Wochenstopp: A1 Sincope

Paul Polaris (Performance) und Tobias Preisig (Musik) treten im Ackermannshof Basel auf.

Tobias Preisig (Bild: zVg)

Wenige Instrumente waren im Jazz so ausgeprägt auf ihre Rolle festgelegt wie die Geige. Im Swing wurde sie stets mit dem Übervater Stéphane Grappelli assoziiert, konnte sich lange Zeit nicht aus diesem schon fast Klischee gewordenen Sound ­befreien. Bis in den Siebzigern ihre Blütezeit mit der Fusion-Ära kam: Ein Jean- Luc Ponty, ein Sugarcane Harris oder auch ein Zbigniew Seifert stahlen damals so manchem Gitarristen oder Saxofonisten die Show.

Heute müssen sich Violinisten im Jazz wieder neu erfinden – und Tobias Preisig ist in der Schweiz sicherlich die vielversprechendste Kraft dieser Innovation, da er auch immer Grenz­überschreitungen in andere Disziplinen versucht. Der 31-jährige Zürcher Künstler, der an der New School of Manhattan studiert und schon mit Basler Kollegen wie George Gruntz und Christian Zehnder ­gearbeitet hat, öffnet seinem Instrument neue Räume, die alles Erwartete, schon einmal Dagewesene ad acta legen.

Mal schafft er filigrane Klanggebilde in delikater Zwiesprache mit Piano, Bass und Schlagzeug, mal heult er aggressiv auf und negiert den «schönen» Geigenton, schafft urbane Expressivität aus altem Holz.

Mit rauchiger Melancholie zelebriert er Leonard Cohens «Hallelujah», kostet weitschwingende, nachdenkliche Melodik jenseits virtuoser Pose aus, verleiht einem Totenmarsch bluesigen Charakter und gibt der Vorstellung von der Geige als Teufelsinstrument so eine eher verletzliche Note. Wie geschaffen für Preisigs Freigeist scheint es, dass er vom Ackermannshof eine Carte blanche erhalten hat, um eine Reihe mit Eigenproduktionen zu starten, die sich im letztjährig neu eröffneten Spielort etablieren will.

Tobias Preisig hat sich hierfür als Wunschpartnerin die Performance­künstlerin Chantal Rusconi alias Paul ­Polaris auserkoren. Spezialisiert auf ­Installationen, Environments und experimentelle Fotografie spiegelt sich im Werk der jungen Frau, die 2009 ihr Architekturstudium an der ETH Zürich abschloss, eine ähnlich ungebundene Schaffensweise wie bei ­ihrem musizierenden Partner. ­Diese schwebt jedoch nicht geschichtslos im Raum, sondern beruft sich zum ­Beispiel klar auf die Epoche des Barocks.

In «Sincope», der gemeinsamen Performance von Polaris und Preisig, wird gerade dieser Aspekt eine Rolle spielen: Indem der Herzschlag der beiden Künstler live per Elektrokardiograf übertragen wird, gewinnen sie so eine pulsierende Grundsubstanz, ein Fundament für die Musik, das zugleich Referenzen an den Generalbass des Barock als auch an die Parameter von Drum ’n’ Bass liefert. Preisigs Violinenklänge können so eine Wechselbeziehung eingehen mit Polaris’ visuellen Resultaten einer Forschungsreise nach Rom, auf den Spuren barocker Architektur.

A1 Sincope: Ackermannshof (Druckereihalle), St. Johanns-Vorstadt 21, Basel. Mittwoch, 5. Dezember, 21 Uhr.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30.11.12

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