Wochenstopp: 15 000 GRAY

«machina eX» bringt im Haus für elektronische Künste ein Computerspiel auf die Bühne – die Bombe entschärfen die Zuschauer.

(Bild: zVg)

«machina eX» bringt im Haus für elektronische Künste ein Computerspiel auf die Bühne – die Bombe entschärfen die Zuschauer.

Klassisches Theater – das ist Inszenierung eines dramatischen Textes, Trennung von Bühne und Zuschauerraum, Fokus auf die Psychologie der Figuren. Diese Form streng aufrechtzuerhalten, ist schon lange nicht mehr angesagt. Doch das Hildesheimer Theaterkollektiv «machina eX» hat einen sehr eigenen Weg gefunden, um an den Strukturen des klassischen Theaters «etwas herumzusägen» – um es mit den Worten von Yves Regenass zu sagen. Der 30-jährige Basler spielt in «15 000 GRAY» einen verrückten Professor, dem abtrünnige Mitarbeiter seine geniale Erfindung abluchsen wollen und ihm deswegen eine Bombe um den Bauch geschnallt haben.

Tausendmal gehört? Klingt nach abgedroschener Sci-Fi-Story und ist es auch. Aber wer hingeht, schaut nicht zu, sondern spielt mit. «15 000 GRAY» ist ein Realität gewordenes Point’n’Click-Spiel frei nach dem Klassiker «Monkey Island». 30 Minuten haben die Spieler Zeit, um Codes zu entschlüsseln, eine unumgängliche Telefonnummer ausfindig zu machen und Chemikalien richtig zu mischen – bis die Bombe platzt oder eben nicht.

Das Kollektiv «machina eX» ist vor drei Jahren aus der Diplomarbeit von zwei Studenten an der Theaterschule Hildesheim hervorgegangen. Dann zog die Idee vom realisierten Computerspiel die Aufmerksamkeit des «Impulse»-Festivals auf sich, der wichtigsten Plattform für freies Theater im deutschsprachigen Raum. Und so kam mit einer Handvoll Euros aus Crowdfunding und zehn Tagen Zeit für eine Neukonzipierung das Stück «15 000 GRAY» zustande. Inzwischen ist es der Klassiker des Kollektivs und wird dieses Wochenende in Basel zum 180. Mal aufgeführt.

Mitspielen – aber frei bleiben

Fliessende Genregrenzen sind das Sprungbrett der Hildesheimer Studienkollegen: Ihr Studiengang vereint Geisteswissenschaften mit künstlerischer Praxis. «Ich bin kein Schreiber, ich bin auch kein Schauspieler», sagt Regenass und bekennt sich zum Weg dazwischen. «Ich bin in allem ein professioneller Dilettant.» Und was ist die Inszenierung, die eigentlich ein Spiel ist (oder umgekehrt)? «Wir machen keine Kunst!» kokettiert er. Mit dem hehren Wort sind die Leute von «machina eX» auch die Bürde einer wie auch immer gearteten Bedeutsamkeit los. Mit seinem unterhaltsamen Rätselspiel arbeitet «machina eX» an dem weitverzweigten Prozess mit, das Wort «trivial» aus dem Sumpf seines schlechten Rufs zu hieven. «Und mitten im vergnüglichen Rätselraten entsteht vielleicht doch plötzlich Kunst», sagt Regenass.

Solches Rütteln an klassischen Formen läuft schnell Gefahr, sich anzubiedern. «Deshalb machen wir kein Mitmachtheater», sagt Regenass. Die Grundidee ist Interaktion, aber die Besucher kommen nicht in den Zugzwang, kreativ zu sein. «Sie müssen ihre Freiheit behalten», sagt Regenass. Deswegen bleiben sie hinter ihrer Rolle als Rätsellöser souverän – Interaktion mit den Schauspielern findet nur darüber statt, wie sich die Spieler in den Aufgaben schlagen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.04.13

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