium kostete derweil 20 Batzen.) 1814 wurde sie vom Staat übernommen und zog 1884 vom Totengässlein in einen Neubau auf dem Kohlenberg, wo sich bereits ein Schulhaus befand.
1906 wurde das Gebäude um einen Anbau erweitert und die Schule ein paar Jahre später als Gymnasium anerkannt. Es folgten Trennungen, Zusammenführungen und Ergänzungsbauten, heute heisst der Komplex Gymnasium Leonhard und umfasst Kohlenberg-Gymnasium und Sekundarschule Holbein.
Ernst Spycher beginnt mit seinen Ausführungen auf dem Pausenplatz:
«Das ist ein neoklassizistischer Bau von 1884. Der Kantonsbaumeister Heinrich Reese, von dem übrigens auch das Wettstein-, das Thomas Platter- oder das Bläsi-Schulhaus stammen, hat hier zwei Eingänge angebracht – da denkt man sofort an die Trennung von Mädchen und Buben, nicht wahr? Ist aber nicht so. Schliesslich wurde das Leonhard als ‹Töchterschule› gegründet – bis 1968 besuchten nur Mädchen das Gymnasium.»
Und warum dann also zwei Eingänge?
«Die Türen waren für die Alterstrennung – eine für die ‹untere Abteilung› und eine für die ‹obere Abteilung›. Wichtig ist hier auch die vertikale Gliederung. Ein Sockelgeschoss und darunter die Duschräume. Das war ganz wichtig, schliesslich war eine Schule auch ein Ort von Sauberkeit und Hygiene. Bis ins 20. Jahrhundert hat man Duschräume in die Schulen gebaut. Heute sind da unten oft Handarbeitsräume, da braucht man nicht so viel Licht.»
«Nach der Tür gehts rein ins Hochparterre. Dann kommen drei Geschosse und in der Mitte der Sing- und Examensaal. Das ist das Herz des Schulhauses. Es markiert die Mitte, axialsymmetrisch aufgebaut. Mit dem Haus rechts folgt der Anbau: typischer Jugendstil, also grosszügige, dekorativ geschwungene Linien und florale Elemente. Und Natursteinböden in den Fluren, damits auch lange hält.»
«Hier im Eingangsbereich fällt die Hausmeister-Loge auf. Eine Kontrollmassnahme, ganz klar. Der Hausmeister sass jeweils da drin und schaute nach dem Rechten.»
«Reinlichkeit war immer wichtig im Schulhausbau. Viele Kinder lebten früher in schwierigen Wohnverhältnissen, da gab es nur in der Schule die Möglichkeit, sich zu waschen. Aber Hygiene bedeutete weit mehr als nur Wasser und Seife – Hygiene hiess auch Licht, Platz und Luft. Ganz gemäss dem Motto, das hier in die Wand eingelassen ist: ‹Licht, Liebe, Leben›.»
«Die sogenannten Hygieniker arbeiteten eng mit den Baumeistern zusammen und achteten darauf, dass diese Standards auch tatsächlich umgesetzt wurden. Sie stellten Forderungen auf, waren im Parlament vertreten und sorgten für ein angenehmes Klima. Auch im wahrsten Sinne des Wortes: Eine Schule durfte im Winter nicht zu kalt und im Sommer nicht zu heiss sein.»
«Dieser Eingang ist insofern ungewohnt, als er in der Ecke des Gebäudes angebracht ist. Der Architekt wollte damit die markante Bauweise des Gebäudes hervorheben und – das ist ganz wichtig – eine Linie zum Turm ziehen. Da steigen wir jetzt hoch, gleich nachdem wir noch kurz im Innenhof vorbeigeschaut haben.»
«Hier sieht man die Spitzenvorhänge – ich weiss nicht, ob das immer noch so ist, aber üblicherweise wohnte hier der Abwart. Das sieht man einerseits an den Vorhängen, andererseits an den kleineren Fenstern – und auf dem Grundrissplan ist eine interne Treppe zu sehen, ganz typisch für eine kleine eingebaute Hausmeister-Wohnung.»
«Hier sind die drei Gebäudetypen zu sehen: Neoklassizismus, Jugendstil und Spätmoderne. Ganz links der späteste Bau, der Ende der 1990-Jahre entstanden ist. Man sieht hier schön, wie gewisse Prinzipien aufgenommen wurden: Die Gesamthöhe und der Sockelbereich wurden eingehalten – und so horizontal miteinander verbunden. Diese Herangehensweise kommt nicht von ungefähr: Eine solche Architektur vermittelt Kontinuität. Und jetzt versuchen wir, auf den Turm zu kommen.»
«Handyzeitalter.»
«Was die Tauben hier sollen, weiss ich auch nicht. Vielleicht dienten sie dem Biologieunterricht? Am besten, wir fragen später die Sekretärin danach.» (Die Sekretärin wusste leider auch nicht weiter – sie habe noch nie einen Fuss in diesen Schlag gesetzt.)
«Alles noch im Originalzustand.»
«Die Sicht ist heute nicht besonders gut, Sie müssen sich aber vorstellen: Wenn schönes Wetter ist, sieht man hier bis zum Schwarzwald, in den Jura oder ins Elsass. Wenn man vor hundert Jahren für den Geografieunterricht hier raufkam, lernte man was über die Umgebung, das muss schon eindrücklich gewesen sein.
Genauso eindrücklich ist die Höhe: Wir befinden uns hier auf fast 40 Metern – damit markierte man Präsenz. Zum einen gegenüber dem Münsterplatz, wo die Jungen waren, zum anderen gegenüber der Kirche. So ein Schulhaus ist ein weltliches Gebäude und sandte im Zuge der Säkularisierung natürlich eine wichtige Botschaft aus: Wir sind hier und ebenso wichtig.»
«Der Lift kam später ins Gebäude und gehört zum üblichen Prozedere, wenn ein Umbau angesagt ist. Das geschieht übrigens meist nur aus drei Gründen: schwellenfreier Zugang, Brandschutzregeln und Erdbebensicherheit. Es ist eine Kunst, diese Massnahmen so umzusetzen, dass es in den Bau passt. Hier hat man das geschafft. Das Leonhard ist ein architektonisches Vorzeigemodell – in jeglicher Hinsicht.»
__
Ernst Spycher hat die Ausstellung «Schulhausbauten in Basel von 1845 bis 2015» kuratiert, die bis 16. Oktober 2016 im Schweizerischen Architekturmuseum, Steinenberg 7, Basel, zu sehen ist.
Ernst Spycher: «Bauten für die Bildung. Basler Schulhausbauten von 1845 bis 2015 im schweizerischen und internationalen Kontext», Schwabe Verlag, erscheint Ende 2016.
Artikelgeschichte
‹‹
‹‹